
Gebrauchsanweisung für Düsseldorf im Jahr 1928
Den Anstoß geben Erika und Klaus Mann – die beiden ältesten Kinder des Literaturnobelpreisträgers Thomas Mann. Per Zufall entdecke ich ihr Buch von der Riviera, im Original erschienen im Jahr 1931 und heutzutage in einer mit historischen Fotos versehenen Neu-Ausgabe erhältlich: Während die NS-Diktatur bereits im Anflug ist, sausen die so avantgardistischen wie hedonistischen Mann-Geschwister, beide Mitte Zwanzig, im offenen Ford an der Côte d´Azur entlang. Sie besuchen Marseille, Nizza, Cannes und Monte Carlo und schreiben ihre Beobachtungen und Erlebnisse, garniert mit Hotel- und Restauranttipps, in einen Reisebericht – eigenwillig, unprätentiös, ironisch, subjektiv, leicht versnobt, gut lesbar. Ein Zeit-Dokument.
Als ich eine Arte–Doku schaue, die der Route der beiden folgt, wird mir bewusst, dass das Buch ursprünglich eine Auftragsarbeit und Teil einer Reihe gewesen ist, mit wechselnden namhaften Autoren: Seit 1927 bringt der Piper-Verlag Was nicht im Baedeker steht heraus, eine feuilletonistisch-alternative Antwort auf den damaligen Prototyp des Reiseführers – die klassisch gestalteten Bände aus dem Verlag Karl Baedeker mit den üblichen Touristeninfos, im roten Leineneinband und in goldgeprägter Beschriftung. Im Grunde genommen scheint es sich bei Was nicht im Baedeker steht um den Vorgänger und Inspirationsgeber der Reihe Gebrauchsansweisung für … zu handeln, die seit 1978 – ebenfalls bei Piper – erscheint.
Umgehend frage ich mich, ob es in den zwanziger Jahren wohl auch eine Ausgabe über Düsseldorf gegeben hat. Ergebnis der ersten Recherche: Ja, wenn auch nur zu einem „Drittel“. Dazu später mehr. Erst mal muss ich das Buch haben. Bei den üblichen Online-Antiquariaten finde ich eine gut erhaltene Ausgabe für knapp 80 Euro und eine angefledderte für 25. Ich nehme die Zweite. Und nun, nach der Lektüre, wage ich den Versuch: eine „Gebrauchsanweisung“ für die „Gebrauchsanweisung“.
Das Buch
Unter den deutschen Städten hat es in der erwähnten Reihe nur bei Berlin, München, Hamburg und Leipzig für einen „Headliner“-Aufritt gereicht. Und so wie Frankfurt in einen Sammelband mit Mainz und Wiesbaden gepackt wird, muss auch Düsseldorf mit zwei Nachbarstädten „koalieren“. Was nicht im Baedeker steht. Das Buch von Köln, Düsseldorf, Bonn umfasst 230 Seiten. Davon entfallen 137 auf Köln, 50 auf Düsseldorf und 12 auf Bonn. Im Anhang: ein Namens- und Sachregister, ein „Kleines Wörterbuch der Kölner Mundart“ und ein Karnevalslied.

Der Autor
Die – nimmt man die Einwohnerzahlen als Maßstab – „ungerechte“ Gewichtung dürfte einer Vorgabe des Verlags entsprechen. Der Autor Hermann von Wedderkop (1875-1956), der auch die Ausgaben für Paris, Rom, London und Oberitalien verantwortet, lässt nämlich zwischen den Zeilen mehr Sympathie für Düsseldorf als für Köln erkennen – und das, obwohl der ursprünglich aus Mecklenburg stammende Jurist lange Jahre in Köln gearbeitet hat. Warum? Lernen wir ihn und sein Schaffen doch ein wenig kennen: 1907 trifft der Regierungsbeamte – von seinem Freunden auch „Weddo“ genannt – den Düsseldorfer Galeristen Alfred Flechtheim (1878-1937). Als Quereinsteiger wird er Teil der Kunstszene, schreibt als Kritiker für diverse Fachzeitschriften, sitzt im beratenden Ausschuss der in Düsseldorf gegründeten Künstlervereinigung Junges Rheinland – bis ihn der ab 1921 in Berlin lebende Flechtheim schließlich als Herausgeber für den Querschnitt gewinnt.
