Radtour mit dem Verkehrsdezernenten – und was wir beide dabei gelernt haben

Zwei VierNull-Leser:innen haben den Beigeordneten für Mobilität, Jochen Kral, und mich mit auf ihre morgendliche Fahrt zur Arbeit genommen. So haben wir ganz praktisch gelernt, wo man sich unsicher oder unwohl fühlt und deshalb nicht aufs Rad umsteigt.
Veröffentlicht am 24. Februar 2022
Radtour Verkehrsdezernent Jochen Kral
Verkehrsdezernent Jochen Kral (links), Stephan Austrup und Tanja Bodenburg diskutierten am Zeil unserer Fahrt weiter. Foto: Andreas Endermann

Tanja Bodenburg fährt morgens mit dem Rad zur Arbeit, rund sechs Kilometer von Gerresheim nach Derendorf. Sie ist zügig unterwegs, sicher und selbstbewusst. Ihr Mann Stephan Austrup fährt Mountainbike im Verein und auch mit dem Rad zur Arbeit nach Ratingen. Bei aller Begeisterung fürs Radfahren sehen die beiden aber auch viele Stellen, die nicht radfreundlich sind, und erleben Momente, in denen es unangenehm wird. Sie haben deshalb vorgeschlagen, dass wir uns morgens um halb acht ihre Route gemeinsam anschauen, um zu verstehen, wo es bei der viel diskutierten Verkehrswende noch hapert.

Mit auf dieser Fahrt war Jochen Kral. Er ist seit Juli in Düsseldorf Beigeordneter für Mobilität und fährt nach eigenen Angaben im Schnitt nur einmal im Monat mit dem Auto. Die Strecken, die er zu seinen zahlreichen dienstlichen Terminen zurücklegen muss, absolviert er in aller Regel mit dem E-Bike – auch wenn die Termine in Kaiserswerth oder Benrath stattfinden.

Wir haben uns nicht absichtlich eine Strecke mit vielen Problemstellen ausgesucht, sondern eine ganz alltägliche Route genommen, auf Wegen, die zum Radhauptnetz von Düsseldorf zählen: Benderstraße, Ludenberger Straße, Heinrichstraße, Derendorfer Allee. Jochen Kral kam am Ziel zu einem klaren Fazit: „Wir hatten mit einer kleinen Ausnahme keine Passage dabei, in der man komplett entspannt fahren konnte.“ Und genau das müsse anders werden für Radfahrer in Düsseldorf, schließlich möchte man den Anteil der Radfahrer am gesamten Verkehrsaufkommen von heute 16 bis 19 Prozent auf 25 Prozent erhöhen.

Subjektive Sicherheit

Die Düsseldorfer:innen, die heute täglich mit dem Rad unterwegs sind, zählen zu den Unerschrockenen. Das sind die erwähnten 16 bis 19 Prozent. Um den Wert zu erhöhen, müssen sich auch diejenigen sicherfühlen, die heute kein uneingeschränkt gutes Gefühl haben, wenn sie mit dem Rad im Straßenverkehr unterwegs sind.

Ich bin in unserer Gruppe das bremsende Beispiel dafür. Als wir zu Beginn die Ludenberger Straße runterfahren, sind die anderen drei bald weit vor mir. Auch sie kritisieren, dass es dort keinen eigenen Weg für Radfahrer gibt und dass die rechtsfahrenden Autofahrer den Sicherheitsabstand von 1,50 Meter nicht einhalten. Aber die drei kommen damit klar, während ich mich wirklich unwohl fühle.

Tanja Bodenburg und Stephan Austrup zeigen uns immer wieder Stellen, an denen die Radwege zu schmal oder kaum sichtbar sind und plötzlich enden. Jochen Kral sagt, dass das ein wesentlicher Punkt sei, an dem man leicht Verunsicherten zu Dauer-Radfahrern machen könne. Studien haben gezeigt, dass Menschen Radwege als sicher empfinden, wenn sie sie als breit wahrnehmen, wenn diese auf dem Bürgersteig liegen und wenn sie durch Noppen oder Poller geschützt sind („protected bike lane“).

Breite Radwege gibt es inzwischen an einigen prominenten Orten in Düsseldorf. Sie sind zum Beispiel auf der Bilker und der Oberbilker Allee oder auf der Fischerstraße entstanden. Für sie ist eine Fahrspur der Autos weggefallen und trotzdem gibt es keinen signifikanten Anstieg der Staus. Deshalb sind aus den erst einmal provisorisch geplanten breiten Radwegen inzwischen Dauerlösungen geworden – und voraussichtlich auch Vorbilder für andere Stellen.

Allerdings brauchen die breiten Radwege noch bessere Lösungen an großen Kreuzungen. Jochen Kral berichtet von der Idee, die Rechtsabbiegespuren so anzulegen, dass Autos und Radfahrer sie teilen. Das sorgt für Sicherheit, aber auch für Auspuffgase vor dem Lenker.

Die ersten Versuche, „protected bike lanes“ zu schaffen, haben sich in Düsseldorf als erstaunlich schwierig erwiesen. So wehrte sich zum Beispiel in Reisholz ein Unternehmer mit allen Mitteln gegen eine solche Spur, so dass sie dort vorerst nicht verwirklicht wurde. Aber es werde sicher bald Beispiele für geschützte Radwege in der Stadt geben, sagt Jochen Kral.

