Warum in Düsseldorf kaum Radwege gebaut werden

Es ist wohl einer der Momente, in denen Oberbürgermeister Stephan Keller seinen Vorgänger inzwischen besser versteht. Im Wahlkampf 2020 habe ich die beiden gemeinsam interviewt und mit ihnen über Radwege diskutiert. Dabei kritisierte der damalige Herausforderer, dass in seiner Zeit als Düsseldorfer Verkehrsdezernent 300 Kilometer Radnetz geplant worden waren, dieses Konzept unter Thomas Geisel aber „nur zu einem Bruchteil umgesetzt“ wurde. Danach entwickelte sich folgender Dialog:
Geisel: Wir können doch jetzt nicht die Backen aufblasen und so tun, wenn Keller hiergeblieben wäre, dann hätten wir heute 300 Kilometer Fahrradwege. Das ist doch absurd.
Keller: Aber wir müssen das doch anpacken.
Geisel: Das tun wir doch, Schritt für Schritt.
Keller: Aber da ist Tempo erforderlich.
Zwischenfrage von mir: Herr Keller, Sie haben zu Beginn gesagt, dass die CDU die stärkste Fraktion wird und voraussichtlich auch an einer Mehrheit im Stadtrat beteiligt ist. Ist dieses Tempo, das Sie für den Radwegebau fordern, mit Ihrer Fraktion überhaupt machbar?
Keller: Natürlich wäre das mit der CDU machbar. Wir arbeiten sehr engagiert in der Fachgruppe mit. Und die schnelle Umsetzung des Radhauptnetzes ist Kernbestandteil des Programms der CDU.
Ob der jetzige Oberbürgermeister das heute, vier Jahre später, noch einmal so sagen würde, bezweifle ich. Spätestens im Mai 2023 lernte er, wie schwierig die Sache mit dem Tempo ist: Die Stadt hatte damals zu einem Bürgerdialog namens „Düsseldorf fahrradfreundlich“ eingeladen – und brachte mit der Veranstaltung selbst überzeugte Radfahrer an den Rand der Motorisierung. Die Teilnehmerinnen und Teilnehmer hofften, von neuen Projekten und Fortschritten zu hören. Stattdessen erklärten die städtischen Vertreter:innen, welche der schon bekannten Vorhaben alle nicht wie geplant umgesetzt werden. Die Raumtemperatur sank auf arktisches Niveau.
Nun ein gutes Jahr später habe ich den aktuellen Stand recherchiert. Spoiler: Das Tempo beim Ausbau ähnelt immer noch mehr einer mittleren Steigung. Ich erkläre in dieser Geschichte den Stand der Dinge und die Ursachen. Da wir bei VierNull nie dabei stehen bleiben möchten, ein Problem nur zu beschreiben, hat dieser Text einen zweiten Teil. Dafür habe ich mir ein für Düsseldorf vorbildliches Beispiel aus einer anderen Stadt gesucht und dabei bewusst nicht Den Haag, Kopenhagen oder Freiburg genommen. Sondern eine Kommune, von der man annehmen würde, dass sie in der Entwicklung noch langsamer ist als die NRW-Landeshauptstadt.
Stand des Radwege-Ausbaus
2023: Im vergangenen Jahr hat die Stadt sechs Projekte fertiggestellt:
- besser sichtbare und breitere Radwege am Rhein an der Cecilienallee und am Robert-Lehr-Ufer
- den Lückenschluss zwischen Ulmen- und Prinz-Georg-Straße (= Eulerstraße), so dass es dort nun zwei durchgehende Kilometer Radweg gibt
- 300 Meter auf der Haroldstraße, die zugleich zur Fahrbahn hin geschützt sind
- 1800 Meter auf der Theodor-Heuss-Brücke
- ein geschützter und zusammenhängender Weg auf der Straße „Auf’m Hennekamp“ in Bilk
- 420 Meter neuer Radweg auf der Straße „Am Schönenkamp“ in Eller
In die Zukunft vertagt wurden unter anderem Vorhaben auf der Uerdinger- und der Schadowstraße sowie auf der Luegallee.
Meine Einschätzung: Jede der genannten Wege ist ein Fortschritt und macht Radfahrer in Düsseldorf komfortabler und sicherer. Es sind aber überwiegend Abschnitte betroffen, auf denen Radfahren auch vorher schon ordentlich möglich war, also kein Fortschritt im Sinne neuer Netz-Kilometer erzielt wurde.
2024: Die Liste für den Bau von Radwegen oder deren Optimierung umfasste für dieses Jahr einst 20 Stellen im ganzen Stadtgebiet: von der Westfalenstraße in Rath bis zur Koblenzer Straße im Süden. Von alledem ist nichts zu sehen. Nach eigenen Angaben hat die Stadt bisher vor allem mehr rote Farbe auf die Straßen gebracht und vorhandene Radwege saniert.
Mit der roten Farbe sollen Radwege für Autofahrende sichtbarer und deshalb sicher werden. Diese passen dadurch an Kreuzungen besser auf, parken seltener auf Radwegen und öffnen die Autotüren erst, nachdem sie geschaut haben, ob Radler:innen gerade an ihnen vorbeifahren. Mehr Rot gibt es nun auf der Benderstraße in Gerresheim sowie zwischen Auf’m Hennekamp (Bilk) und Oberbilker Markt.