Von Wedderkop verwandelt das Mitteilungsblatt von Flechtheims Galerie in Deutschlands führende intellektuelle Zeitschrift der 1920er Jahre. Ästhetisch gestaltet, nicht klar einzuordnen im Spannungsfeld zwischen Humor und Ironie, mit überraschenden „Solos“ fernab der Harmonie provinzieller Spießigkeit. Manche sagen: das „Saxophon unter den deutschen Kunstzeitschriften“. Neben launigen Kurztexten zu Gesellschaft, Sport und Jazz hebt der neue Herausgeber Essays, Gedichte, Reportagen und Erzählungen bekannter und „wilder“ Autorinnen und Autoren ins Heft – von James Joyce, Mascha Kaleko und Paul Cassirer bis Klaus Mann (auch hier beteiligt), Robert Musil und Else Lasker-Schüler. Dazu gibt es Gemälde-Reproduktionen, und sogar die Titelzeichnungen stammen häufig von heute weltberühmten und damals noch am Anfang ihres Ruhms stehenden Künstlern wie Pablo Picasso, Marc Chagall und George Grosz. Herausgeber von Wedderkop schreibt im Sommer 1924 selbstbewusst: „Die gesamte geistige Elite des Auslandes, alle führenden Literaten, Künstler, Musiker stehen mit uns in ständiger Verbindung.“
Auch Fotos gehören zum Konzept des – so die Selbstbezeichnung – „Magazins der aktuellen Ewigkeitswerte“, gelegentlich auch solche von männlichen und weiblichen Aktmodellen. Quasi: ein Zeitgeistmagazin. Vielleicht kommt manch einem, wenn dieser Begriff fällt, die Zeitschrift Tempo der späten Bonner Republik und des frühen wiedervereinten Deutschlands in den Sinn. Andere Ära, ähnlicher Ansatz. Wobei es sogar Experten gibt, die vermuten, die Macher des vier Jahre nach dem Querschnitt gegründeten New Yorker hätten sich nicht zuletzt auch am Magazin von Flechtheim und von Wedderkop orientiert.

Florian Illies hat Hermann von Wedderkop in der Zeit jedenfalls vor einigen Jahren als „besten deutschen Blattmacher vor dem Zweiten Weltkrieg“ beschrieben, der den Querschnitt zum „Zentralorgan der Avantgarde“ gemacht habe: „Was für eine Zeitschrift! Dem Jahr 1927 wie aus dem Gesicht geschnitten, geschichtsvergessen, assoziationslüstern, nervös, immer dabei, Heroen zu zertrümmern, Hierarchien aufzuweichen und hellwach die wildesten visuellen Verbindungen zu knüpfen. Die Kunst war hier eine Spielart des Lebens – ihre Bilder tauchten neben denen von Boxern auf, von Menschen am Strand und antiken Fresken.“
In diesem Sinne: Die „Avantgarde“ kennt von Wedderkop, und von Wedderkop kennt die „Avantgarde“. Er ist Teil eines aus Bekanntschaften, Freundschaften, Beziehungen und Seitensprüngen geknüpften Netzwerks. So schreibt für den Querschnitt auch der aus Düsseldorf stammende Skandalautor und Bürgerschreck Hanns Heinz Ewers (1871-1943, es gibt bei VierNull eine Kolumne von mir über ihn), der mit Querschnitt-Gründer Alfred Flechtheim befreundet und damals der meistübersetzte Autor des Landes ist. Ewers wiederum hat mit der französischen Künstlerin Marie Laurencin (1883-1956), über die von Wedderkop eine Monografie geschrieben hat, eine langjährige Affäre unterhalten. Im Januar 1925 erscheint im Querschnitt ein Kapitel aus Ameisen, dem wohl schrägstem und unwissenschaftlichstem Wissenschafts-Buch aller