Ampelphasen und Tempo 30

Am Mörsenbroicher Ei schaffen wir es nicht in einem Rutsch über alle Ampeln in unserer Richtung. Das hängt damit zusammen, dass die Ampeln parallel zu denen der Autos geschaltet sind und die fahren hier 50. Das führt zu einem anderen regelmäßigen Stop-und-dann-wieder-Go für die Radfahrer:innen. Gäbe es mehr Tempo 30 würde das für flüssigeres Durchkommen, sagen die beiden Berufsradpendler.

Jochen Kral stimmt dem zwar im Grundsatz zu, aber nicht mit Blick auf die Heinrichstraße oder das Mörsenbroicher Ei. Solche Achsen seien auf Leistung ausgelegt, das heißt, möglichst viele Autos sollen zügig auf die Bundesstraßen und Autobahnen kommen. Führte man dort Tempo 30 ein, würde die Autofahrer:innen in die Seitenstraßen ausweichen und sich dort den kürzesten Weg suchen. Das wäre ein großer Nachteil für die Quartiere. Tempo 50 macht die Hauptstraßen in diesem Fall auch attraktiv.

Mehr Tempo 30 könnte es aber im Stadtzentrum geben. Dass zum Beispiel auf der Königsallee offiziell Tempo 50 gilt, sorgt für viel Heiterkeit in unserer Runde.

Das Miteinander

Im Laufe unserer Fahrt stoßen wir auf einen Laster, der in der zweiten Reihe parkt. Die drei Profis fädeln sich zwischen die Autos in der linken Spur. Ich mache es ihnen nach. Wäre ich allein unterwegs gewesen, wäre ich abgestiegen und hätte mein Rad über den Gehweg um den Laster rumgeschoben. Das Einfädeln funktioniert allerdings erstaunlich gut, keiner hupt, und wir sind bei einer weiteren Erkenntnis: Das Miteinander der verschiedenen Verkehrsarten muss gut sein.

Vor wenigen Jahren waren „shared spaces“ in der Stadtplanung mal sehr in Mode, also Abschnitte, in denen Autos, Räder, Fußgänger gleichberechtigt sind. Die Schadowstraße ist in dieser Art gestaltet – funktioniert aber nicht. „Shared Spaces“ gelingen dort, wo nicht allzu viele Verkehrsteilnehmer unterwegs sind.

Das Miteinander setzt also Rück- und Einsicht voraus und ist in jüngster Zeit noch komplizierter geworden. Mit E-Scootern ist eine weitere Verkehrsart mit eigenem Tempo hinzugekommen. Auch das spricht für breitere Radwege, damit Überholen in der Spur möglich ist.

Ein schönes Beispiel für gutes Miteinander erleben wir vor einer Grundschule. Die Radfahrer sind zurückhaltend und aufmerksam, die Kinder mit den Rollern warten und beide bieten dem jeweils anderen die Vorfahrt an.

Infrastruktur

Der härteste Teil unserer Route führt an der Heinrichstraße entlang. Dort gibt es keinen festen Weg, sondern erdigen Untergrund. Da es in der Nacht geregnet hat, ähnelt die Strecke mehr und mehr einem Moor. „Hier kann man eigentlich nur mit Gummistiefeln fahren“, sagt Stephan Austrup. „Das ist mal ein anderes Stadterlebnis“, sagt Jochen Kral. Auch bei den Untergründen muss sich noch etwas tun, denn ständiges Einsinken und dreckige Hosenbeine fördern die Freude der Skeptiker sicher nicht.

Meine Mit- und Vorausfahrer diskutieren auch über Routen. „Warum fahren sie nicht da lang?“, fragt Jochen Kral und zeigt auf einen Weg entlang einer Gartenanlage. „Die Beleuchtung ist zu schlecht, da fühle ich mich nicht wohl“, sagt Tanja Bodenburg. Das Licht am Rad ersetzt nicht das Licht von oben. „Verstanden“, sagt Jochen Kral nach seiner wichtigen Infrastruktur-Lektion.

Fahrradstraßen

Die einzige Passage, die stressfrei ablief, ist eine, an der politischer Stress herrscht: die Gutenbergstraße in Grafenberg. Dort soll eine Fahrradstraße entstehen, viele Anwohner wehren sich aber dagegen. Auf Fahrradstraßen haben Radfahrer Vorrecht und dürfen, anders als sonst, auch nebeneinander fahren.

Wir beobachten die Gutenbergstraße an diesem Morgen eine Weile und sehen eine ganze Menge Radfahrer, aber kein Auto, das sich bewegt. Faktisch ist es also schon eine Fahrradstraße – und vermittelt einen Eindruck, wie stressfreies und sicheres Radfahren in Düsseldorf aussehen könnte. Wenn zum Beispiel die vom Verkehrsdezernat für die nächsten Jahre geplanten Ausgaben für Radstraßen und Radzonen umgesetzt werden oder die andere Ideen, die wir auf unseren gemeinsamen sechs Kilometern und am Ziel diskutiert haben.


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