Minister? Thomas Geisel und seine Chance auf einen Posten im Osten

Thomas Geisel dürfte im Frühjahr 2024 zufrieden mit sich und der Welt sein. Mit sich ist er das ohnehin recht kontinuierlich, mit der Welt war es seit seiner Niederlage bei der OB-Wahl 2020 schwieriger. Nun aber ist sein Gesicht wieder überall in Düsseldorf auf Plakaten zu sehen. Und bei Veranstaltungen mit ihm gab es jüngst so viele Anmeldungen wie für einen Parteitag der FDP.
Der Unterschied zu früher: Thomas Geisel tritt bei der Europawahl nicht mehr für die SPD an, sondern für das Bündnis Sahra Wagenknecht (BSW). Er steht auf Platz zwei der Liste, und das reicht ziemlich sicher für den Einzug ins EU-Parlament. Bei der Europawahl gibt es keine Fünf-Prozent-Hürde. Damit Listenplatz zwei zieht, braucht es etwa eineinhalb Prozent der Stimmen. Die Umfragewerte des BSW liegen höher.
In meinen Gesprächen über das kleine Comeback taucht in den vergangenen Wochen ein neuer Gedanke zum ehemaligen Oberbürgermeister auf: Er könnte im Herbst Minister in einem ostdeutschen Bundesland werden. Sachsen und Thüringen wählen am 1. September ein neues Parlament, Brandenburg drei Wochen später. Für den Gedanken, dass es dort dann einen BSW-Minister Thomas Geisel gibt, sprechen mindestens die folgenden vier Argumente:
1. Eine Regierungsbeteiligung des BSW ist realistisch.
Parteigründerin Sahra Wagenknecht war im Januar Gast unseres Talk-Formats ZweiEins. Dort habe ich sie gefragt, in welchen Bundesländern sie eine Regierungsbeteiligung des BSW für möglich hält. Ihre Antwort:
„Wenn man sich die Konstellation anguckt, ist das zumindest in Thüringen nicht unwahrscheinlich, auch in Sachsen ist es zumindest nicht ausgeschlossen. (…) In allen drei ostdeutschen Bundesländern ist es zumindest für uns natürlich eine Notwendigkeit, dass wir Kandidaten aufstellen, die eine mögliche Regierungsbeteiligung auch begleiten können. Das ist schon etwas, worüber wir nachdenken, wenn wir die Listen für die Landtagswahlen aufstellen. Es muss nicht jeder Minister kandidieren, man kann auch Minister von außen holen. Aber es muss eine Fraktion da sein, die so kompetent ist, dass sie im Zweifel auch eine regierende Partei tragen kann.“ (Das Video zum Gespräch finden Sie hier, die Antwort zu den ostdeutschen Bundesländern ist ab Minute 41:20 zu hören).
Die jüngsten Umfragen zu den Landtagswahlen bestätigen die Einschätzung von Sahra Wagenknecht aus dem Januar. In allen drei Ländern hat die AfD im Moment den höchsten Stimmenanteil. Schließt man deren Regierungsbeteiligung aus, wird es drei bis vier demokratische Fraktionen für eine Mehrheit brauchen. Das BSW könnte eine davon sein.
Thüringen: Die jetzige Regierung stellen Linke, SPD und Grüne. In den Umfragen kommen sie zusammen nur noch auf rund 30 Prozent. Die derzeit ermittelten 15 Prozent des BSW könnten die Lücke schließen – wenn Linke und BSW trotz ihrer schwierigen gemeinsamen Vorgeschichte miteinander koalieren. Es sind zudem Konstellationen mit CDU, BSW und ein bis zwei weiteren Partnern mindestens theoretisch denkbar.
Sachsen: Die Mehrheit stellen derzeit CDU, SPD und Grüne – die Meinungsforscher:innen sehen sie nun aber nur noch bei rund 40 Prozent. Bestätigt das BSW seinen Umfragewert jenseits von zehn Prozent, wäre es mathematisch schon mal ein attraktiver Partner.