Zeiten: In erzählerischen Passagen durchbricht der Literat Ewers darin immer wieder den fachlichen Rahmen der Ameisenforschung, und im Vorabdruck schildert er einen „gemeinsam mit Marie Laurencin, der Malerin“ abgestatteten Besuch bei Jean-Henri Fabre im Südosten Frankreichs – heute gerühmt als ein Wegbereiter der Verhaltensforschung. Jene Marie Laurencin, die während ihrer Ewers-Affäre überdies mit dem in Pariser Künstlerzirkeln um das Café du Dôme verkehrenden Düsseldorfer Maler Otto von Wätjen verheiratet ist und mit ihm 1918 auch für ein Jahr in Düsseldorf lebt, wird nicht nur von Pablo Picasso, sondern auch von der ebenfalls in Paris ansässigen Schriftstellerin und Kunstsammlerin Gertrude Stein („natürlich“ Querschnitt-Autorin) protegiert.
In Steins Literatur- und Kunst-Salon in Paris treffen sich aufstrebende Kreative aus aller Welt, darunter auch viele ihrer Landsleute aus den USA, die es nach Europa gezogen hat. Da sind zum Beispiel die Schriftsteller F. Scott Fitzgerald (Der große Gatsby) und Ezra Pound – und da ist ein gewisser Ernest Hemingway, 1922 als Literat noch unbekannt und in Paris Korrespondent für die Zeitung Toronto Star. Gertrude Stein wird seine Mentorin, rät ihm, sich noch stärker aufs Literarische zu konzentrieren.
Nachdem Flechtheim und von Wedderkop 1924 den Berliner Hermann Ullstein überzeugt haben, den Querschnitt monatlich im Propyläen-Verlag erscheinen zu lassen, steigt nicht nur die Auflage, sondern auch die internationale Bekanntheit des Magazins. Und so kommt es, dass die Redaktion noch im gleichen Jahr Post von Hemingway aus Paris erhält. Der hat seine Stierkampf-Erzählung „The Undefeated“ zuvor allen möglichen amerikanischen und britischen Magazinen angeboten, von „etabliert“ bis „underground“ – ohne Erfolg. Von Wedderkop jedoch erkennt Hemingways Potenzial, reist nach Paris, wo sich die beiden im Apartment von Ezra Pound treffen, der bereits im Querschnitt veröffentlicht hat.
Die Chemie stimmt, und Hemingway, der seine Stories in Paris bisher nur bei von Expat-Freunden geführten Kleinstverlagen unterbringen konnte, ist begeistert vom Konzept des Magazins. Schon bald persifliert er seinen Herausgeber liebevoll-ironisch als „Wedderschnitt vom Querkopf“, und so wird der Deutsche Hemingways erster „richtiger“ Verleger. Die Übersetzung der dreißigseitigen Stierkampf-Geschichte bringt der Querschnitt 1925 in zwei Teilen („Der Unbesiegte“).
Über diesen Umweg landet sie zwei Jahre später in einer viel beachteten US-Anthologie, leitet damit eine einzigartige Schriftsteller-Karriere ein. Und im gleichen Jahr verfasst eben dieser Hemingway-Entdecker Herman von Wedderkop den feuilletonistischen Reiseführer, um den es hier eigentlich gehen soll. Ob er so gut schreiben kann wie Erika und Klaus Mann? Eines sei schon verraten: Der Netzwerker bringt in seinen Ausführungen über Düsseldorf – die „Gartenstadt“, die „Kunststadt“, die „Industriestadt“, den „Parvenü unter den rheinischen Städten“ – nicht nur den Querschnitt-Humor und die Querschnitt-Ironie, sondern auch einige der bereits erwähnten Querschnitt-Persönlichkeiten unter.
