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Das Carschloch

Ich gehe langsam durch die Stadt und sehe mir den Heinrich-Heine-Platz an. Er wird bald neu gestaltet, mit einem Niedergang in der Mitte, den man Schnecke nennt. Die sehen Kritiker skeptisch, und das kann ich nachvollziehen.

Veröffentlicht am 10. Januar 2022
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Der Platz vor dem Carschhaus: Auf der Aninmation sieht die abwärts führende Schnecke so aus. Foto: Signa/David Chipperfield Architects

Mit Löchern, mal abgesehen von denen für Knöpfe, tun wir uns schwer. Wir mögen sie nicht wirklich. Nicht in den Socken, und schon gar nicht im Dach. Wird irgendwas mit einem Begriff benannt, in dem das Wort „Loch“ auftaucht, ist das selten positiv. Ich erinnere an das Jahr 1978, an das bei einer dubiosen Geheimdienstaktion gesprengte und seinerzeit berühmte Celler Loch in der Außenwand des dortigen Knasts. An unsere achtern sitzende, zum üblen Schimpfwort mutierte Körperöffnung und an das Bonner Loch. Letzteres war ursprünglich mal eine vor sich gammelnde Baugrube, bevor es zu einem tieferliegenden offenen Zugang zum Bahnhof und zur U-Bahn wurde, leider schnell schmuddelig und unschön. Zumal es den Namen der Baugrube – das Bonner Loch – behielt und so schon rein imagemäßig ein buchstäblicher Niedergang blieb. Nach etlichen Jahren eines wenig erfreulichen Daseins wurde es schließlich mit ein paar tausend Tonnen Beton wieder geschlossen und Teil eines neuen Bahnhofvorplatzes der früheren Hauptstadt.

Warum ich das erwähne? Weil Düsseldorf dabei ist, sich ein solches Loch zu buddeln. Und zwar auf dem Heinrich-Heine-Platz zwischen Breidenbacher Hof und Carschhaus. Dort will der Eigentümer des Kaufhauses, die Signa-Immobiliengruppe von René Benko, aus dem in die Jahre gekommenen Gebäude ein KaDeWe machen. Mit dem Namen erinnert man an den legendären Konsumtempel in West-Berlin, der unter Kaufhaus des Westens (KaDeWe) im isolierten westlichen Teil der Stadt die Fahne des uferlosen Konsums hochhielt.

Weil aber im Düsseldorfer Abklatsch ein erheblicher Teil der Verkaufsfläche im Souterrain liegt, wünscht sich der Eigentümer einen Zugang zu diesen Angeboten von außen. Vor allem soll schon von dort sichtbar sein, dass es unten auch reizvolle Ware gibt. Daher möchte man mitten auf den Platz einen abwärts führenden Zugang bauen, in einer schneckenförmigen Rampe ginge es hinab zum dortigen Eingang. Schneckenförmig klingt elegant. In Wahrheit wird dort eine Art Grube von etwa 220 Quadratmetern Fläche entstehen, wenn auch schick gestaltet.  

Was sind die Bedenken?

Kritiker befürchten eine neue Schmuddelecke als Treffpunkt für Rauschgiftsüchtige und ihre Versorger und anderen prekäre Gruppen. Der Platz ist heute und schon lange problematisch. Seit Jahren zieht er unterschiedliche Personengruppen an, die dort lagern, trinken, Passanten anbetteln. Für die anderen ist er reiner Durchgangspunkt in Richtung Altstadt.

Was soll sich verändern?

Der Platz soll komplett neu gestaltet, die Verkehrsführung verändert werden. Anders als heute gibt es künftig zwischen Carschhaus und Stadtbrückchen/Wilhelm-Marx-Haus keine für Autos nutzbare Verbindung mehr zur Grabenstraße. Die so gewonnene Fläche wird dem neuen Platz zugeschlagen. Der Verkehr wird, aus Richtung Oberkasseler Brücke kommend, bis zur Benrather Straße fließen und dann nach rechts Richtung Grabenstraße/Carlsplatz abbiegen. Der Gegenverkehr bleibt auf seiner heutigen Strecke, deshalb ist die Heine-Allee dann nicht mehr Einbahnstraße. Darüber hinaus will man eine Reihe von Bäumen pflanzen.

