FDP: Schattenboxen im Stadtrat

1. Juli, letzte Sitzung des Stadtrates vor der Sommerpause. Die Fraktion „Die Partei/Klima“ beantragt, Düsseldorf möge prüfen, ob und wie man Bus und Bahn kostenlos anbieten kann. Die Ratsmehrheit aus CDU und Grünen argumentiert in mehreren Beiträgen, warum sie das nicht für sinnvoll hält und deshalb ablehnt. Dann kommt der Fraktionsvorsitzende der FDP, Manfred Neuenhaus, ans Rednerpult. Und sagt: „Dass am Ende eines langen Weges auch der Nulltarif steht, kann ich mir durchaus vorstellen.“
Es ist das letzte Beispiel in einer ganzen Reihe von überraschenden Wortbeiträgen der Liberalen seit der Kommunalwahl. Die FDP war bis dahin und seit 1999 immer Teil der Ratsmehrheit in Düsseldorf. Sie regierte 15 Jahre mit der CDU, danach sechs Jahre mit SPD und Grünen. Sie ist nun das erste Mal seit langem frei von den Zwängen einer Koalition oder Kooperation und fühlt sich offenbar keinem der früheren Partner unnötig verpflichtet. Mal stimmt sie mit den einen, mal mit den anderen, mal auch alleine für oder gegen einen Antrag. Die Argumente, die die Vertreter*innen der FDP vorher als Grund für das gleich folgende Votum nennen, klingen sachbezogen und nicht von irgendeinem Kalkül genährt. Im Moment scheinen die Liberalen wirklich frei zu sein – und erinnern zugleich an einen Schattenboxer.
Schattenboxen ist eine Trainingsform, bei der Sportler*innen ein Duell simulieren, indem sie gegen ihren Schatten oder ihr Spiegelbild antreten. Das stärkt Muskeln und Geist, sagt aber letztlich nichts darüber aus, wie sich die Sportler*innen in einem echten Kampf schlagen würden. Bei der Düsseldorfer FDP hat der Eindruck des Schattenboxens vier Ursachen:
1. Kernthema verloren
Hätte man die FDP in den vergangenen Jahren auf ein Wort reduzieren müssen, wäre das „Schuldenfreiheit“ gewesen. Unabhängig davon, ob und wie dieser Begriff buchhalterisch zu rechtfertigen ist, haben die Liberalen immer dafür gekämpft, dass Düsseldorf nur das vorhandene Geld ausgibt und nach Sparmöglichkeiten sucht.
Corona hat die Situation grundlegend geändert. Wenn der Bundesfinanzminister von einer Bazooka spricht, mit der der Bund finanzielle Probleme löst, ist es schwierig, irgendjemandem zu vermitteln, Schulden seien etwas Schlechtes. CDU, Grüne, Oberbürgermeister und Kämmerin sind in Düsseldorf einen ähnlichen Weg gegangen wie der Bund: Die Schuldenuhr läuft nicht mehr, Corona-Kosten sind aus dem Haushalt ausgeklammert und kehren erst in der Zukunft wieder in den Etat zurück. Erst dann kann die FDP dieses Thema erneut vertreten und die Grüko an ihre Konsolidierungsversprechen erinnern.
2. Keine echten Machtpositionen
Ein Ausschussvorsitz, ein stellvertretender Ausschussvorsitz – das ist alles, was die FDP in den politischen Gremien des Stadtrates bekommen hat. Der Fraktionsvorsitzende Manfred Neuenhaus leitet den Kulturausschuss, Ratsfrau Monika Lehmhaus ist stellvertretende Vorsitzende des Anregungs- und Beschwerdeausschusses. Letzteres Gremium ist in Düsseldorf von überschaubarer Bedeutung, auch weil die Fraktionen dort keine inhaltlichen Impulse setzen können. Der Kulturausschuss genießt dagegen einen hohen Stellenwert, unter anderem weil der Opernneubau eines der zentralen Themen der Legislaturperiode ist. Das wird aber nicht mit dem Ausschussvorsitzenden Manfred Neuenhaus, sondern mit anderen Personen wie zum Beispiel Oberbürgermeister Stephan Keller (CDU) verbunden.
