Draußen Polizei, drinnen Hausbesetzer

In den 1980er Jahren erlebte Düsseldorf ein bisher nicht gekanntes Phänomen: Leerstehende Wohnungen wurden illegal von Menschen bezogen, die damit den Abriss verhindern wollten. Die heutige Ratsfrau Anja Vorspel fand damals so eine Bleibe. Ich war als Reporter dabei. Ein Erfahrungsaustausch.
Veröffentlicht am 30. Januar 2025
Hausbesetzerszene in Düsseldorf
Protest und Hausbesetzung an der Volmerswerther Straße 41, kurz V41 genannt (März 1981). Foto: Winfried Göllner / Stadtarchiv Düsseldorf

Das Gespräch mit Anja Vorspel löst Erinnerungen aus. An Räumungen bei nächtlichen Einsätzen der Polizei, hunderte Beamte mit Fahrzeugen und blitzendem Blaulicht vor Häusern in Bilk, Benrath, Flingern, Holthausen und anderen Stadtteilen Düsseldorfs. An den Fassaden der Gebäude hingen auf Bettlaken gepinselte Parolen. Fenster und Türen waren zum Schutz gegen die Staatsmacht mit Brettern oder Metallplatten verrammelt, die Fassaden bunt bemalt oder für Botschaften benutzt – Hausbesetzungen in Düsseldorf. Es kam zu Gerangel und Festnahmen, Geschrei und Beschimpfungen. Eindrückliche Bilder waren das: Hier die geballt auftretende Staatsmacht, da ein bunter Mix aus jungen Frauen und Männern.

Das war damals meine Perspektive, die ich als Polizeireporter x-mal erlebte. Nun wird mir ein anderer Blickwinkel beschrieben. Während ich draußen auf der Straße beobachtete, was geschah, befand sich Anja Vorspel (damals 20) im Gebäude. Sie war Hausbesetzerin aus Überzeugung und weil sie legal keine Wohnung bekam. Vermutlich sind wir uns seinerzeit begegnet. Wir können uns aber beide nicht daran erinnern. Kein Wunder: Diese Szenarien waren immer höchst turbulent, vor allem wenn Räumungen anstanden. Glatt ging das nie.

Ratssitzung vom 08/09/2022
Anja Vorspel bei einer Rede im Stadtrat. Foto: Andreas Endermann

Auch Kinder dabei
Dutzende Menschen jedes Alters, darunter häufig Kinder, lebten in den Wohnungen, für die sie keine Mietverträge hatten. Es waren Studenten und Punks, bisweilen auch Obdachlose oder Künstler – ein bunt gemischtes Volk, das aber in einer Sache einig war: Der drohende Abriss vieler Häuser war nicht hinzunehmen und musste mit allen Mitteln verhindert werden. Ein wirkungsvolles Mittel war die Besetzung der Häuser mit möglichst vielen Menschen, die da manchmal über Monate, oft unbehelligt, wohnten. Das Kalkül ging auf: Bagger mit Abrissbirnen gegen Gebäude einzusetzen, in denen sich Menschen aufhielten, war nicht denkbar.

Düsseldorf hatte am Anfang der 1980er Jahren rund 600.000 Einwohner, die Zahl sank nur langsam. Ein eklatanter Mangel an Wohnraum prägte die Stadt, ähnlich wie heute war es ein zentrales Thema. Einer der Gründe: Die Boomer-Generation kam seinerzeit in das Alter, in dem man ausziehen und eine eigene Wohnung haben wollte. Also stieg die Nachfrage. Eine Unterkunft zu finden war jedoch schwer. Was nicht nur an den Preisen als vielmehr am Umfang des Angebots lag. Denn das war knapp. Zu knapp.

Ich erinnere mich daran, weil ich damals selbst lange gebraucht habe, bis ich einen Mietvertrag unterschrieb. Am Ende kam mir ein Zufall zu Hilfe, aber andere hatten nicht so viel Glück. Gleichzeitig gab es in allen Stadtteilen alte Häuser mit freiem Raum, oft entsprach deren Ausstattung nicht mehr annähernd den üblichen Standards. Also sollten sie verschwinden und standen lange leer. An der Neusser Straße in Unterbilk wollte der Eigentümer schlicht modern bauen, an der Kiefernstraße in Flingern plante die Stadt ein Gewerbegebiet. Bei manchen war die weitere Nutzung unklar, also akzeptierte man Leerstand.

In anderen Städten gab es ähnliche Entwicklungen. Vor allem Berlin und Hamburg (die dortige Hafenstraße wurde so berühmt) waren Vorreiter der nicht legitimen Art von Wohnungssuche. Berichte über Besetzungen gingen durch die Republik und fanden in Düsseldorf schnell Nachahmer.