Wer bestimmt die Gestaltung des Platzes?

Der Eigentümer des Carschhauses, also Signa, bestimmt die Details, denn er zahlt am Ende die Rechnung. Da es aus verkaufstechnischer Sicht notwendig erscheint, das Untergeschoss sichtbar zu machen, plant man die Schnecke nach unten. Über die Summe, die man auszugeben gedenkt, heißt es in der Rheinischen Post, man gehe von 5,5 Millionen Euro aus.

Wieso plant und baut die Stadt nicht selbst?

Weil der Grund dem Investor gehört. Außerdem hat René Benko inzwischen einigen Einfluss auf die Gestaltung der Innenstadt. (Meinen Bericht dazu finden Sie hier). Und er ist womöglich auch der starke Partner für den Bau der neuen Oper auf dem Grundstück des früheren Kaufhofs am Wehrhahn, der ihm gehört. Signa macht dort ein scheinbar großzügiges Angebot für eine bauliche Kombination aus Oper, Gastronomie, Wohnen und Büros. Dass man einem solchen möglichen Kooperationspartner auch an anderer Stelle entgegenkommt, ist naheliegend. Für die FDP ist das ein Grund zu heftiger Kritik am Projekt Heine-Platz: „Wir begeben uns in die Hand des Investors“, hieß es bei den Liberalen. Man fürchtet eine Fortsetzung des jetzigen Zustands mit Ansammlungen von heiklen Personengruppen, Verschmutzung und Anziehungspunkt für Drogenhandel, weil der Abgang die Chance bietet, unbeobachtet verschiedenen Geschäften nachzugehen, nicht nur solchen, in denen es um Geld geht.  

Warum kippen manche Plätze, und andere nicht?

Nicht nur Düsseldorf hat dieses Problem, sondern auch andere Großstädte wie Köln, Berlin oder Frankfurt. Städteplaner befassen sich also bundesweit mit der Frage. Die Antwort ist kompliziert, lässt sich aber auf ein paar Punkte reduzieren:

  • Wie bei Immobilien spielt die Lage eine große Rolle. Ist der Hauptbahnhof in der Nähe, wächst die Gefahr einer unerwünschten Nutzung. Außerdem ist ein gut erreichbarer Ort immer problematisch, weil die schwierige Klientel keineswegs immobil ist, sondern nach einem festen Zeitplan und an bestimmten Stellen orientiert in der Stadt unterwegs ist. Dabei entstehen feste Treffpunkte. Am liebsten zentral, also gut erreichbar. Vergleichbare Plätze mit ähnlichen Problemen gibt es in den Außenbezirken fast nie.
  • Das unmittelbare Umfeld ist extrem wichtig. Dass der Heine-Platz umgeben ist von teuren Geschäften und unmittelbarer Nachbar des Hotels Breidenbacher Hof, schreckt nicht ab – im Gegenteil. Denn die Lage mitten in diesem Umfeld garantiert ein zahlungskräftiges Publikum, das man mit einigem Erfolg anbetteln kann.
  • Es muss eine soziale Kontrolle geben. Die wird immer ausgeübt durch Menschen, die in unmittelbarer Nähe des Platzes leben, es braucht also Wohnbebauung. Solche Plätze gibt es in Düsseldorf reichlich, und eher selten hält sich dort – jedenfalls nicht auf Dauer – eine schwierige Klientel, weil die Anwohner umgehend einschreiten. Vor allem, wenn die Plätze mit Kinderspielanlagen kombiniert sind. Es findet das statt, was Soziologen „Verantwortungsübernahme“ nennen. Die gibt es auf dem Heine-Platz bisher nicht, und ob es sie künftig geben wird, muss sich zeigen.
  • Hilfreich ist ein möglichst breites gastronomisches Angebot. Cafés oder Restaurants mit Außenbereich schaffen ebenfalls die oben genannte soziale Kontrolle und unterbinden in der Regel die Ansammlung von heiklen Personenkreisen. Ein gutes Beispiel, so ein Düsseldorfer Städteplaner, ist der Martin-Luther-Platz. Obwohl dort niemand wohnt, hat man keine Sorgen wegen Drogenhandels oder unerwünschter schwieriger Personengruppen, weil es eine Reihe von Terrassen gibt.

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