Außerdem hat die Stadt abgenutzte und beschädigte Radwege verbessert: auf der Angermunder Straße im Norden, am Staufenplatz in Grafenberg, auf der Kölner Straße in Oberbilk, an der Heinrichstraße in Derendorf sowie am Rhein zwischen Oberkassel und Lörick („Am Pappelwäldchen“).
Auf meine Frage, was dieses Jahr noch geschafft werden kann und was auf 2025 geschoben werden muss, erhielt ich diese verwaltungs-poetische Antwort:
„Die Maßnahmenplanung für 2024 befindet sich aktuell noch in einem Aktualisierungsprozess, der aufgrund veränderter Prioritäten vorgenommen wird. Die Stadtverwaltung wird dazu nach der Sommerpause in der Informationsvorlage ‚Bericht zum aktuellen Stand der Fahrradförderung‘ im Ordnungs- und Verkehrsausschuss berichten.“
Begonnen werden soll auf jeden Fall noch der Bau der ersten Radleitroute, der durchgehenden Verbindung zwischen dem Flughafen und dem Südring in Bilk.
Ursachen des geringen Tempos beim Radwege-Ausbau
Rahmenbedingungen: Auf meine Frage nach den Ursachen für die Verzögerungen verwies die Stadt auf den geringen Platz. Düsseldorf belegt bei der Einwohnerzahl Rang sieben in Deutschland, bei der Fläche aber nur Platz 17. Das erschwere es zusätzlich, Radwege in die vorhandene Infrastruktur zu integrieren. Zudem führe es zu verstärkter Konkurrenz zwischen den Verkehrsteilnehmer:innen. Deshalb müssten Politik und Verwaltung stärker abwägen und „sehr häufig eine Vielzahl von Planungsvarianten und -untervarianten“ erarbeiten. Das koste weitere Zeit.
Rathaus: Für den Radverkehr zuständig ist das Amt für Verkehrsmanagement. Dieses hat die neue Abteilung „Radverkehr“ gegründet, in der Projektgruppen entstehen und alle Vorhaben koordiniert werden sollen. Das ist an sich ein vernünftiges Vorhaben. Ich hätte allerdings vermutet, dass es eine solche Abteilung schon viele Jahre gibt. Dass dies nicht der Fall war, zeigt meines Erachtens, dass das Amt für Verkehrsmanagement aus seiner Tradition heraus auf den Autoverkehr ausgerichtet ist. Mindestens bis 2014 war das der klare Schwerpunkt im Haus. Dies zu ändern, dauert offenbar lange. Aus dem übergeordneten Verkehrsdezernat sind mir keine wirkungsvollen Impulse in dieser Hinsicht aufgefallen.
Das Problem in der Verwaltung zeigt sich noch an einer zweiten Stelle. Die großen zusammenhängenden Wege (Radleitrouten) soll die städtische Tochter IPM (Immobilien Projektmanagement Düsseldorf) umsetzen, während sich das Amt für Verkehrsmanagement auf die normalen Projekte konzentriert. Die IPM hat sich im Schulbau bewährt und diesen entscheidend vorangebracht. Dies erhofft man sich nun auch für die großen Routen. Mehr Tempo oder gesteigerte Effizienz sind bisher aber nicht zu erkennen. Es gebe Abstimmungsschwierigkeiten mit dem Amt, höre ich in diesem Zusammenhang immer wieder.
Politik: An Aufträgen aus dem Stadtrat und seinem Verkehrsausschuss mangelt es nicht. Die Politikerinnen und Politiker haben jede Menge Projekte beschlossen und drängen darauf, dass diese Wirklichkeit werden. Bei Grünen, SPD, der Linken sowie Die Partei/Klima ist dies besonders ausgeprägt. Die FDP hat ein erstaunliches Faible für Fußgänger:innen und plädiert dafür, alle Verkehrs-Arten gleich zu behandeln. Die CDU ist bei dem Thema nicht so leidenschaftlich wie der grüne Kooperationspartner, bremst aber nur in Einzelfällen.
Bleibt der Oberbürgermeister. Der war zwar am Abend der Europawahl auf dem Fahrrad unterwegs, die Schwächen des Netzes scheinen ihm dabei aber nicht nachdrücklich aufgefallen zu sein. Der Radverkehr hat bei ihm offenbar einen mittleren Stellenwert. Sicherheit und Sauberkeit, Digitalisierung und die neue Oper rangieren in seiner Favoriten-Liste merklich höher. Wenn für Radwege Parkplätze wegfallen, schaut er sehr genau hin.
Das ist aus meiner Sicht ein Knackpunkt. In der Verwaltung beobachtet man genau, was dem Oberbürgermeister am wichtigsten ist, mit welchen Themen man punkten kann und bei welchen selbst gute Ausreden nicht helfen. Derartige Signale empfangen die Beteiligten zum Radwegebau nicht. Dabei müsste der Oberbürgermeister dafür nur an das Jahr 2020 denken und sich selbst zitieren.
Den zweiten Teil der Geschichte lesen Sie hier.
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