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Wie Düsseldorfer den letzten Mord der RAF erlebten

Am 1. April 1991 haben Mitglieder der Rote Armee Fraktion den Chef der Treuhand, Detlev Rohwedder, in seinem Haus in Oberkassel erschossen. Für unseren Live-Podcast rekonstruierten wir den Fall - und fanden erstaunlich viele Zeugen.

Von Hans Onkelbach (Text)
und Andreas Endermann (Foto)
Veröffentlicht am 19. Februar 2024
Kohle, Knast & Kaviar live im Zakk
Christian Herrendorf (links) und Hans Onkelbach bei der Aufnahme des Podcast im Zakk. Das Foto im Hintergrund zeigt den Polizeieinsatz in der Nacht des Mordes im April 1991.

Als wir uns vor einigen Monaten entschlossen, die Geschichte des letzten Mordes der RAF als Folge unseres Podcasts „Kohle, Knast und Kaviar“ vor Publikum aufzunehmen, machten wir eine überraschende Erfahrung: Wir bekamen durch unsere Recherche Kontakt zu immer mehr Zeitzeugen. Menschen, die in dieser Mordnacht in der Nähe waren, in Polizeikontrollen gerieten oder auf anderen Wegen betroffen waren. Da die meisten uns um Vertraulichkeit gebeten haben, nennen wir nur in einem Fall den Namen des Zeugen. Das sind ihre Geschichten:

1. Der Kripo-Beamte
Den Mann kenne ich seit Jahren und weiß um seine Zeit bei der Polizei. Wir hatten vor längerer Zeit manchmal miteinander gesprochen, wenn er in einem Fall ermittelte, der für mich als Polizeireporter interessant war. Aber dass er Teil der Sonderkommission im Mordfall Detlev Rohwedder war, wusste ich nicht. Das erzählte er mir erst jetzt, nachdem er gehört hatte, dass wir daraus einen Podcast machen wollten. „Soko Treuhand“ hieß die Gruppe aus Leuten der Düsseldorfer Polizei und des Bundeskriminalamtes. Wochenlang arbeiteten sie hier, sammelten Spuren, gingen Hinweisen nach.

Was er mir erst jetzt erzählt hat: Am Abend des Mordes gab es einen bewusst ausgelösten Fehlalarm bei den Nachbarn der Rohwedders. So fanden die Täter heraus, wie lange die Polizei bis zum Kaiser-Friedrich-Ring brauchen – und wie viel Zeit ihnen bleibt, um zu flüchten. Auch dass die Ermittler am Ende davon ausgingen, dass die Täter über den Rhein entkommen sind, war so nie kommuniziert worden.

2. Der Bestohlene
Kurz vor dem Mord wurde dem Inhaber eines kleinen Hotels sein Auto gestohlen – ein ganz normaler Opel. Er zeigte den Diebstahl an und vermutlich hat sogar jemand gestaunt, weil ein so unspektakulärer Wagen verschwand. Schon damals wurden eher die teureren Marken geklaut.

Erst später wurde klar, warum der Kadett so wertvoll war. Denn als man ihn wiederfand, war der Mord an Rohwedder ein paar Tage her und das Auto wurde genauer unter die Lupe genommen. Es war benutzt worden, um den Tatort auszuspionieren. Was zeigt, dass die Täter den Stadtteil Oberkassel offenbar nicht gut kannten: Dort fällt ein Porsche nicht weiter auf, dagegen hatten die Mörder Glück, mit dem völlig unpassenden Opel kein Aufsehen erregt zu haben.

3. Der Arzt in der Gerichtsmedizin
Noch ein Zufall: Einer meiner Freunde ist Arzt. Als er erfuhr, an welchem Fall wir arbeiteten, sagte er: „Ich war damals in der Gerichtsmedizin der Uni, als Rohwedders Leiche gebracht wurde.“ Er arbeitete 1991 an seiner Doktorarbeit und machte Detailfotos eines Skeletts. Das plötzliche Polizeiaufgebot machte ihn neugierig, deshalb ging er in den Bereich, in dem die Leichen liegen. Dorthin brachte man gerade Rohwedder.

Was den jungen Mediziner seinerzeit besonders schockte, war sein Erlebnis mit einer Polizistin: Sie hatte ihn nicht kommen sehen und erschrak derart vor ihm, dass sie einen Nervenzusammenbruch erlitt und den Dienst quittierte. Das forensische Gutachten erstellte damals der bekannteste Gerichtsmediziner Deutschlands, Wolfgang Bonte, bestätigte mir mein Freund.  

4. Party bei Nachbarn, Abend in der Kneipe
Weniger Häuser von der Rohwedder-Villa entfernt, gab es an diesem Abend die Feier einer jungen Frau. Ihre Eltern waren über Ostern verreist, sie hatte Freunde eingeladen. Aber die Party endete abrupt, als plötzlich die Polizei vor der Tür stand. Einige der Gäste waren mit dem Motorrad gekommen, und sie alle waren in dem Alter, in dem die Fahnder damals die RAF-Mitglieder vermuteten. So wurden diese Frauen und Männer sehr intensiv verhört, bevor sie als Unbeteiligte galten.

Ähnlich erging es einem Mann, der bei der Live-Aufnahme im Zakk dabei war und uns anschließend von seinem Abend erzählte. Er war mit Freunden in einer Kneipe an der Oberkasseler Straße. Nach dem Mord riegelte die Polizei das Lokal ab, theoretisch hätten die Täter sich ja dort unter die Gäste mischen können. Die Kneipenbesucher mussten lange warten, bis sie nach Hause durften.

5. Der Kollege von dpa
Und noch ein Zufall: Gerd Korinthenberg, damals Redakteur bei der Deutschen Presse-Agentur (dpa), wohnte nicht weit vom Tatort. Deshalb wurde er – obwohl eigentlich Kulturredakteur – in dieser Nacht losgeschickt, um mehr über die Tatumstände herauszufinden. Gerd ist in unserem Podcast zu hören. Wie er beschreibt, was er am Tatort erlebte, wie er sich geschickt das Vertrauen eines jungen Polizisten erschlich, ist ein amüsanter Aspekt des Mordfalls. Er mimte den besorgten Nachbarn, erfuhr mehr als alle anderen Reporter und spurtete dann zu einer Telefonzelle, um alles an die Redaktion durchzugeben. Damals gehörte neben Block und Stift immer auch eine Hand voll Groschen zur Grundausstattung eines Journalisten.

Für Gerd wurde es eine lange Nacht. Die Polizei leitete kurz nach der Tat eine Ringfahndung ein, riegelte die Rheinbrücken ab und kontrollierte jedes Fahrzeug. Gerd ging deshalb zu Fuß in die Redaktion am Graf-Adolf-Platz – was ihm problemlos und ohne Kontrolle gelang. Obwohl er drei Mal an den Polizisten vorbeiging. Es gab es nur die Anweisung, Autofahrer zu kontrollieren, hörte er.

Was Gerd an diesem Abend noch fand und den gesamten Fall, den wir im ausverkauften Zakk vor rund 400 Gästen besprochen haben, hören Sie hier:

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In unserer ersten Live-Aufnahme im Zakk haben wir im Februar 2023 die Geschichte des Serienmörders Peter Kürten („Der Vampir Von Düsseldorf“) erzählt. Die Episode und Hintergründe finden Sie hier.


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