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Wir warten aufs Eis

Andere Lokaljournalisten testen in Eisdielen das Eis, ich habe an einem sehr heißen Juli-Wochenende lieber die Warteschlangen davor getestet. Steht man in Oberkassel anders an als in Bilk?

Veröffentlicht am 2. August 2022
Eiscafe Pia
Der Klassiker unter den Düsseldorfer Eisdielen-Warteschlangen: Pia an der Kasernenstraße. Foto:; Markus Luigs

Es muss sich ein Eisdielenbesitzer schon viel Mühe geben, um ein schlechtes Eis herzustellen. Bei einem Produkt mit viel Zucker und Sahne ist es unwahrscheinlich, dass es am Ende nicht schmeckt. Deshalb gibt es in Düsseldorf auch fast keine Eisdiele, die im Internet schlecht bewertet wird. Der einzigen, der das gelingt, wird nicht für ihr Eis kritisiert, sondern für ihre enorm hohen Preise. Ja, du bist gemeint, Eiscafé Ra Luna am Rathausufer.

Während andere Lokaljournalisten dennoch jeden Sommer Eissorten in Eisdielen testen, habe ich mir lieber vorgenommen, an einem Wochenende fünf Warteschlangen vor Eisdielen zu testen. Denn ich vermute, dass die sich im Gegensatz zum Eis doch erheblich voneinander unterscheiden. Dazu habe ich mir ein paar Regeln auferlegt: Mit keiner Silbe werde ich auf eine bestimmte Eissorte eingehen, ich werde nicht mal bestimmte Eissorten nennen, auch keine Preise. Ich werde kein Eis probieren, nicht eine Kugel, damit mein Urteil über die Warteschlange nicht von der Qualität des Speiseeises beeinflusst wird. Es gibt hier rein gar nichts zu erfahren über Eis.

Eiscafe Pia – die klassische Warteschlange

Es ist viel schwieriger, als ich angenommen habe, an einem Sommersamstagnachmittag bei knapp 30 Grad in der Düsseldorfer Innenstadt eine Eisdielenwarteschlange zu finden. Vielleicht gibt es eine Temperatur, ab der man zwar unbedingt ein Eis will, es aber zu heiß findet, um rauszugehen. Vielleicht essen Düsseldorfer:innen erst ab einer bestimmten Uhrzeit Eis. Vor dem Eiscafe Pia, einer klassischen italienischen Eisdiele an der Kasernenstraße 1, entdecke ich sie als erstes. Da ist es grad mal kurz vor zwei. Sie ist zwar mal länger und mal kürzer, aber wenn sie fast verschwunden ist, kommen Vater, Mutter, Sohn herbeigeschlendert, fast so, als wären sie gerufen worden, und dann wartet man zehn Meter und mehr.

Die Schlange bewegt sich von rechts her an der Häuserfassade entlang auf die Eistheke zu, die dem Bürgersteig zugewandt ist. Deshalb versperrt sie den Weg nach drinnen in den Sitzbereich und den halben Gehweg. Von rechts her deshalb, weil von dort die meisten Leute kommen, seitlich deshalb, weil wenn sich alle vor die Eisdiele stellten, ständen sie bald auf der Kasernenstraße, und da ist Verkehr, weshalb man hier nicht gerade lärmfrei wartet. Man hat erst kurz vor der Bestellung die Möglichkeit, einen Blick aufs Eis zu werfen, das könnte Wechselwähler in Stress versetzen. Nur das Wort „Eis“ in roter Schrift auf weißem Grund, das über den Köpfen der Leute an der Mauer hängt, sehen die Wartenden schon von Weitem.