Brandenburg: Rot-Schwarz-Grün ist die heutige Koalition und laut Umfragen ist eine Fortsetzung möglich. Sollte es aber noch knapper für die drei Partner werden, könnte das BSW mit seinen im Moment angenommenen zehn Prozent als Stabilisierungsfaktor ins Gespräch kommen.
2. In der innerparteilichen Konkurrenz hat Thomas Geisel ein gutes Argument.
Beim ersten Parteitag des BSW hat Thomas Geisel ein schwächeres Ergebnis geholt als die meisten Mitbewerber:innen. Dennoch hat er mit Blick auf andere mögliche Kandidat:innen für Minister-Posten einen Vorteil: Als Oberbürgermeister hat er sechs Jahre eine Verwaltung mit mehr als 10.000 Mitarbeitenden geführt. Er bringt also anders als alle anderen Mitglieder des BSW die Erfahrung mit, was die Leitung einer großen Behörde/eines Ministeriums bedeutet.
Das passt zu zwei der zitierten Sätze von Sahra Wagenknecht: Man kann Minister auch von außen holen. Und der Minister braucht die nötige Kompetenz.
3. Mehrere Ressorts passen zum Lebenslauf.
Thomas Geisel ist Jurist, hat als Manager in der Energiewirtschaft gearbeitet und war eben Oberbürgermeister. Für die Ressorts Inneres/Kommunales, Justiz und Wirtschaft bringt er Wissen aus der Praxis mit.
4. Inhaltlich hat Thomas Geisel schon vorgebaut.
Ein mögliches Gegen-Argument hat der mögliche Minister vorsichtshalber schon mal bearbeitet. Thomas Geisel arbeitete in den 90er Jahren für die Treuhand-Anstalt, die sich um die Abwicklung der DDR-Wirtschaft kümmerte. Der Ruf der Treuhand in Ostdeutschland ist bis heute extrem schlecht, der Düsseldorfer scheint deshalb auf den ersten Blick schwer vermittelbar.
In einem Beitrag für die Wochenzeitung „der freitag“ hat er Anfang des Jahres seine Sicht auf die damalige Zeit allerdings kritisch beschrieben. Mit dem Text wolle er deutlich machen, dass die gerade im Osten weit verbreitete Unzufriedenheit nicht das Ergebnis politischer Stimmungsmache, sondern politischer Fehlentscheidungen in der Vergangenheit sei. Damit meint er insbesondere, dass die Treuhand in den ersten Jahren des wiedervereinten Deutschlands eine Menge von Betrieben „plattgemacht“ habe – und das obwohl man sie „mit vergleichsweise geringem Aufwand hätte erhalten“ können.
Seine eigene Rolle sieht Thomas Geisel als die eines Unterstützers der Menschen in Ostdeutschland. Als Verantwortlicher für das Vertragsmanagement habe er sich darum bemüht, „dass die Mittel tatsächlich den Standorten und ihren Beschäftigten zugutekamen, und nicht auf direktem Wege die Konzernkassen im fernen Amerika füllten“.
Wenn man den Ausführungen des 60-Jährigen glaubt, dann erscheint er als passender Minister für Ostdeutschland: Jemand, der die Regionen kennt, der aus nächster Nähe erlebt hat, was dort im Zuge der Wiedervereinigung geschah, und der Empathie für die Betroffenen signalisiert.
Fazit
EU-Parlamentarier klingt gut, Landesminister klingt besser. Und ist es für einen Menschen mit schwäbischem Leistungsethos auch. Denn als eines von rund 700 Mitgliedern des EU-Parlaments sind die Gestaltungs- und Profilierungsmöglichkeiten doch überschaubar. Das ist quasi das fünfte Argument für den Gedanken, dass Thomas Geisel im Herbst eine weitere neue Station in seinen Lebenslauf stehen hat.
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