Freimaurer: Im Düsseldorfer Vereinsheim des Geheimbunds

Karl-Heinz Reuschenbach steht in einem großen, ziemlich leeren Raum. Unter ihm glänzt der schwarze Fußboden im Deckenlicht, in den Ecken vor ihm thronen zwei Kugeln auf großen Säulen. Reuschenbach geht auf die mit blauen Quadraten überzogene Wand dazwischen zu, öffnet eine darin verborgene Tür und geht hindurch. „Das ist dann hier unser Tempelraum“, sagt er.
Dass ich an diesem Morgen durch dieses alte Herrenhaus an der Uhlandstraße in Düsseltal geführt werde, hat mit einem Schild und einer Inschrift zu tun, die daran angebracht sind. Die Inschrift ist von der Straße aus gut zu erkennen: „Logenhaus“ steht in großen Buchstaben unter einem vorgelagerten Balkon. Das Schild, gleich am Gehweg, ist nur von nahem gut lesbar. Darauf steht geschrieben, dass sich hier Menschen treffen, die sich für allerlei Dinge einsetzen: liberales Denken, Toleranz, Menschlichkeit, Brüderlichkeit. Klingt alles gut, aber auch ziemlich unkonkret.

Ich kenne das Schild und das Haus schon eine Weile, hatte mir dabei aber nichts gedacht. Bis mich andere Menschen darauf ansprachen. Die fanden das Haus und seine Inschrift interessant bis irritierend. Nun wollte ich es genauer wissen. Wer trifft sich dort eigentlich und warum? Meine Recherche brachte mich zu Karl-Heinz Reuschenbach, NRW-Distriktmeister der Großloge der Alten Freien und Angenommenen Maurer von Deutschland, eine Art Landesvorsitzender der nordrhein-westfälischen Freimaurer.
Reuschenbach, weißes Hemd, schwarze Hose, ist Elektromeister kurz vor dem Rentenalter und verbringt seinen Mittwochabend immer bei den „Die drei Verbündeten“, einer der Freimaurerlogen im Logenhaus. Da sein Büro ohnehin im Hof liegt, ist er praktischerweise auch noch Chef des Hauses und kümmert sich um dessen Verwaltung. Und die logische Wahl, um neugierige Journalisten in das Heiligtum seiner „Brüder“ zu führen, wie sich die Freimaurer gegenseitig nennen. Dort, wo er einst selbst der „Meister vom Stuhl“ war.
Auf den ersten Blick ähneln die Freimaurer ein wenig den Düsseldorfer Jonges – zumindest, solange sie dort noch keine Frauen aufnehmen wollten. Ebenso wie die Jonges sind auch die Freimaurer vor allem ein Männerverein. Ein paar Frauenlogen gibt es zwar auch, aber das sind wenige. Gemischte Logen werden von Reuschenbachs Großloge nicht anerkannt. Gemeinsam haben Jonges und Freimaurer zudem, dass bei ihnen traditionell lokale Prominenz eine tragende Rolle spielt. Unterschiede gibt es in der Kleiderordnung, der Symbolik und (viel entscheidender) bei der Geheimniskrämerei. Die Freimaurer sind ein Geheimbund. Ihre Rituale sind öffentlich nicht bekannt. Das bietet Raum für Mythen.
Reuschenbach steht nun mitten im Tempel. Unter ihm führen Fliesen im Schachbrettmuster zu einer kleinen Empore mit einem Tisch und einem Stuhl, der mit den Wappen dreier Logen verziert ist. Hier sitzt der „Meister vom Stuhl“, der Vorsitzende der Loge. Daneben die beiden „Aufseher“, die die Loge rechtlich vertreten. Es gibt noch ein paar weitere Rollen vom Zeremonienmann über den Sekretär bis zum Musikpfleger. „Hier wird dann dieses Ritual bearbeitet, das wir haben.“


