Düsseldorf ist Stau-Hauptstadt – und bleibt das auch

Wir sind die Nummer eins beim stehenden Verkehr. Die Nachricht scheint viele Politiker überrascht zu haben. Aufgeregt präsentiert man nun Lösungsvorschläge. Die jedoch sind entweder nutzlos oder nur schwer umzusetzen. Denn das Problem ist der Mensch am Steuer.
Von Hans Onkelbach (Text)
und Andreas Endermann (Foto)
Veröffentlicht am 20. Januar 2025
Stau Corneliusstrasse
Berüchtigtes Nadelöhr auf dem Weg in die Stadt: die Corneliusstraße. Der Stau dort ist Standard.

Mehr Park-and-Ride-Plätze, bessere Ampelschaltungen, buchbare Plätze in Hoch- oder Tiefgaragen: Wie zu erwarten, hat man sich nach Bekanntwerden der jüngsten Stau-Statistik des Verkehrslagedienstes Inrix mit Düsseldorf auf Platz eins umgehend Gedanken gemacht. Im Rathaus spielte man das Ganze herunter, zugleich meldete sich die SPD zu Wort. Anderthalb Din-A4-Seiten, eng beschrieben voller Änderungsvorschläge inklusive Anklage gegen Oberbürgermeister Stephan Keller als Versager in der Verkehrspolitik waren das Ergebnis. So, als würde er sich auf die Fahrbahn kleben und die Autos behindern. Wirklich Neues und womöglich Wirkungsvolles ist bei den Ideen der Genossen nicht dabei.

Wie auch? Das Problem ist seit Jahren bekannt, alle möglichen Fachleute werkeln an einer Lösung, der amtierende Rathauschef hat tatsächlich mal die staufreie Stadt versprochen. Geholfen hat das alles nichts. Für die Lage gibt es viele Gründe, aber wenig Alternativen oder gar Lösungen.

Die Pendler
Wenn SPD-OB-Kandidat Fabian Zachel jetzt markig erklärt, er werde das Thema im Falle seiner Wahl priorisieren, hofft er natürlich auf Stimmen. Offenbar übersieht der Mann, dass vom allmorgendlichen Stopp-and-Go vor allem Menschen aus dem Umland betroffen sind. Denn die wollen, nein: müssen hier zur Arbeit. Sie sind aber nicht seine Wähler.

Täglich kommen (die Zahlen schwanken je nach Quelle und Mess-Art) rund 300.000 Frauen und Männer hierher, die allermeisten mit dem Auto: etwa 68 Prozent. Die gute Nachricht: Der Anteil sinkt, allerdings langsam. 2013 lag er noch bei 71 Prozent. Dagegen steigt die Nutzung von Bus und Bahn. Sie dürfte heute bei rund 25 Prozent liegen. Diese Zahlen stammen aus einer Mobilitätsbefragung für die Stadt Düsseldorf, dem Pendleratlas NRW und von Zahlen des Landesbetriebs IT.

Die Realität für die allermeisten sieht so aus: Aus Richtung Breitscheider Kreuz/A3/Essen stehen sie auf der A52 vor der Ampel am Vogelsanger Weg und kurze Zeit später noch einmal am Mörsenbroicher Ei. Andere quälen sich über die einspurige Landstraße B7 aus Richtung Mettmann, über die A52 vom Kaarster Kreuz, auf der A46 durch den Werstener Tunnel, über die B8 aus Benrath/Garath bis zum Fleher Knoten, über die B8n aus Richtung Norden, aus Neuss über die Südbrücke bis zur Völklinger Straße/Rheinufertunnel. Die Liste ist keineswegs vollständig.

Wer morgens zwischen 8 und 9.30 Uhr die Stadt auf einer dieser Routen verlässt, sieht das aufgereihte Blech gegenüber. Und man sieht meist nur jeweils eine Person im Fahrzeug. Das ist übrigens kein Düsseldorf-typisches Problem. Laut dem Institut für Stadt- und Raumforschung arbeiten bundesweit sechs von zehn Beschäftigten nicht in der Stadt, in der sie leben. Das hat Folgen: Jeder Pendler verliert pro Jahr durch nutzloses Warten im Wagen rechnerisch knapp 500 Euro, insgesamt kalkulieren Fachleute den volkswirtschaftlichen Schaden auf 3,6 Milliarden Euro.

Die Alternativen

Die Waggons der Linie U76 aus Krefeld, die U79 aus Duisburg über Wittlaer/Kaiserswerth oder die U75 aus Neuss über den Handweiser sind morgens voll. Ähnliches gilt für die S-Bahnen – soweit im Einsatz und im Angebot. Das jedoch reicht nicht. Zumal die Verbindungen aus Mettmann, Velbert oder anderen Städten des Umlandes zwar vorhanden, aber nicht attraktiv genug sind. Anders gesagt: Versuchen Sie mal, aus Leichlingen (Rheinisch-Bergischer Kreis) oder Viersen ohne Auto nach Düsseldorf zu kommen. Das geht, doch es dauert. In der zersiedelten Landschaft dieser Gegenden ist der nächste Haltepunkt oft abschreckend weit, und ungünstige Taktung oder Ähnliches schrecken potenzielle Nutzer ab.

