“Milliardär ist ein ordinärer Begriff”

Haben kommt nicht vom Geben, so läuft das im Leben. Und darum antwortet Guido von Spee auf die Frage, ob in seiner Branche auf den Cent geguckt wird, mit einem entschlossenen „Immer.” Seine Kundschaft sei ja nicht deshalb so wohlhabend, weil sie ihr Geld zum Fenster hinauswirft, sagt er. Sondern weil sie nahezu pedantisch darauf achtet, für jeden investierten Cent einen Gegenwert zu erhalten.
Von Spee, 57 Jahre, ist Managing Director von Bentley Düsseldorf am Höherweg – eines Autohauses, das Bentleys und Bugattis verkauft. Er ist auch Spross eines alten rheinischen Adelsgeschlechts und führt den Titel eines Grafen, doch den kehrt er im Alltag lieber unter den Teppich. Solch ein Titel führe nur zu Irritationen, sagt er. Außerdem möchten er und sein 20-köpfiges Team „nicht steif” rüberkommen. Sondern entspannt. Sneakers statt Lederschuhe.
Ein Bein übers andere geschlagen, sitzt von Spee zum Interview im Besucherbereich des Geschäfts. Er trägt weiße Reeboks, helle Hose, einen grauen Rollkragenpulli, ein weich geschnittenes blaues Sakko mit aufgenähten braunen Ärmelschonern – und ist umgeben von Millionen. 13 Bentleys stehen im Verkaufsraum, dicht an dicht. Ein fabrikneuer „New GT Speed” für 378.838,34 Euro. Ein „Flying Spur V8”, Baujahr 2022, für 208.900 Euro. In einem separaten Raum parkt der Wagen eines Kunden, flach wie eine Flunder, nur etwas schneller: ein Bugatti Chiron mit 1.600 PS und einem Kofferraum, in den maximal ein Handtäschchen passt (Neupreis des Wagens: ab 2,7 Millionen Euro). In den Vitrinen, die den Besucherbereich umgeben, ist allerhand Merchandisingware ausgestellt. Ein Bentley-Espressoset (zwei Tassen, zwei Unterteller) für 69 Euro. Ein Regenschirm für 89 Euro. „Selbst nivellierende Radkappen” mit fettem Bentley-B, das sich nicht mitdreht, wenn der Reifen rollt. Preis: 585 Euro.
Die Kinnlade könnte einem herunterklappen angesichts der Summen, die hier im Raum stehen und eine Grenzlinie markieren – zwischen betuchten und weniger betuchten Menschen. Gleichzeitig sagt von Spee: „Wir verkaufen ein emotionales Produkt.” Als ginge es in seiner Branche gar nicht so sehr ums banale Geld. Sondern um: Gefühle. Und, tja, irgendwie hat der Mann Recht.
Es gibt unfasslich viel Not und Elend auf der Welt. Und unfasslich viel Reichtum. Nach einer Studie von Credit Suisse besitzen 0,7 Prozent der Weltbevölkerung 47 Prozent des Vermögens. Kapital ist ein bedeutender Produktionsfaktor. Geld gebiert Geld, und Luxus hat praktisch immer Konjunktur. Das Bentley-Autohaus, zur Gottfried-Schultz-Autohandelsgruppe gehörend (2700 Beschäftigte, 2,5 Milliarden Euro Umsatz), wächst jedenfalls. Und wächst. Und wächst. Auf einem Nachbargrundstück lässt von Spee gerade eine Werkstatt errichten – ausschließlich für Bentleys und Bugattis. Eine bundesweit einmalige Sache. Die bisherige Werkstatt war 250 Meter entfernt – entschieden zu weit. Kostenpunkt der neuen: 4,8 Millionen. Im April soll sie fertig sein. Sie heißt dann allerdings nicht mehr Werkstatt. Sondern „Service- und Technologiezentrum” (eine Werkstattstunde für einen Bentley: 229 Euro. Bugatti: 289 Euro).