Die Sache mit dem Geheimbund ist für die Freimaurer Fluch und Segen zugleich. Es macht sie interessanter als andere Vereine, Bestseller-Autoren wie Dan Brown widmen ihnen ganze Romane. „Wenn man Freimaurer ist, dann weiß man sehr wohl zu unterscheiden, was ist richtig, was ist Humbug“, sagt Reuschenbach dazu. Ihre angebliche Macht führt aber auch zu Missgunst und Anfeindungen. Im Nationalsozialismus wurden die Freimaurer verboten und verfolgt. Bis heute halten manche Menschen sie in ihrem (oft antisemitisch begründeten) Verschwörungswahn für feindliche Mächte.
„Die Freimaurer und die Juden, das ist sowieso ein großes Thema. Das hören sie in jedem Fernsehfilm. Alles an den Haaren herbeigezogen.“ Manchmal gäbe es Warnungen von der Polizei, in Köln vor ein paar Jahren sogar mal einen Brandanschlag. Sie seien bislang von so etwas verschont geblieben, maximal mal Schmierereien.
Schlimmer sei es in den USA, wo in der Ära Trump viele Brüder aus Angst ausgetreten seien. Wie groß die Klischees über Freimaurerei sind, musste Reuschenbach auch schon im nächsten Umfeld erleben. Er war gerade neu dabei, da lag seine Stiefmutter im Sterben. Vorher wollte er ihr noch unbedingt von seinem neuen Hobby berichten. „Da konnte die gar nichts mit anfangen.“ Stattdessen erzählte sie ihm von ihrem Chef, der auch Freimaurer war und von seinem vorbestimmten Tod gewusst habe.
Was Freimaurerei wirklich ist, lässt sich 300 Jahre zurückverfolgen. Damals stellte die englische Großloge in London ein „Grundgesetz“ auf, das für die meisten deutschen Logen bis heute gilt. Darin liegt schon das Selbstbild der Freimaurer als Gemeinschaft Ungleichgesinnter begründet. Religion, Staatsangehörigkeit, Hautfarbe und Beruf spielen für die Aufnahme bis heute keine Rolle. Auch wenn andersherum beispielsweise die römisch-katholische Kirche und die islamische Weltliga die Freimaurerei als unvereinbar mit ihrer Religion ansehen.
Wichtig ist für die Aufnahme nur „ein freier Mann von gutem Ruf“ zu sein. Wer das ist, entscheiden die Logen selbst. Ein Jahr lang müssen sich Gäste in der Regel bewähren, erst dann können sie selbst zum Bruder werden. Und sich dem Selbstbild nach für Toleranz und Menschlichkeit einsetzen.
Vom Tempel aus führt Reuschenbach eine Etage tiefer. Er geht die Treppe hinunter, dann durch eine weitere Tür. Links sind Schränke zu sehen, rechts geht es in ein kleines Zimmer. „Das ist so ein Ruheraum.“ Dorthin könne sich jeder vor dem Ritual noch mal zurückziehen. Drei Dreier-Sitzbänke reihen sich darin um einen milchgläsernen Stab mit einer blauen Kugel an der Spitze. „So ab und zu wird’s genutzt. Aber nicht zu oft.“