Man wartet friedlich und geduldig. Wer hier ansteht, weiß, was er tut. Die Kasernenstraße ist keine Flaniermeile, die wenigsten kommen zufällig vorbei. Es ist eine Kennerschlange. Ich habe den Eindruck, dass das Warten für die Leute vor dem Eiscafe Pia dazugehört. „Es geht heute“, sagt ein junger Mann. Man stellt sich aufs Warten ein und ist froh, wenn die Schlange doch nicht ganz so lang ist. Sie bewegt sich auch zügig. Eis hat ja den Vorteil, dass es nicht noch zubereitet werden muss, sondern sofort in Waffel oder Becher geschaufelt werden kann.

Hier steht das gemischte bürgerliche Düsseldorfpublikum an, auch Fahrrad-Oldie Dieter, wie auf seiner Warnweste zu lesen ist. Die Leute tragen Kopfbedeckungen und nackte Beine und sind eher älter als jünger, wenige Jugendliche und junge Erwachsene. Die Poloshirt-Dichte ist hoch. Dank der Häuserschluchten wartet man im Schatten. Die Leute schauen konzentriert, über ihre Wahl nachdenkend, die Handgelenke haben sie vor dem Bauch gekreuzt, in einer Hand die Geldbörse. Kaum jemand holt hier sein Handy raus.

Die Schlange geht locker bis zu einem Anbieter von Schönheitschirurgie. „Bekomme jetzt Düsseldorfs schönste Lippen“, wird auf einem riesigen Schild im Laden versprochen. Aber jetzt gerade will niemand Düsseldorfs schönste Lippen, sondern einfach ein Eis.

Yomaro – die junge Warteschlange

Zwei Treppenstufen führen hinauf und hinein ins Yomaro, Carlsplatz 6b, ganz so, als ob man sicherstellen wolle, dass weder Kinderwagen noch alte Leute es in den Laden schaffen. Völlig unnötig, denn kein Kind sagt: „Mama, ich will frozen yogurt.“ Sie werden nicht gefragt: „Maximilian, was für ein Topping willst du?“ Alte Leute verstehen sowieso nicht, was das sein soll, Frozen Yogurt. Denn im Yomaro gibt es kein klassisches Eis, statt Sahne wird Joghurt verwendet und der Geschmack kommt durch Toppings, so heißt das heute, also süßes Zeug, das draufgekippt wird, Schokolade, Früchte. Hier wird für das Eis nicht nur damit geworben, dass es lecker ist. Dieses Eis macht andere Versprechungen: zuckerreduziert, Vitamine, 1,5 Prozent Fettgehalt.

Deshalb sind die Leute in der Warteschlange zwischen 15 und 45. Wer nicht jung ist, trägt immerhin junge Kleidung. Man ist eher schlank, eher schön, das Eis für Models und solche, die sich für welche halten, Menschen, die auf ihren Körper achten, auch wenn das im Falle des Frozen Yogurt Selbstbetrug sein könnte, je nach Topping. Die Menschen tragen Vans und aufgekrempelte Jeans, sie sind eher weiblich. Sie warten fast nie allein, was daran liegen könnte, dass junge Menschen selten allein unterwegs sind. Das Eis ist in größerer Gefahr, fotografiert zu werden.

Die Schlange ist mal gar nicht vorhanden, und dann zieht sie sich wieder mehr als zehn Meter schräg über die Straße, Autos fahren hier zwar, aber wenig und langsam. Eis bestellt man drinnen, nimmt es raus, setzt sich auf die Bänke, die aus Getränkekisten von Charitea und Brettern gebaut wurden. Links daneben ist das Cøffe, wo es skandinavischen Kaffee gibt, was auch immer das heißt, albern jedenfalls, denn sowohl auf Dänisch als auch auf Schwedisch als auch auf Norwegisch heißt Kaffee kaffe.

