Als das Big Ape an der Kö zum Tanzen lud

Unser Autor wollte mehr über die vergessene Disco erfahren, dem Vorvorgänger des „Checker's“, und fragte auf Facebook nach Erinnerungen. Das Ergebnis: eine Oral History aus den späten 60ern und frühen 70ern – zwischen „Mora's Lovers Club“, „King's Roan“ und „Dänische Käsekiste“.
Veröffentlicht am 1. März 2024
Kö-Center 1968 Stadtarchiv Grasse-Aufmacher
Das Kö-Center im Jahr 1968: In der Mitte zu sehen: Schriftzug und Apfel-Logo des "Big Ape". Foto: Stadtarchiv Düsseldorf (Grasse)

Ich beginne mal mit einer gängigen Definition: Oral History hält Erfahrungen fest, die nicht in schriftlichen Aufzeichnungen verewigt sind, dokumentiert dadurch unterschiedliche Perspektiven und bewahrt kulturelles Erbe. Zugegeben: „Kulturelles Erbe“ klingt ein wenig hochtrabend für das Kapitel „erzählter Geschichte“, um das es in diesem Text gehen wird. Es stehen nämlich weder Ereignisse noch soziale Bewegungen im Fokus, sondern ein Tanzlokal in Düsseldorf: „Big Ape“. So hieß eine Disco, die einst im Kö-Center residierte. Immer, wenn ich in den vergangenen Jahren historische Fotos der 1967 zwischen Königsallee und Königsstraße eröffneten Einkaufspassage auf Facebook poste, fällt früher oder später in Leserkommentaren dieser Name, inklusive Anekdoten und Details.

Zwanzig Jahre später, zu den Hochzeiten des „Checker’s“, habe ich meine ersten Teenager-Ausflüge ins Nachtleben gemacht – und vom „Big Ape“ noch nie gehört. Es ist fast mysteriös: Im Netz sind weder Bilder noch Zeitungsartikel zu finden – mit einer Ausnahme. Auf einem Foto des Stadtarchivs sieht man das Apfel-Logo der Disco sowie einen „Big Ape“-Schriftzug, angebracht an der Fassade im vorderen Passagenbereich, wo sich auch der Disco-Eingang befindet (siehe Foto).

Ich frage nach und beschließe, die kommentierten Facebook-Erinnerungen zu einer gemeinsamen „Erzählung“ zu verdichten. Ähnlich wie beim Altstadtlokal „Zwiebel“ (Kolumne hier nachzulesen), mit dem Unterschied, dass ich in diesem Fall keine eigenen Erfahrungen beisteuern kann: Als das „Big Ape“ vor 57 Jahren eröffnete, war ich noch nicht mal geboren. Das, was nun folgt, hat keinen Anspruch auf hundertprozentige Richtigkeit oder Vollständigkeit. Es ist das bestmögliche Bild, das ich zeichnen kann – basierend auf den Aussagen derjenigen, die als Teens oder Twens im Kö-Center tanzten und heute über 70 sind.

Kö-Center Bau 1966 Deutsche Digitales Archiv
1966: Bau des Kö-Centers zwischen Königsallee und Königstraße. Foto: Deutsche Digitale Bibliothek

Also: Das „Big Ape“ eröffnet zeitgleich mit dem Kö-Center im August 1967. Es ist in eben jenen Räumen untergebracht, in denen ab 1977 das „Malesh“ und ab 1983 das „Checker’s“ das Nachtleben an der Kö bestimmen werden. Anfangs heißt es noch „Big Apple“, inspiriert vom Spitznamen der US-Metropole New York. Doch weil es an der Kurze Straße ein namensgleiches Lokal gibt, muss der Disco-Name angepasst werden.

Man streicht kurzerhand zwei Buchstaben, und so verwandelt sich „Big Apple“ in „Big Ape“. Immerhin: Das apfelförmige Logo darf bleiben. Weil ein großer Teil des Publikums sehr jung ist, öffnet das „Big Ape“ schon recht früh am Abend die Tür. Minderjährige müssen ihren Personalausweis abgeben. Und wer erst 16 ist und bis 22 Uhr das Lokal noch nicht verlassen hat, dem droht die Schmach, per Lautsprecher durch den DJ ausgerufen zu werden.

Der Innenraum des „Big Ape“ gleicht einer Zirkus-Arena, mit der Tanzfläche als „Manege“ und aufsteigenden Sitzrängen rundum, von denen die oberen gerne für Knutsch-Einsätze genutzt werden. Ein für die damalige Zeit vollkommen neues Konzept, das freitags und samstags das Publikum an die Kö lockt – schicker gestylt als in der Altstadt, wo damals viele mit Bundeswehrparka und Cordhosen unterwegs sind. Manche der Mädchen kopieren den Stil von Faye Dunaway aus ihrer Rolle im Gangsterdrama „Bonnie & Clyde“. Was passt, denn dann und wann laufen auch Songs aus dem Soundtrack.

Die Disco-Gäste tanzen paarweise, aber auch alleine. Manchmal wird in der Mitte ein flacher, ovaler Tisch als erhöhte Tanzfläche platziert. Einer der Disc-Jockeys ist – so heißt es in einer der Erinnerungen – Lehrling bei der Deutschen Bank. Abends am Wochenende thront er auf einem erhöhten Bereich links neben dem Eingang, und wer die zu ihm führenden Stufen erklimmt, darf auch mal einen Musikwunsch loswerden. Gespielt wird eine tanzbare Melange aus Blues-Rock, Prog-Rock, Funk und Soul, meist orientiert an den Hitparaden. So laufen zum Beispiel „Hello, I love you“ von den Doors, „Sex Machine“ von James Brown, „It’s the Same Old Song“ von den Four Tops oder „In-A-Gadda-Da-Vida“ von Iron Butterfly. Ansonsten hört man Titel von Led Zeppelin, Deep Purple, Buffalo Springfield, Otis Redding. Musik-Experten erinnern sich auch an Ausflüge in krautrockige Gefilde, etwa „Archangel’s Thunderbird“ von Amon Düül II.