Freimaurer gibt es in Düsseldorf seit mehr als 200 Jahren. Ihre Geschichte lässt sich in einer Festschrift zum entsprechenden Jubiläum 2006 nachlesen. Die Anfänge fallen nicht zufällig mit der französischen Machtübernahme der Stadt im Dezember 1805 zusammen. Der damals eingesetzte Statthalter Joachim Murat war selbst Freimaurer und setzte sich anders als die zuvor herrschenden Kurfürsten nicht gegen entsprechende Gründungen zur Wehr. Aus den 13 Brüdern, die 1806 im Hofgarten zusammenkamen, wurden nach vier Monaten schon 47, bald 80 Mitglieder. Erster Meister vom Stuhl wurde der Generalsekretär des Finanzministeriums in Düsseldorf, auch Bürgermeister Max von Pfeil wurde bald Mitglied.
Früher habe es sehr viel Prominenz in den Logen gegeben, auch in Düsseldorf, sagt Reuschenbach. Johann Wolfgang von Goethe war ebenso Freimaurer wie Voltaire, Kaiser Wilhelm I. und George Washington. In seinem Grußwort zum 200-jährigen Bestehen erinnerte der damalige Oberbürgermeister Joachim Erwin auch an den Freimaurer Friedrich Heinrich Jacobi. Nach dem Düsseldorfer Philosophen, Schriftsteller und Goethe-Freund ist bis heute eine Düsseldorfer Loge benannt. „Das ist nach dem Krieg nie wieder so geworden“, sagt Reuschenbach mit Blick auf die prominenten Ex-Mitglieder. Weltweit gibt es wohl noch rund drei Millionen Freimaurer, in Nordrhein-Westfalen kümmert sich Reuschenbach um 1800 Mitglieder.
Heute treffen sich 14 Vereine mit rund 350 Mitgliedern an der Uhlandstraße. Fast alles sind Freimaurer, darunter zwei Frauen- und eine türkische Loge. Das einstige Trümmer-Grundstück haben sie nach dem Krieg als Entschädigung für ihr vorheriges Logenhaus erhalten und selbst wieder aufgebaut. Seit dem 19. Jahrhundert trafen sich die ersten Düsseldorfer Logen dort, wo heute das Schauspielhaus steht. 1935 wurde die Freimaurerei durch die Nationalsozialisten verboten, das Gebäude zu einem diffamierenden Freimaurer-Museum umgestaltet. 1943 brannte es bei einem Fliegerangriff bis auf die Grundmauern nieder.
Der neue Sitz reiche zwar nicht ganz an den „Prachtbau“ von früher heran, eindrucksvoll ist er trotzdem. Hinter dem Ruheraum führt Reuschenbach weiter in einen größeren Tempelersatz im Erdgeschoss, damit auch wirklich alle Logen immer genügend Platz finden. Vorher hatte er mir bereits einen großen Versammlungsraum gezeigt. Im Obergeschoss sind mehrere Büros verpachtet, unten gibt es noch Gastronomie. Die zuletzt eingemietete „Flammkuchen Manufaktur“ ist allerdings seit kurzem geschlossen. Reuschenbach muss bald einen Nachfolger finden. Lust hat er nicht. Wichtig wäre es schon, um den teuren Unterhalt des Hauses zu finanzieren.
Die Freude an der Freimaurerei hat er aber in über drei Jahrzehnten niemals verloren. „Wenn ich in die Loge gehe, ist es wie ein warmes Mäntelchen überziehen“ habe ein älterer Bruder immer gesagt. „Das trifft es ganz gut.“ Neben all dem Geheimnis-Gehabe, dem Smoking und dem Zylinder, den sie zumindest in Reuschenbachs Loge immer noch zur Tempelarbeit tragen, geht es dabei um ganz weltliche Dinge. Darum, ein besserer Mensch zu werden, sich gegenseitig zu helfen und weiterzubilden. Manchmal auch einfach nur um gute Gesellschaft und ein gemeinsames Bier. „Hier wird einem nichts gesagt, was man machen muss. Immer nur, was man machen kann.“
Nachwuchsprobleme haben die Freimaurer nach Reuschenbachs Aussage nicht. Da helfen dann auch wieder die Mythen. Als Dan Brown in seinen Bestsellern über Freimaurer schrieb, gab es einen regelrechten Anfrage-Boom. „Nicht gerade prickelnd, nicht die Personen, die sonst kommen.“ Am liebsten haben es die Freimaurer, wenn sich nicht die Sensationslustigen bewerben, sondern die, die Lust an den Treffen und der gemeinsamen Arbeit haben. Am besten gleich Bekannte aktueller Brüder. Meistens kämen die Interessanten dann, wenn die große Sturm-und-Drang-Phase vorbei ist. „Wenn sie nicht die dritte Jacht kaufen oder zum 25. Golfturnier fahren, sondern sich geistig beschäftigen wollen.“
Im Raum im Erdgeschoss sind in Vitrinen die Insignien der einzelnen Logen zu sehen. Ansonsten sieht es hier sehr zweckmäßig aus. Reuschenbach führt wieder hinaus auf die Straße, der Rundgang ist beendet. Zieht man die Geheimniskrämerei, die Symbolik und die Mythen ab, sind die Freimaurer auch nur ein ziemlich normaler Männerverein. „So sehr unterschieden wir uns nicht“, sagt Reuschenbach beim Weg zurück in sein Büro. Die einen spielen eben Fußball, die anderen wollen bessere Menschen werden. Wie das funktionieren soll, wissen nur die Brüder so ganz genau. Im Idealfall müssen die sich einander auch gar nicht vorstellen. „Man sollte schon merken, dass jemand ein Freimaurer ist.“
Weitere Bilder aus dem Logenhaus der Düsseldorfer Freimaurer




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