JailHouse Night 3
Schräge Mottoparty im Relaxx: "Jailhouse Night", 1989. Foto: Eimecke

Frankie goes to Friedrichstadt

Von 1977 bis 1990 genoss ein Club an der Jahnstraße bundesweiten Geheimtipp-Status. Unser Autor traf Jörg Eimecke, den Macher des Rockin´ Eagles, das später in Relaxx umbenannt wurde – und ließ sich erzählen, was er verpasst hat.
Veröffentlicht am 6. Januar 2023

Nirgendwo wurde in den 80er Jahren so gefeiert wie an der Jahnstraße 33a, heute Hotel Petersburg. Ich war nicht dabei, leider. Zum ersten Mal habe ich vom Relaxx in der Wolke gehört, und die Wolke, das ist unsere „erste Kneipe“. Wir, das sind meine Schulkameraden und ich bei den ersten Ausgehversuchen, rund um die Liefergasse in der Altstadt (mehr dazu hier nachlesen). Hinter der Theke der Wolke arbeitet damals Theo Fitsos, der acht oder neun Jahre älter ist, bierzapfend, Platten auflegend, mit den Stammgästen quatschend. An einem Wochenende, so circa 1989, erzählt er beiläufig, er gehe später noch ins Relaxx, das sei derzeit der beste Laden mit den schönsten Frauen Düsseldorfs. Ich kenne das Lokal an der Ecke Jahnstraße/Herzogstraße vom Vorbeifahren mit dem Fahrrad, auf dem Weg vom Süden der Stadt Richtung City und zurück. Wobei: Eigentlich kann man erst auf den zweiten Blick erkennen, dass da überhaupt Gastronomie untergebracht ist. Das Erdgeschoss des Hauses ist schwarz gestrichen, es gibt keine Fenster, und lediglich an der schweren Tür mit Guckloch-Klappe für den Türsteher hängt ein kleines Schild. „RELAXX. Diskothek“ steht da in weißer Schrift vor schwarzem Hintergrund. Darunter die Öffnungszeiten: Mittwoch 20-3 Uhr, Freitag/Samstag 22-5 Uhr.

Das Ganze wirkt konspirativ, so als hätten nur Eingeweihte Zutritt, und als ich wieder mal zufällig mit dem Rad vorbeifahre, sehe ich die Wartenden am Eingang: Die meisten sind zwischen 20 und 30 – anders gestylt als die Ausgehleute in den eher rustikalen Läden der Altstadt, aber auch anders als die in den schicken Läden an der Königsallee. Einige der Frauen tragen extravagante Kleider und Stöckelschuhe, und die Männer, von denen offensichtlich viele schwul sind, tragen Lederhosen, Jeans oder gar Hotpants. Einen klassischen Dresscode scheint es hier nicht zu geben, alle sind irgendwie anders, schrill bis glamourös. Ich fahre nach Hause, in mein Bilker Jugendzimmer – und weiß: Diese Art von Nachtleben ist zwar faszinierend, aber für einen nicht-schrillen und noch 17-jährigen Teenager wie mich eine zu hohe Hürde. Am Türsteher des Checker´s vorbei zu kommen scheint erst mal realistischer. Und dann, kurz nachdem das geklappt hat (hier nachlesen), macht das Relaxx zu.

33 Jahre später möchte ich mehr herausfinden über die Disco, die ich verpasst habe und in die ich später, in meinen Zwanzigern, gerne gegangen wäre. Auch bei der Recherche für meine Kolumnen über das Düsseldorfer Szeneleben der Achtziger ist immer wieder der Name Relaxx gefallen (zum Beispiel hier). Daher weiß ich inzwischen auch, dass es an gleicher Stelle einen Vorgänger-Club gegeben hat, das Rockin´Eagles. Der Betreiber war derselbe: Jörg Eimecke. Als er das Rockin´ Eagles eröffnete, war er 27. Heute ist er 72 und wohnt in Neuss. Wir treffen uns in seiner Wohnung zum Interview. Im Wohnzimmer: überall Schallplatten und CDs – und ein übergroßes Wandbild mit dem Cover des Beatles-Albums „Sgt. Pepper’s Lonely Hearts Club Band“.