Düsseldorfs Hotelszene der 1920er Jahre
Herman von Wedderkorp empfiehlt zwei Unterkünfte, die gleichermaßen komfortabel seien: den Breidenbacher Hof und das Parkhotel. Beim ersteren lobt er den „hübschen eleganten Grill-room“, beim zweiten bemerkt er: „Indessen ist das Parkhotel vermöge seiner engen Beziehungen zur Industrie doch noch erheblich höher prozentig düsseldorfisch. Es hat eine berühmte Bar, wo bekannt gute Cocktails gemixt werden, und hier trifft man des Abends jene ganz spezielle Düsseldorfer Mischung, nämlich Industrie und Kunst zu einem harmonischen Ganzen vereint.“ Als Beispiel nennt Kunstszene-Insider von Wedderkop Max Clarenbach, der nicht nur „diese schönen und niederrheinischen Bilder“ male, sondern „daneben auch noch ein großer Jäger und vor allem der beste Zwischenrufer des Rheinlandes“ sei – „besonders und erst recht, wenn schwere und gewichtige Kanonen ihre Stimme erheben“. Neben der rheinischen Schwerindustrie und Bankenwelt könne man im Parkhotel aber auch auf August Deusser treffen, Professor an der Kunstakademie, „der einstmals so schöne Kürassierbilder malte, sich jetzt indessen mit größerem Interesse dem Landleben widmet“.

Düsseldorfs In-Restaurants der 1920er Jahre
Zum Speisen, so von Wedderkop, sei man in den beiden genannten Hotels ebenfalls gut aufgehoben, wobei man natürlich auch zu „Hagen-Rebstock am Alexanderplatz“ gehen könne, „und an schönen Sommerabenden empfiehlt sich die Rheinterrasse“. Noch dazu bringt er eine Art Geheimtipp – „ein ganz altes Lokal am Rhein, das sich ,Rosenkränzchen‘ nennt, wo man von Mutter Ambach bestens betreut wird.“ Er verweist auf die Geschichte des Wein-Restaurants als Künstler- und Literatentreff: So habe hier der „große Düsseldorfer Originaldichter Hermann Harry Schmitz“ verkehrt, der leider schon verstorben sei. Und ein anderer, „noch viel berühmterer Düsseldorfer, nämlich Hanns Heinz Ewers“ aus dem Kreis habe der Stadt längst den Rücken gekehrt und sei nach Berlin übergesiedelt.
Denjenigen, die „mal nicht an den Freuden und der Eleganz eines modernen Luxusrestaurants“ teilnehmen möchten, vielmehr „einfach und herzhaft aufgelegt“ sind und „zugleich mal dieses alte, abseitige, schwer zu findende Düsseldorf sehen“ möchten, rät von Wedderkop, sich zum Burgplatz, Ecke Kurze Straße zu begeben und dort bei „Reusch“ je nach Jahreszeit entweder Miesmuscheln oder Maifisch zu bestellen.