Unbehaun – die längste Warteschlange

Auf welchen Andrang sich Düsseldorfs mit Abstand bekannteste Eisdiele täglich einstellt, zeigen die großen Plastikmülleimer, die auch auf der gegenüberliegenden Straßenseite am Zaun des Lidl-Parkplatzes angebracht sind. Schon an einem Sonntag gegen zwei sind sie gut gefüllt mit den Bechern, die ähnliche It-Pieces sind wie die grünen Heinemann-Tüten. Zu den bisher von mir besuchten Eisdielenschlangen ging man zu Fuß, doch Unbehaun, Aachener Straße 159, liegt so dermaßen im Bilker Niemandsland, dass die Leute mit den Rädern und mit dem Auto kommen, ich möchte sagen anreisen, so dass der Supermarktparkplatz auch am Sonntag gut gefüllt ist. Und sie kommen nicht nur aus Düsseldorf, wie die Nummernschilder zeigen, sondern auch aus Neuss, Mönchengladbach, den Kreisen Kleve und Mettmann. Das Unbehaun ist Ausflugsziel.

Schnell steht man hier in einer Schlange, die sich den Bürgersteig entlangzieht. Das Eis bekommen die Kunden drinnen, aber selbst von dort können sie es nicht sehen, weil es in Schüsseln liegt, die in die Theke eingelassen sind. Dafür sieht man die Menschen, wie sie ihre Becher heraustragen, und sowieso gibt es ja nur immer dieselben fünf Sorten (Googeln Sie es bitte selbst). Es ist eine flotte Schlange, das Eis wird zügig und leicht theatralisch in die Becher gestrichen. Das Publikum ist noch eine Spur klassischer als bei Pia, eine Spur deutscher und kartoffeliger. Hierhin kommen einfach alle weißen Menschen, Familien, Rentner:innen, Pärchen, Kinder, Buddies, Motorradfahrer:innen.

Idyllisch ist das Warten nicht, viel Verkehr, auch durch anreisende Besucher, die Straße dutzendfach geflickt, rechts daneben ein Mietshochhaus. Die Schlange wäre noch länger, wenn alle, die ein Eis wollen, sich auch dort anstellten. Aber meist geht nur einer für den Rest der Gruppe holen, die im Auto wartet oder zuhause, weshalb regelmäßig ganze Pakete rausgetragen werden. Es gibt ja nur diese fünf Sorten, da muss man nicht noch selbst schauen. Einige bringen auch eine Kühlbox mit. Kaum vorstellbar, was los wäre, läge das Unbehaun in der Altstadt.

Nordmanns Eisfabrik – die Birkis-Warteschlange

Die gepflasterte Terrasse führt leicht hinauf in Nordmanns Eisfabrik, Hermannstraße 22a, es bleibt nur eine Kante als Stolperfalle. Ein Problem für Rollstühle, aber nicht für Kinderwagen, und das ist ja das wichtigste in Flingern, Barrierefreiheit für Kinderwagen. Eine Mutter mit Kinderwagen-Zweisitzer sagt an diesem Sonntagnachmittag zu einem Freund: „Im Sommer ist Flingern komplett ausgestorben außer hier.“ Flingern kann sich Urlaub leisten. Und während die einen in Georgien durch die Berge wandern oder mit der Kleinfamilie am Nordseestrand liegen, gehen die Daheimgebliebenen in die Eisdiele oder setzen sich auf die Terrasse davor. Mehr Kinderlärm hat keine Düsseldorfer Eisdiele zu bieten. Dennoch muss ich ein bisschen warten, bevor sich eine Schlange bildet, die sich aus der Eisdiele heraus ins Freie verlängert. Die meisten sitzen doch lieber auf der Terrasse.