Eimecke geht mit mir auf Zeitreise, erzählt, wie er dazu gekommen ist, seine eigene Disco zu eröffnen: Ab 1972 arbeitet er als Dekorateur für Heinz Cremer, den Besitzer der Mata-Hari-Passage, und ist in dieser Funktion nicht nur für Cremers Modeladen Superstar in der Passage verantwortlich, sondern auch für dessen weitere Geschäfte in Düsseldorf, Krefeld und Oberhausen. Nebenbei geht er viel aus. Unter anderem: Creamcheese an der Neubrückstraße, Sheila an der Neustraße, Mora´s Lost Angels Club an der Schneider-Wibbel-Gasse. In diesen und anderen Läden abseits des Mainstreams entdeckt er sein Herz für Musik, die man nicht überall hört. Jörg Eimecke kauft jede Menge Platten, bevorzugt im Studio 33 in der „Mata Hari“, und er hat eine Vision: eine Diskothek, in die er auch selbst gern gehen würde und in der er als DJ einen stilübergreifenden Mix spielen kann, eine Melange aus Glamrock, Funk, Soul, Reggae, Wave, Jazz Fusion und Disco. Warum nicht gleich selbst so einen Laden eröffnen? In der Szene ist er gut vernetzt und so horcht er auf, als im Eckhaus Jahnstraße 33a zwei Läden dichtmachen, zuerst das Tee Vau und dann der Nachfolger Peppermint. Der Grund: Noch hat das Lokal Fenster, ist nicht ausgelegt für einen Discobetrieb mitten im Wohngebiet. Der Vermieter bekommt Beschwerden von den Nachbarn, das Ordnungsamt legt die Spielregeln fest: Entweder es wird Schallschutz eingebaut, oder es darf keine Musik mehr gespielt werden.

Jörg Eimecke im Relaxx
1988 an der Jahnstraße: Jörg Eimecke, Macher der Clubs Rockin´Eagles und Relaxx. Foto: privat

Jörg Eimecke übernimmt den Mietvertrag von den Machern des Peppermint, die in Unterbilk seine Nachbarn sind und für die er bereits das Disco-Logo entworfen hat. Doch es gibt ein Problem: Der Schallschutz kostet 100.000 Mark. Es muss ein Raum in den eigentlichen Raum hinein gebaut werden, ohne Berührungspunkte zu Hauswand und Decke. Woher die Summe nehmen? Eimecke erstellt gemeinsam mit Klaus Jenke, Geschäftsführer bei Superstar und den anderen Cremer-Jeansläden, ein Konzept und geht damit zur Brauerei Schlösser. Die bewilligen 30.000 Mark Darlehen, mit späteren Einnahmen aus den Bierlieferungen zu verrechnen. Eimecke lässt ein Schallgutachten erstellen und findet schließlich einen auf Schallschutz spezialisierten Trockenbauer, der sich auf einen Wechsel einlässt, sodass der Rest vorfinanziert ist. Bis der Schallschutz steht, dauert es gut ein Dreivierteljahr. Eimecke und Jenke gestalten die Einrichtung selbst. Ein quadratischer Raum, rund 150 Quadratmeter. Zwei Flipper am Eingang. Keine Tische, dafür Sitztribünen in drei Stufen, rund um die Tanzfläche, wie in einem Amphitheater.  Eine zentrale, von vier Seiten aus begehbare Bar. In einer Ecke die DJ-Kanzel. Dazu eine exzellente Sound- und Lichtanlage. Und etwas, das bis dahin keiner gemacht hat: ein Bildschirm mit Rückprojektionen, auf denen Fotos der vorherigen Partys laufen, quasi ein clubeigenes „Instagram“ lange vor dem Siegeszug des Internets. Und der Name? Entsteht aus einem spontanen Impuls heraus: „Es gab mal einen Laden in New York, der hieß New York Eagles, und ich mochte Adler, und ich mochte die Band Eagles, also passte das.“ Klar, dass Eimecke auch in diesem Fall das einem Adler nachempfundene Disco-Logo selbst kreiert.