Es folgt ein Resümee, das ob seiner Wertung hundert Jahre „danach“ sogar Düsseldorfer Lokalpatrioten zunächst überraschen dürfte: „Diese Lokale hier in der Altstadt – das muß man zugunsten Düsseldorfs sagen – sind sehr viel echter und sehr viel lebendiger als die alten kölschen Kneipen.“ Die Besuchermischung, die von Wedderkop als typisch beschreibt, kennt man bis heute aus den Hausbrauereien: „Hier bei ,Reusch‘ oder auch in dem berühmten ,Schiffchen‘ nebenan in der Hafenstraße sitzt alles, sämtliche Typen, die Düsseldorf aufzuweisen hat, friedlich beisammen. Da sitzt das Dienstmädchen mit ihrem Schatz, und nebenan sitzt der Generaldirektor (…) mit seiner eleganten Gattin, alles durcheinander.“


Düsseldorfer Spezialitäten? Erwähnt der Autor natürlich auch, etwa den „Senf aus der Fabrik von A.B. Bergrath“. Im „Schiffchen“ trinke man vor dem Essen einen „geeisten Steinhäger“, der schöner und würziger sei als alter französischer Cognac, und dazu esse man mit Butter beschmierte Schnitten Düsseldorfer Schwarzbrots, „das hier schon ein bißchen von der Pumpernickelnatur des benachbarten Westfalens hat“. Als Hauptgericht empfiehlt Hermann von Wedderkop wiederum den Maifisch, der damals noch eine Standard-Spezialität in Düsseldorfer Gasthäusern war, danach fast ausstarb und heute durch Wiederansiedelungsprojekte zumindest in kleineren Zahlen in den Rhein zurückgekehrt ist.
Der Maifisch dient im Gastro-Kapitel dazu, nach der Ewers-Erwähnung weitere Prominente aus dem Querschnitt-Universum ins Spiel zu bringen: „Der Kunsthändler Alfred Flechtheim behauptet, nur seine Gattin Betty verstünde, ihn richtig herzurichten, wie diese auch nur verstünde, den richtigen Rheinsalm zu bereiten, so daß Paul Cassirer, wenn er nach Düsseldorf kam, sich diesen stets telegraphisch im Voraus bestellt hätte.“ Zum Lokalkolorit gehören im „Schiffchen“ auch die „blankgescheuerten Tische“ und „die Kellner, die genauso angezogen sind wie die Kölner Köbesse, nur daß sie hier nicht Köbes, sondern ,Zappes‘ heißen.“ Das Bestellritual: „Zu erwähnen ist insbesondere noch, daß, wenn man ein kleines Bier bestellt, man sagen muß: ein ,Salon‘.“
Nachtleben im Düsseldorf der 1920er Jahre
Die Düsseldorf-Ouvertüre erklingt bereits im einleitenden Köln-Abschnitt des Buches. Dort leistet sich von Wedderkop eine schelmenhaft-respektlose Provokation, denn das Kapitel „Wo amüsiert man sich“ besteht nur aus zwei Zeilen:
„In Düsseldorf!
Davon später!“
Noch dazu bemängelt von Wedderkop in „Köln bei Nacht“, dass es in der Domstadt kein „wirklich erstklassiges“ Varieté gebe: „Will man das haben, muss man nach Düsseldorf fahren, das immer mehr das große Amüsierzentrum von Rheinland und Westfalen wird.“
In Düsseldorf, der „Abendschönheit“, lobt er hingegen ausdrücklich den „Kristall-Palast“ – „kurz K.P. genannt, eins der besten Varietés Deutschlands, mit sehr vielen großen internationalen Nummern, aber auch einigen Lokalgrößen, die nicht zu verachten sind“. Besonders ein „Herr Blaß“ hat es von Wedderkop angetan, der vom Kölner Millowitschtheater abgeworben worden sei. Zudem sei die an den K.P. angeschlossene Nachtbar namens „Eremitage“: „ebenso elegant wie erkenntnisreich“, mit dem Flair „einer modernen Großstadt“. Auch für das jüngere Publikum hat der Autor den passenden Tipp parat: „Wer aber tanzen will mit schönen, jungen und ebenso frechen und lebenslustigen Düsseldorfer Jöhren, der gehe in die „Jungmühle“ in der Schadowstraße. Ein dancing, das an Geschmack der Ausstattung, an Stimmung und Temperament alles Gleichwertige im Westen schlägt. Hier ist immer etwas los.“



Düsseldorfs Kunst und Kultur der 1920er Jahre
Von Wedderkop lobt die „verhältnismäßig gute Oper, an der immerhin so tüchtige Leute wirkten, wie z.B. der Generalmusikdirektor Panzer“. Zudem habe Düsseldorf ein Stadttheater und „vor allen Dingen Louise Dumont und Gustav Lindemann, deren Schauspielhaus die modernste Bühne Düsseldorfs ist“.