Der Eintritt fürs „Big Ape“ beträgt fünf Mark, eine Cola kostet eine Mark. Die Gäste erhalten Verzehrkarten, auf denen die konsumierten Getränke eingetragen werden. Mittwochs lädt die Disco zum „Preistanzen“, und noch heute kann man in Düsseldorf „Big Ape“-Stammgästen begegnen, die als Teenager mit ihrem Tanzpartner oder ihrer Tanzpartnerin diesen Wettbewerb gewonnen haben. Nicht zu vergessen: die ins Geschehen integrierte Pommesbude für den Hunger zwischendurch, oberhalb der Arena, gegenüber vom Eingang.

Hin und wieder treten im „Big Ape“ mittelbekannte Rockbands auf, und oft sind die Konzerte eher kurz, dauern nicht mal eine halbe Stunde. Überliefert sind Auftritte von Spooky Tooth und der Spencer Davis Group aus Großbritannien sowie von Shocking Blue aus den Niederlanden.

Natürlich hat der Club auch Karneval geöffnet, und wer am Rosenmontag nach 11 Uhr vormittags eintrifft, hat kaum Chancen auf Einlass, so voll ist es bereits um diese Zeit.

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Kö-Center 1977. Foto: ETH-Bibliothek Zürich, Bildarchiv (Sonderegger)

Ab 1968 residiert im Kö-Center „Mora’s Lovers Club“ ein weiteres, weniger teenielastiges, vielmehr glamouröses und künstler-affines Tanzlokal, das auch von Promis wie Abi Ofarim besucht wird. Ungewöhnlich: Es ist nicht nur über die reguläre Tür im ersten Stock des Innenhofs (später: „Malesh“ und „Checker’s“) erreichbar, sondern auch über eine Disco-zu-Disco-Verbindung vom „Big Ape“ aus.

Mora, die Namensgeberin und Betreiberin, kennt jeder in Düsseldorfs Szene – unter anderem als Barfrau im „Creamcheese“ sowie aus einer eigenen Mode-Boutique. Innerer und äußerer Zugang zum angesagtesten Laden der Stadt werden von Türstehern bewacht, wobei am Haupteingang Moras Freund Sascha entscheidet, wer dazugehören darf – und wer nicht.

Dritter im Disco-Verbund ist der Schwulen-Club „King’s Roan“, der sich mit „Mora’s Lovers Club“ die Tür teilt, von dort aus aber über eine andere Treppe zu erreichen ist. Für die Garderobe ist Tom Thomas verantwortlich, der einige Jahre später das Bistro in der Mata-Hari-Passage übernehmen wird. Und auch im „King’s Roan“ gibt es einen türsteherbewachten Übergang zum „Big Ape“.

Ich durchschaue die Konstellation erst nach mehrmaligem Nachfragen: Drei benachbarte Discos in einer Einkaufspassage, mit separaten Eingängen, unterschiedlicher Musik, unterschiedlichen Preisen und unterschiedlichem Publikum, über Treppen verbunden und offen für grenzüberschreitenden Partyverkehr. So etwas hat es im Nachtleben Düsseldorfs nie wieder gegeben.

Betrachtet man Kö-Center Fotos aus den 60ern und 70ern, so springt bei den Beschilderungen neben dem Mode-Label „Charles Jourdan“ im Erdgeschoss auch die darüberliegende „Dänische Käsekiste“ mit dem rot-weiß-karierten Kuh-Logo ins Auge. Das bodenständige Restaurant mit skandinavischen Spezialitäten ist auch im Berliner Europa-Center mit einer Filiale vertreten. 1979 wird es vom edlen „La Terrazza“ abgelöst. Zuvor hat bereits das „Malesh“ in eben jenem Teil des Kö-Centers eröffnet, der zuvor „Big Ape“, „Mora’s Lovers Club“ und „King’s Roan“ beherbergte.

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Kö-Center 1977, mit der „Dänischen Käsekiste“ im Obergeschoss. Foto: ETH-Bibliothek Zürich, Bildarchiv (Sonderegger)

Die Drei-Disco-Konstellation im Kö-Center hat nur rund vier Jahre Bestand. Das „Big Ape“ schließt 1972. Was danach beziehungsweise zwischendurch vor Ort passierte? Ob überhaupt etwas passierte oder die betanzten Räume leer standen? Vielleicht erinnert sich beim Lesen dieses Textes jemand daran. Und wer weiß: Vielleicht tauchen ja auch noch Fotos auf, die das „Big Ape“ und den „Mora’s Lovers Club“ von innen zeigen.

Eines ist sicher: Mora zieht nach ein paar Jahren mit ihrem Club an die Schneider-Wibbel-Gasse 9, nennt ihn fortan „Mora’s Lost Angels Club“. Und weil auch die Mitglieder der Gruppe Kraftwerk regelmäßig dort verkehren, landet 1978 das von einem Kellner des Lokals eingesprochene Wort „korrekt“ als ergänzender Soundschnipsel in der zweiten Strophe des wohl berühmtesten Songs, der jemals in Düsseldorf produziert worden ist: Sie trinkt in Nachtclubs immer Sekt, korrekt / Und hat hier alle Männer abgecheckt.

Aber das ist eine andere Geschichte

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