Als das Rockin´ Eagles am 15. November 1977 eröffnet, hat Jörg Eimecke noch 3,70 Mark in der Tasche. „Ich war in finanzieller Hinsicht blauäugig, aber vielleicht war genau das der Grund, warum es funktioniert hat“, sagt er heute. „Wäre der Laden nicht gelaufen, wären wir jedenfalls schon nach einer Woche pleite gewesen.“ Für die Premiere haben Eimecke und Jenke 400 Einladungen an Freunde und Bekannte verschickt – es kommen 500 Gäste, weit mehr, als offiziell reinpassen. Kurios: Zwar hat die Disco den geforderten Schallschutz, aber noch keine Nachtkonzession, darf also nur von 22 bis 1 Uhr öffnen. „Da unsere Partys nur drei Stunden dauerten, waren sie extrem intensiv und euphorisch.“

Schnell erarbeitet sich das Rockin´Eagles einen Ruf als avantgardistischer Laden abseits der Trampelpfade. Die Mitglieder der Gruppe Kraftwerk sind Stammgäste, auch Kurt Hauenstein lässt sich blicken, der mit seiner Band Supermax Ende der 70er zwei Alben in den Top 10 der deutschen Charts platziert, und später kommen auch mal die Toten Hosen vorbei. Als Tipp fürs Ausgehen in Düsseldorf wird das Rockin´ Eagles überregional in Zeitschriften empfohlen, etwa in der Freundin, in der L´uomo Vogue und im Playboy. In letzterem heißt es 1981: „Short-Cut-Barmänner im Charles-Wilp-Look, wie aus dem Overall geboxt.“ Doch auch die Service-Mädels fallen auf – Vera, Anna, Mo, Michaela. Viele sagen: Im Rockin´ Eagles arbeiten die bestaussehenden Frauen der Stadt.

Während Jörg Eimecke auflegt, steht sein Partner Klaus Jenke an der Tür und sorgt dafür, dass auch im Publikum der Mix stimmt. Die deutsche Ausgabe des Melody Maker kommentiert: „Türsteher Klaus ist ein besonders lässig-lustiger Vogel, der es umgekehrt wie viele seiner Kollegen macht: Anzug und Krawatte sind keine Garantie dafür, dass man hereinkommt. Im Gegenteil. (…) DJ Jörg spielt die ausgefallensten Sachen zwischen Dury und Dire Straits, und auf der Tanzfläche, unter einer 8000-Watt-Bühnenlichtanlage, bewegen sich lockere Typen und Mädchen, Transvestiten und Gays zwischen gesplitteten Spiegelwänden hin und her.“

Der Laden läuft, und nach Ladenschluss um 1 Uhr wechseln Gäste und Personal gerne in die Disco Malesh im Kö-Center und feiern dort weiter. Als das Malesh schließt und 1983 an gleicher Stelle das Checker’s eröffnet, hat dies auch für das Rockin´ Eagles Konsequenzen. „Plötzlich kamen deutliche weniger Gäste zu uns“, sagt Eimecke. „Viele sind einfach direkt zum Checker´s gegangen.“ Nach sieben Jahren entschließen sich Eimecke und Jenke 1984 zu einem radikalen Schnitt – und das, obwohl sie nun endlich die langersehnte Nachtkonzession bis 5 Uhr morgens erhalten. Jenke, der selbst schwul ist, sieht eine Marktlücke: einen wirklich guten Tanzladen für die Gay-Szene. Der neue Name ist schnell gefunden: Relaxx, inspiriert vom Song „Relax“ der britischen Band Frankie Goes to Hollywood. Für das Club-Logo steht das Maxi-Single-Cover des Hits Pate. Das Konzept mit ausschließlich schwulem Personal und Gästen geht auf. Das Relaxx füllt eine Lücke in Düsseldorfs Nachtleben, und die Mädels aus dem Rockin´ Eagles arbeiten nun im von Eimecke und Jenke 1982 am Rande der Altstadt eröffneten Café-Bistro Tamara´s.

Plakat 1984 Namenswechel Start Relaxx
Von der Avantgarde-Disco zum Schwulen-Club und zurück: Plakat zur Eröffnung des Relaxx 1984. Foto: Eimecke

Der 16. April 1985 ist ein besonderer Tag für das Relaxx: Frankie Goes to Hollywood, quasi die inoffiziellen Namenspaten des Clubs, gingen nach ihrem Konzert in der Philipshalle zur inoffiziellen After-Show-Party – Frankie Goes to Friedrichstadt.
Doch Jörg Eimecke ist kein Typ, der in Routine erstarrt und sich auf Erfolgen ausruht, also entwickelt er das Konzept des Ladens 1987 erneut weiter: „Die Stammgäste kannten sich fast alle untereinander, und um frischen Wind reinzubringen, haben wir den Gästemix geändert: zwei Drittel Gays, ein Drittel gutaussehende Frauen und Heteros.“ Der neue Kurs bringt dem Relaxx einen weiteren Schub, die Leute stehen an der Herzogstraße bis zu 200 Meter Schlange, um reinzukommen.