Kein Wunder, dass der Querschnitt-Herausgeber über die „Kunst“ – von ihm ganz bewusst in Anführungsstriche gesetzt – das längste der Düsseldorf-Kapitel schreibt, voll mit subtilen Andeutungen. Schnell ist klar: Sein Herz gilt – wie schon als Blattmacher – den Rebellen. Die Kunstakademie sieht er geprägt durch „königlich-preußische Bestrebungen, die Jugend durch Gipsabgüsse zu belehren“. Dieser „staatliche Motor“ habe stets „tadellos rückwärts“ funktioniert, aber inzwischen sei „tatsächlich manches besser“ geworden, „weil der Staat selbst einsah, dass es so nicht weiterging“. So freut sich von Wedderkop, dass an der Akademie nun auch „neue Leute“ berufen worden seien „wie z.B. der ausgezeichnete Maler Nauen, der glänzende und einfallsreiche Kunstgewerbler Ernst Aufseeser u.a.“. Ausgerechnet jener Aufseeser ist übrigens für die Titel-Illustration auf dem Einband sowie die Hälfte der Illustrationen im Buch verantwortlich, ebenso wie für diverse Titel-Illustrationen beim Querschnitt.
Manchmal verkleidet von Wedderkop Kritik in Lob: Im „Akademiezusammenhang“ gedenkt er sogleich des „schönen Gartens des Malkastens, dieses berühmten Malkastens, wo die schönsten Karnevalsfeste gegeben werden und der den übrigen Teil des Jahres mit seinen tristen, großen, dunklen Räumen ziemlich verödet liegt“. Nur zur „Stunde des Dämmerschoppens“ versammele sich dort eine „getreue Tafelrunde“ und erinnere sich an „einstige Zeiten, wo man noch nach Herzenslust malte, wie es einem in Düsseldorf behagte, wo es noch keine Expressionisten, geschweige denn Kubisten gab“.
Um so positiver äußert sich von Wedderkop zu den Künstlern, die er als fortschrittlich empfindet. Etwa Adolf Uzarski, Maler, Grafiker, Mitgründer des Jungen Rheinlands und Autor des ersten deutschen Romans mit einem hündischen Ich-Erzähler: Möppi, die Memoiren eines Hundes. Es sei darin „der spezifische Düsseldorfer Humor“ zu finden, „voll von spaßigen kleinen Begebenheiten, und alles ist, wie man das gern hat, vom Verfasser selbst illustriert“. Überhaupt sei auf dem „Gebiete der Kunst“ so einiges passiert in den Jahren zuvor: Der Kurator Walter Cohen, nebenbei Autor für den Querschnitt, habe in den Museen der Stadt eine „Ehrenrettung Düsseldorfs“ erbracht, nämlich „aus dem Kitsch und Stumpfsinn heraus das Gute und Gültige abgesondert“, um ein „ganz neues, frisches und feinsinniges Düsseldorf entstehen“ zu lassen, fernab von „dieser grauen, alten Muffigkeit“, die „der Laie mit Düsseldorfer Kunst verbindet“.