Zeitweise waren in diesen Zeiten Dutzende Häuser in der Stadt illegal belegt. Teils über Monate, an der Kiefernstraße wurden daraus nach einigen Jahren zäher Verhandlungen normale Mietverträge, nichts wurde abgerissen. In den Räumen lebten stets junge Menschen in straff organisierten Wohngemeinschaften. Sie hatten eine Vernetzung per Telefonkette (Festnetz, Handys gab es ja noch nicht) organisiert, um bei Einsätzen der Polizei sofort Unterstützer zusammen zu trommeln, die dann zu Hunderten versuchten, eine drohende Räumung zu verhindern. Nicht selten gelang das, da auch die Behörden mit diesem Phänomen erst umzugehen lernten und vor dem Einsatz von Schlagstöcken zurückschreckten.

Außerdem war man sich im Rathaus und bei der Polizei nicht einig, wie das Problem zu lösen sei. Ein Einsatz der Beamten war nur möglich, wenn der Eigentümer ausdrücklich Strafantrag stellte. Das jedoch geschah längst nicht immer. Polizeipräsident Hans Lisken (1981 bis 1996) war von Hause aus Verfassungsrechtler und immer wieder im Zwiespalt zwischen den Gesetzen einerseits und seiner zutiefst liberalen Grundeinstellung andererseits. Im Zweifel entschied er für Deeskalation. Einmal habe ich es erlebt, wie er sich für eine Räumung entschied, als sich herausstellte, dass in einem angeblich leeren Haus noch eine alte Frau wohnte. Deren Gefährdung wollte er nicht dulden und ordnete den sofortigen Einsatz an.

Sympathie oder harte Linie
In der Bevölkerung war die Stimmung gespalten. Ein Teil reagierte ohne jede Akzeptanz und forderte eine harte Linie. Andere hatten Verständnis für diese Form des Widerstands, es gab durchaus Sympathie. Besonders die gerade sprießende grüne Bewegung zeigte Zustimmung, etliche Besetzer kamen aus diesem Umfeld. Die meisten Besetzer waren friedlich. Skepsis kam erst später auf, als bekannt wurde, dass es in der Kiefernstraße Unterstützung für die Terrorgruppe RAF (Rote Armee Fraktion) gegeben hatte.

Anja Vorspel, die 1980 ihr Abi am Clara-Schumann-Gymnasium in Golzheim machte und an der Düsseldorfer Uni (die damals noch nicht nach Heinrich Heine benannt war) studierte, war mehrfach illegale Bewohnerin der stadtbekannten Gebäude. Eine Zeitlang in einem der berühmtesten: Es wurde V41 genannt, weil es an der Volmerswerther Straße 41 lag, nicht weit von der Bilker Kirche. Nach der Räumung zog sie von dort in die nahegelegene Neusser Straße 77, ebenfalls illegal. Die Adresse stand unter Denkmalschutz, was am Ende den Abriss aber nicht verhinderte. Eigentümer war übrigens der damals in Düsseldorf noch wenig bekannte Architekt Walter Brune. Kurz danach baute er die Kö-Galerie.

Bei den Besetzern ging es durchaus geordnet, regelrecht bürgerlich zu. Jedenfalls hier und da. Man regelte Einkaufen und Küchendienst, das Putzen und andere Dinge fürs Zusammenleben. Die Truppe, geeint im Glauben, fortschrittlich und offen zu sein, zerstritt sich allerdings auch mal zwischen Männern und Frauen. Vorspel: „Die Jungs nahmen uns nicht ernst. Also haben wir nebenan ein Haus nur mit Frauen besetzt.“ Man habe sich in Wahrheit als „Instandbesetzer“ gefühlt, weil Reparaturen erledigt wurden, man sich also um die Substanz kümmerte. Ansonsten sei das Wohnen eher normal gewesen. Fließend Wasser habe man gehabt, und die Stromzufuhr sei durch kenntnisreiche Handwerker schnell gesichert worden.

Hat sie damals ein Unrechtsbewusstsein gehabt? Die Antwort kommt sofort: Nein. Dieser Kampf um bezahlbare Wohnungen war gerechtfertigt, sagt sie. Und mit Blick auf eine ähnliche Aktion von drangsalierten Mietern in Golzheim vor ein paar Wochen findet sie es noch immer richtig, sich so zu wehren.

Hausbesetzerszene in Düsseldorf
Der Motorradhelm wurde seinerzeit zum Symbol für den Widerstand, notfalls auch gegen die Polizei. Hier eine Demo für ein besetztes Haus in Benrath. Foto: Winfried Göllner / Stadtarchiv Düsseldorf

Hausbesetzerszene in Düsseldorf
Eine Wohnung nach der Räumung. Solche Fotos wurden bewusst präsentiert. Foto: Winfried Göllner / Stadtarchiv Düsseldorf

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