Ähnlich gestaltet sich das Vakuum in der Verwaltungsspitze. Nach dem Abschied des Personal- und Gesundheitsdezernenten Andreas Meyer-Falcke stellen die Liberalen aktuell keinen Beigeordneten. Das ändert sich im nächsten Jahr, wenn Umweltdezernentin Helga Stulgies in den Ruhestand geht. Dann werden die Geschäftsbereiche neu verteilt, und die FDP hat das Vorschlagsrecht für eine oder einen Beigeordneten. Mit Blick auf das Ressort wird man den Eindruck nicht los, dass CDU und Grüne nicht unnötig großzügig waren. In ihrem Kooperationsvertrag steht nämlich: „In diesem Schritt wird an der Stelle des Umweltdezernats ein neues Dezernat für Sport und Bürger*innenservice gegründet, für das das Vorschlagsrecht der FDP angeboten werden soll.“
3. Parteichefin in Berlin gebunden
Wenn Marie-Agnes Strack-Zimmermann eine Fußball-Mannschaft wäre, stünden zehn Spieler im und am gegnerischen Strafraum. Mindestens. Die FDP-Chefin hat sich mit ihrer offensiven Art von Twitter bis Stadtrat einen hohen Bekanntheitsgrad erarbeitet und dafür gesorgt, dass ihre Partei sehr regelmäßig wahrgenommen wird.
Im Gegensatz zu anderen Politiker*innen hat Marie-Agnes Strack-Zimmermann ihren Sitz im Stadtrat behalten, nachdem sie in den Bundestag gewählt wurde. Sie bleibt damit in Düsseldorf präsent und ist weiter zur Stelle, wenn eine Meinung zu Autoposern oder Stadtstränden gebraucht wird. In Berlin ist sie verteidigungs- und kommunalpolitische Sprecherin ihrer Fraktion. Deshalb wirkt es so, als sei der aktuelle Wahlslogan der FDP, „Nie gab es mehr zu tun“, eine Arbeitstagbeschreibung der hiesigen Parteichefin.
Da aber auch bei Marie-Agnes Strack-Zimmermann der Tag nur 24 Stunden hat, fordert die Doppelbelastung ihren Tribut. Die Liberale kann nicht mehr in dem Maße Gesicht und vor allem Stimme der FDP in Düsseldorf sein, wie das vor 2017 der Fall war, also vor ihrem Einzug in den Bundestag. Sie sitzt nicht mehr in den Fachausschüssen des Rates, sie wird auch nach dem 26. September reichlich in Berlin gefordert sein. Das ist kein Vorwurf, sondern ein Grund, warum es die FDP schwerer hat, von den Bürger*innen und Bürgern wahrgenommen zu werden.
4. Erst langsam erkennbare Schwerpunkte
Zu den wichtigsten Instrumenten, mit denen Fraktionen und Gruppen im Stadtrat auf sich aufmerksam machen können, zählen Anfragen und Anträge. Beides hat die FDP in gutem Maße genutzt – und bei den meisten Anträgen die kaum noch gekannte Erfahrung gemacht, dass die Mehrheit im Stadtrat sie ablehnt.
Durch die Anfragen und Anträge wird langsam erkennbar, wo die Liberalen ihre Schwerpunkte setzen wollen: bei der Digitalisierung (insbesondere der Verwaltung), in der Bildung, in der Corona-Bekämpfung, bei der Verlängerung der Rheinuferpromenade und im Sport. Da die Vorschläge aber in der Regel abgelehnt werden, wird aus dem Programm und von den Forderungen kaum etwas wirklich sichtbar. Die FDP braucht über die einzelnen Themenausschnitte hinaus dringend klare Projekte, die man mit ihr verbindet.
Fazit
Die Schwierigkeiten in Düsseldorf werden erst einmal bleiben. Voraussichtlich bis mindestens 2025 wird die FDP nicht mitregieren. Sie wird keine zusätzlichen Machtpositionen bekommen, und Parteichefin Marie-Agnes Strack-Zimmermann sicher erneut in den Bundestag einziehen. Der Einsatz für die Schuldenfreiheit könnte am Ende der Legislaturperiode des Stadtrates wieder ein Thema zur Profilbildung werden.
Kurzfristig könnte vor allem die Bundestagswahl den Düsseldorfer Liberalen helfen. Sollte die FDP danach in Berlin Teil der Regierung werden, würden ihre Punkte dort auch auf lokaler Ebene als Teil des Bildes wahrgenommen – und die Partei damit aus dem aktuellen Schatten holen.