Als den „Geist dieser Opposition“ sieht von Wedderkop – natürlich – den Querschnitt-Gründer Flechtheim: Dieser kenne „keinen Autoritätsglauben“ und sei mit seinem Temperament „wie ein erfrischender Frühjahrssturm in das alte Akademiegerümpel gefahren und hat hier alles durcheinander geschmissen“. Wer sich für moderne Kunst interessiere, sei bei Flechtheims Galerie an der Königsallee richtig, und wer neben der modernen Kunst auch noch „Gemüt“ suche, „der gehe zu Frau Ey, am Hindenburgwall 11.“ Dieser Frau Ey, der „Nährmutter der gesamten allerneuesten Düsseldorfer Kunst“, widmet Hermann von Wedderkop eine anderthalbseitige Hommage: „Sie hat nicht nur einen höchst lebendigen Geist, sie hat nicht nur ein künstlerisches Auge, wie es sehr wenige Menschen haben, sondern sie ist vor allem auch ungemein angenehm anzusehen. Sie ist rund und gesetzt und eigentlich in allem das Gegenteil von Alfred Flechtheim, der ein ewiger Ulan bleibt. Sprich man mit ihr, kommt Ruhe über einen. (…) Sie geht mit Vorliebe als Spanierin auf Fastnachtsbälle, Spanien liebt sie überhaupt. Macht Reisen dorthin und auf die Balearen. (…) Alles was modern fühlt, kommt zu ihr, nicht nur Maler, sondern auch Schauspieler. Sie ist das unbestrittene Zentrum der modernen geistigen Bewegung in Düsseldorf.“

Düsseldorf-Kritik
Bis hierhin ist sicher klar geworden: Reiseführer-Autor von Wedderkop ist kein Schleimer, und so schreibt er auch, was ihm an Düsseldorf nicht gefällt. Allem voran: der „erste Eindruck.“ Wie auch in anderen deutschen Großstädten, so biete sich in Düsseldorf ein „unerfreuliches, tristes, graues Bild“, wenn man aus der Bahnhofshalle trete: „Monster-Architektur der neunziger Jahre, also falsch verstandene Renaissance, falsch verstandenes Barock, vor allem alles in billiger Ausführung, kurzum Dinge, die einem durch ihre Verkorkstheit in schlechte Laune versetzen.“ Der Platz vor dem Bahnhof, der ein „munteres schöne Entrée“ sein müsse, sei vielmehr von „einer enormen Ödigkeit“ und sage „nicht das Geringste über das aus, was einem bevorsteht.“ Immerhin.
Wo er schon einmal dabei ist, gibt von Wedderkop auch gleich das preis, „was gegen diese Stadt im allgemeinen gesagt werden muß“: Düsseldorf liege nicht am Rhein. Köln dagegen habe den „Strom ausgenützt“, sein „Zentrum an den Rhein verlegt“. In Düsseldorf sei der Rhein keineswegs die „Hauptschlagader der Stadt“, und wenn man ihn endlich gefunden habe, so müsse man konstatieren, dass er „irgendwo ganz nebensächlich dahinfließt, zwischen langweiligen Gebäuden“, quasi zum „Industriestrom degradiert“.
Von Wedderkop vermisst in Düsseldorf das, was in Köln das Stadtbild ausmache: „die schönen Giebelhäuser am Rhein, die alten Gassen und die Kirchen, die oft unvermutet aus der Enge der Gäßchen vor einem sich auftürmen.“ Kurzum: Das „alte Düsseldorf“ liege „ganz versteckt“, während das, was in die Augen falle und den Charakter bestimmte „alles neu, neu, neu“ sei, „allerdings, wie man zugeben muß, stellenweise außerordentlich geschmackvoll“. An der Königsallee mit zwei großen Straßen und zwei Reihen Bäumen und dem „fast hätte ich gesagt Landwehrkanal“ in der Mitte erkenne man das „Paradoxe dieser Stadt“. Man habe „einen Fluss wie den Rhein zur gefälligen Bedienung und nimmt sich statt dessen einen Kanal.“ Den wirklichen Glanzpunkt Düsseldorfs sieht von Wedderkop wiederum im „schönen Hofgarten mit dem Ananasberg“. Ein Park im Zentrum mit einer solch „besonderen Note“ – so etwas suche man in Köln vergebens.