Die Musik im „neuen“ Relaxx übernimmt DJ Helmi, ehemals Antiquitätenhändler in London und in Neuss, wo Eimecke inzwischen wohnt, sein Nachbar, eine Etage tiefer. Er legt einen im Vergleich zum Rockin´ Eagles etwas mainstreamigeren Sound auf, jedoch nicht ohne zwischendurch mit Überraschungen, etwa einem Stück von Klaus Nomi, aufzuwarten. Jörg Eimecke macht die Kasse, die Tür übernimmt seine Lebensgefährtin Gabi. Das Stadtmagazin Überblick zeigt sich begeistert: „Aus der Schwulen-Disco ist ein In-Treff geworden. (…) Hier sind die Kids noch das, was sie sein sollen: ein bisschen ausgeflippt. (…) Die Transis in Strapsen und Hackenschuhen können einem auch gefallen, wenn man ihnen nicht an die Wäsche will. Selbstdarstellung ist angesagt. Und wenn die echten Mädchen sich aufstylen, um ein bisschen aufzufallen, sind sie hier richtig. (…) Einen guten Laden machen eben die interessanten Leute aus.“

DJ Helmi 2
Nachdem das Relaxx 1987 von „strictly gay“ wieder auf „gemischt“ umgestellt hatte, sorgte DJ Helmi für den Sound. Foto: privat

Besonders beliebt sind die Motto-Partys. Für eine von ihnen, „Jailhouse Night“, näht die Relaxx-Crew 200 Panzerknacker-Mützen und stellt den Gästen Umhänge mit Sträflingsnummern für den Rücken zur Verfügung. Wer heute die Fotos des Abends sieht, spürt sofort den „Geist“ des Relaxx: Hedonismus, ohne sich selbst allzu ernst und wichtig zu nehmen. Das schlägt dann und wann auch internationale Wellen: Elton John gibt sich samt Entourage während seiner Deutschland-Tournee 1988 sogar fünf Mal die Ehre. Auch Marius Müller-Westernhagen, Gabriele Henkel, Bryan Ferry, Depeche Mode, Saga, Grace Jones, The B-52s, Les Rita Mitsouko, David Bowie und Milli Vanilli feiern im Laufe der Jahre in Friedrichstadt.

1989 wird das Haus Jahnstraße 33a verkauft, es gibt Ärger mit dem neuen Vermieter, und so muss Jörg Eimecke das Relaxx 1990 schließen. Nach 13 Jahren geht eine lokale Disco-Ära zu Ende. Die, die dabei waren, erinnern sich gerne. Fragt man zum Beispiel den eingangs erwähnten Theo Fitsos, inzwischen stadtbekannter DJ, so sagt er: „Musikalisch habe ich dem Relaxx alles zu verdanken. Weil Helmis Art, dort Musik aufzulegen, mich total geprägt hat. Bei ihm folgte zum Beispiel Inner City auf Baccara, und danach liefen Boney M. und Hildegard Knef, also Künstler, die sonst nie jemand in dieser Reihenfolge gespielt hätte.“

In einer Facebook-Gruppe schwelgen die Disco-Gäste der Jahnstraße 33a in Erinnerungen. Auch ein Kommentar von Theo Fitsos ist dort zu lesen. Er erzählt von einem freitäglichen Relaxx-Besuch gegen Ende der Achtziger um vier Uhr morgens, gemeinsam mit einem Bekannten. Türsteherin Gabi verweigerte zunächst den Einlass. Weil: „Wir waren ziemlich langweilig angezogen.“ Gabi forderte die beiden auf, sich outfitmäßig etwas einfallen zu lassen und dann wiederzukommen. Also standen sie fünf Minuten später erneut an der Tür – in Boxershorts, die Hosen hatten sie ausgezogen und im Auto gelassen – und schon waren sie drin. Originalton Fitsos: „Das war Kult, der Laden war voll, und jeder sah anders aus als der andere.“ 

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Gabi, damalige Lebensgefährtin von Jörg Eimecke, war die glamouröse Türsteherin im Relaxx. Foto: privat

P.S. Jörg Eimeckes Nachtleben-Geschichte endete nicht mit dem Relaxx – und begann weit davor. Dazu hier mehr in einem ausführlichen Interview: Der Mann, der im Creamcheese ein Café eröffnete


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