Die Menschen hier tragen Sneaker und Flip-Flop, aber vor allem tragen sie Birkenstock. Keine nagelneuen Modelle, sondern alte, ausgelatschte. Hier muss die höchste Birki-Dichte der Stadt sein, was vermuten lässt, dass sie es nicht weit zu Fuß haben. In der Schlange stehen Väter, die aber jung bleiben wollen, weiter Vollbart tragen möchten und ironisch Trucker-Caps. Sie haben jetzt doch ein Bäuchlein bekommen, wirklich nur ein kleines, Frauen sind nach der Geburt ihres Kindes wieder schlank geworden. Die Leute sind nicht schick, aber stilbewusst, in dieser schwierigen Phase zwischen jung und junggeblieben. Sie tragen gedeckte, naturnahe Farben, bitte nicht bunt, sie tragen Jeans-Shorts, am besten wie von der Sonne ausgeblichen, Leinenhosen oder Leinenkleider. Hier hört man eher Italienisch und Japanisch als Türkisch, aber Japanisch auch nur, weil man mit einem Japaner zusammen ist. Kinder stellen sich mit an. Ansonsten sind die Menschen älter als 30, aber auch nicht viel älter als 40, eigentlich sind alle 37. Es gibt keine Jugendlichen. „Bist du fertig, Theodor?“, fragt eine Frau.

Vor dem Eingang steht eine Ladesäule für E-Autos, gegenüber befindet sich der Fahrradladen Awsum und NineOFive, eine hippe Pizzabude, in der schon die Margherita 10,50 Euro kostet, weil der Teig so lange geht. Hier ist Tempo 30, Autos fahren natürlich trotzdem ein paar vorbei, aber das Kiez-Feeling stören sie nicht. Früher sagte man ja Viertel. Ich wundere mich, bevor ich gehe, noch, warum es gerade hier eigentlich Eisfabrik heißt und nicht Eismanufaktur.

Gelateria La Romana – die langsamste Warteschlange

Kaum stehe ich vor der Gelateria La Romana, Barmer Straße 35, will ich schon wieder gehen. Denn es gibt gar keine Schlange, die paar Wartenden verteilen sich am späten Sonntagnachmittag locker an der Theke im Laden selbst. Für mich ist eine Schlange, in der niemand draußen wartet, keine Schlange. Aber das ist Oberkassel, und ich will wissen, wie die Reichen anstehen. Also warte ich auf die Warteschlange. Während in fast allen Eisdielen Kartenzahlung unmöglich ist, wird hier mit Schild am Eingang gebeten, kontaktlos zu zahlen. In Oberkassel zahlen sie bestimmt auch Kaugummis mit der Kreditkarte. Vielleicht sind alle im Urlaub, denke ich, dann aber stehen die Leute plötzlich doch auf dem Bürgersteig, sogar zehn Meter. Es ist nicht so, dass plötzlich viele Gäste auftauchen. Die Schlange bewegt sich einfach wahnsinnig langsam. Ich habe an diesem Wochenende keine langsamere gesehen. Vermutlich hat das damit zu tun, dass die Gelateria der Gegenentwurf zu Unbehaun ist. Nicht fünf schlichte Eissorten, sondern sehr viele mit sehr komplizierten Namen, quasi Ben&Jerry auf Italienisch.

Hier trägt man deutlich weniger Birkenstock, sondern lieber sehr weiße und sehr neue Sneaker. Oder auch weiße Jeans. Vielleicht will man damit signalisieren, nicht körperlich zu arbeiten. Die Menschen sind schön und schick, sie tragen auch mal Glitzer und T-Shirts, für die ein Farbkasten gestorben ist, man schämt sich im Gegensatz zu Flingern nicht für sein Geld. Wer aus dem Ausland kommt, kommt aus China oder Japan. Die rich kids of Oberkassel tragen übergroße T-Shirts. Einige Männer tragen auch Mokassins. Man ist überwiegend schlank, auch alte Menschen lassen sich nicht gehen. Kleine Kinder gibt es fast keine. Kinderwagen kann man über die Stufen ohnehin nicht in den Laden schieben. Gegenüber ist ein Reisebüro für maßgeschneiderte Reisen nach Australien und Neuseeland.

Ich würde gerne schreiben, dass reiche Menschen nicht geduldig warten können, aber sie können es. Wer hat es schon eilig in einer Eisdielenwarteschlange?


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