Interessant und teils überraschend das alles, und vermutlich hätte Hermann von Wedderkop gut gefallen, wie sich Düsseldorf durch den Bau des Rheinufertunnels zum Rhein hin geöffnet hat.
Fazit
Eine Frage bewegt mich, nachdem ich Das Buch von Köln, Düsseldorf, Bonn gelesen habe: Hat man 1928 in Düsseldorfer Brauhäusern wirklich „Ein Salon!“ gesagt, um ein kleines Bier zu bestellen? Handelt es sich um ausgestorbenen Dialekt oder um den Namen einer vergessenen Brauerei? Oder gar um einen Scherz, den Herman von Wedderkop gemeinsam mit den „Zappessen“ vom „Schiffchen“ ausgeheckt hat, um zu überprüfen, ob sein Buch auch gelesen wird? Ein Experte für Stadtgeschichte sagte mir, das „Schiffchen“ habe damals auch spezielle Sorten von Bier ausgeschenkt, mit mehr oder mit weniger Stammwürze und Alkohol. Ob eines dieser Biere so hieß? Klar ist: Über einen Düsseldorf-Reiseführer aus den „Goldenen Zwanzigern“, auf Hemingways ersten Verleger und Deutschlands coolstes Magazin der Weimarer Republik zu stoßen – damit habe ich nicht gerechnet.
In Hermann von Wedderkops Wikipedia-Eintrag ist zu lesen, er habe sich als Kritiker für einen wirklichkeitsnahen Gesellschaftsroman starkgemacht und mit Adieu Berlin beim S. Fischer Verlag selbst einen autobiographisch gefärbten „Sportroman“ veröffentlicht. Darin geht es um den Berliner Großstadtdschungel, um das Nordseebad Kampen und um den neuen Frauentyp des „Sport-Girls“. Ein Sport-Roman aus den zwanziger Jahren, der zugleich ein Berlin-Roman und ein Sylt-Roman ist? Ich habe sofort nachgeschaut: Das Buch ist antiquarisch zu haben, in der Erstausgabe von 1927. Ob es zu Recht vergessen ist? Das zumindest werde ich herausfinden. Meine Bestellung ist schon unterwegs …
Weiterführende Links und Informationen
Wer neugierig geworden ist: Alle Ausgaben des Magazins Querschnitt kann man vollständig digitalisiert bei Arthistoricum.net online einsehen.
Einen sehr schönen Beitrag über den Querschnitt-Herausgeber und Reiseführer-Autor Hermann von Wedderkop und Ernest Hemingway kann man im Blog „Hemingways Welt“ von Wolfgang Stock nachlesen, mit vielen Zitaten. Unter anderem dieses aus den Hemingway-Memoiren Paris – ein Fest fürs Leben: „Es war ein Brief , und er fühlte sich an, als ob Geld darin sei. „Wedderkop“, sagte Sylvia. Es muss vom Querschnitt sein (…) Es sind 600 Francs. Er sagt, es kommt mehr. Es ist verdammt komisch, dass Deutschland das einzige Land ist, wo ich etwas verkaufen kann.“
Die erwähnte Düsseldorfer Galerie von Alfred Flechtheim befand sich an der Königsallee 34.
Der „Kristallpalast“ mit dem „Stimmungsbetrieb“ in der angeschlossenen Bar „Eremitage“ lag an der Friedrichstraße 18-20.
Das „dancing“ (so sagte man das damals wirklich) „Jungmühle“ lud an der Schadowstraße 40 zum Tanz.
Mit dem Restaurant-Tipp „Hagen-Rebstock am Alexanderplatz“ dürfte von Wedderkop das Weinrestaurant „Zum Rebstock“ von Theodor Hagen an der Grünstraße 4 gemeint haben. Der nicht mehr existierende Alexanderplatz lag damals am östlichen Endpunkt der Straße – dort, wo sich an einem heute namenlosen kleinen Platz an der Berliner Allee die Einmündungen von Kreuzstraße und Stresemannstraße befinden.