Das Auto nur für einen Teil der Strecke zu nutzen, ist ebenfalls wenig reizvoll, denn ein wirklich attraktives Park-and-Ride-System am Stadtrand ist kaum vorhanden.

Das Fahrrad hat zwar in den vergangenen Jahren spürbar an Bedeutung gewonnen, vor allem durch die Verbreitung der E-Bikes. Es spielt jedoch lediglich bei den so genannten Binnen-Pendlern eine nennenswerte Rolle. Das sind die Menschen, die innerhalb der Stadt von A nach B zur Arbeit fahren. Auf den Andrang von außen hat das kaum Einfluss.

Der Komfort im Auto
Der eigene Wagen ist für viele Menschen Teil ihres Zuhauses. Sitzheizung, Klimaanlage, perfekter Sound für Musik oder Nachrichten, gerne ergänzt durch Podcasts und im Cup-Holder der Mittelkonsole der heiße Kaffee aus dem Thermobecher – das ist komfortabler Standard. Vielen ist das lieber, als in einer voller Bahn zu sein, auf Tuchfühlung mit Zeitgenossen, denen am Abend zuvor noch ein Extra-Klecks Knoblauchsauce auf der Pizza Salami, dafür die morgendliche Dusche nicht so wichtig war. Aufgeben werden sie die langwierige, aber komfortable Fahrt mit ihrem Pkw erst dann, wenn die Alternative wirklich verlockend ist. Den Kaffee braucht es dazu vermutlich nicht.

Es geht auch anders
– Verkehrsvisionäre schlagen für deutsche Kommunen Hubs am Stadtrand vor, die mehr wären als nur Fläche für den Wagen. Gastronomie, Einkaufsmöglichkeiten, E-Station, Fahrradgaragen, sogar Service rund ums Fahrzeug jeder Art würden diese kleinen Raststätten anziehend machen. Planung, Grundstücksregelung und Bau sollten in Kooperation mit angrenzenden und über ihre Einwohner betroffenen Kommunen ablaufen.

– Der Blick in den Großraum Zürich zeigt, wie Straßenbahnen hohes Ansehen haben können. Bis in die 1980er Jahren war auch dort das Auto das bevorzugte Verkehrsmittel vom Umland in die Stadt. Konstant ging der Anteil nach unten, heute liegt er bei 25 Prozent. Die Bahn und die Tram habe den weitaus größten Pendleranteil. Sie haben ein hervorragend verbundenes Netz, sind pünktlich, sauber und nicht einmal günstig. Klugerweise hat man die Preise gestaffelt. Außerhalb der Rushhour zahlt man weniger. (Quelle: Statistik Amt Zürich). Züri-Tram fährt der Bank-Chef neben dem Studenten, der Handwerker neben dem Arzt. So ganz freiwillig hat sich das nicht entwickelt. Zürich mit dem Auto zu durchqueren, ist ein Alptraum, sagt ein Kenner der Stadt. Und Plätze im Parkhaus sind teuer, sie kosten pro Tag rund 50 Schweizer Franken.

– Manche Regionen in den USA, vor allem in Kalifornien, fördern Fahrgemeinschaften mit eigenen Fahrspuren. HOV steht dabei für „High-Occupancy Vehicle“. Gemeint ist: Mindestens zwei Personen sitzen im Wagen, bisweilen müssen es sogar ausdrücklich mehr sein. Piktogramme auf dem Asphalt zeigen eindeutig, wer dort mit wie vielen Passagieren fahren darf. Wer die Voraussetzungen erfüllt, kann dann über die für den Rest gesperrte Fahrspur am Stau vorbei rauschen.

– London, New York und andere Metropolen versuchen, mit einer City-Maut Abhilfe zu schaffen. Es wäre in Düsseldorf einen Versuch wert, würde aber nur den Kern der Innenstadt entlasten. Viele Pendler jedoch fahren in andere Teile des Stadtgebiets: Flughafen, Messe, Hafen, Rath oder Reisholz. Außerdem wäre dieses Eintrittsgeld nur zumutbar, wenn es entsprechende Alternativen gäbe.

Fazit
Düsseldorf trägt nun den Titel Stauhauptstadt. Dass man ihn alsbald weitergibt, ist unwahrscheinlich. Außerdem sind Platz zwei und drei auch nicht die reine Freude. Schnelle Lösungen kann man nicht erwarten, es gibt allenfalls Chancen auf kleine Verbesserungen. Ändern muss sich der Umgang der Menschen mit dem Auto. Das jedoch geschieht nur, wenn es ausreichend verlockende Alternativen gibt – und die sind nur mit langem Atem zu schaffen. Starten könnte man ja mal mit einer besseren Baustellen-Koordination inklusive darauf abgestimmter Ampelschaltungen. Das wäre immerhin ein Anfang.


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