Von Spee verkauft Bentleys schon seit 25 Jahren. Anfangs, sagt er, waren es 20 Neuwagen pro Jahr. Inzwischen liegt die Zahl bei 60 bis 80. Hinzu kommt die gleiche Zahl an gebrauchten Bentleys. Plus, mit Blick auf das gerade ablaufende Jahr, sechs Bugattis. „Am siebten arbeiten wir.” Die typische Kundschaft? „Mittelstand. 55 Jahre. Zwei bis drei Wohnsitze. Einer in Düsseldorf, einer auf Sylt, vielleicht ein dritter an der Côte d’Azur.” Wer sich einen Bentley zulege, besitze im Schnitt bereits sieben bis acht Autos. Die parken an den diversen Wohnsitzen, einer für den Mann, einer für die Ehefrau, einer für das erwachsene Kind. Man muss ja mobil sein. Moment. Hat von Spee eben wirklich „Mittelstand” gesagt? Ja. Doch nicht im Sinne von Mittelschicht. Sondern von: Unternehmer. „Eigentümer von irgendwas.” Bentleykunden sind oft Millionäre, Bugattikunden Milliardäre. Letzteres ein Begriff, den von Spee ablehnt. „Ein ordinärer Begriff. Immer diese Reduktion aufs Geld.” Doch so ist die Welt nun einmal. Auch arme Leute werden ja ständig – vor allem von konservativen, besitzorientierten Milieus – aufs Geld reduziert beziehungsweise darauf, dass sie keins haben.
Einmal in meinem Leben bin ich in einem Bentley mitgefahren. In der Schweiz. St. Moritz. Anfang Dezember, Vorsaison. Der Ort war verschneit und so gut wie menschenleer. Ich war als Reisereporter unterwegs und hatte einen Designer kennengelernt, dessen Spezialität darin bestand, Luxushotels neu zu gestalten. Er fuhr einen nagelneuen Bentley Continental, Limousine, so grün wie ein Granny-Smith-Apfel. Die Farbe hatte er sich eigens für den Wagen zusammenrühren lassen – eine der leichtesten Übungen im Bentleykosmos, wo Unternehmergattinen verkehren, die den Wagen in der Farbe ihres favorisierten Nagellacks bestellen. Eines frühen Abends rollte der Designer mit mir durch den verlassen wirkenden Nobel-Wintersportort. Tempo 30, vielleicht 40, denn es schneite leicht, die Straßen waren rutschig. Doch was heißt hier rollen, wir schwebten. Die Fahrt hatte nichts Irdisches an sich. Wir waren wie in einem Raumschiff unterwegs, abgeschottet von der Außenwelt, eingefasst in einen Kokon aus Leder von der besten Qualität. Mit Sitzen, die sich der Körperform anzupassen schienen, und kaum vernehmbarem Motorschnurren. Es war wie in einem Traum: Hier die Bentley-Parallelwelt. Dort die St. Moritz-Parallelwelt. Gipfeltreffen der Parallelwelten. Damals dachte ich, dass Luxus vor allem eines mit dir macht: Er verleiht dir ein prickelndes und womöglich – sofern man für materiellen Luxus empfänglich ist – süchtig machendes Gefühl von Sicherheit. Zum Beispiel der Sicherheit vor dem Alptraum, arm zu sein und dich nicht abschotten zu können von der Welt da draußen.
„Kommen Sie”, sagt von Spee und winkt mit einem Autoschlüssel. Im New GT Speed sitzend, streicht er mit der Hand über diverse Flächen. „Alles beledert.” Er erläutert das Nusswurzelholzfurnier und deutet auf das „Knurling” – so nennt man es, wenn Anzeigeninstrumente von silberglänzenden, wie Diamanten funkelnden Ringen eingefasst sind. Einmal kurz den Motor anlassen. Oha. Dunkles Fauchen erfüllt den Raum, wo an diesem Nachmittag zwei Verkäufer an Tischen arbeiten oder von hier nach dort wandern, sich ansonsten aber kaum ein Kunde blicken lässt. Es gibt solche Tage. Ist halt kein Discounter, dieses Geschäft. Eher das Gegenteil. Einmal geht die Tür auf und ein paar Jungs stiefeln herein. Teenager, mit Baseballkappen. Schnurstracks marschieren sie zum Bugatti, umkreisen ihn andächtig und verlassen den Laden wieder.
Was Luxus für ihn persönlich bedeutet? Guido von Spee überlegt nicht lange: „Zeit.“ – „Haben Sie keine?” – „Wenig. Wenn ich mir etwas wünschen könnte, dann ein gutes Buch und Zeit.” – „Welches Auto fahren Sie privat?” – „Skoda Kamiq. Hybrid.” Manchmal, so erzählt er, tauchten Fußballprofis im Geschäft auf und sagten: „Eigentlich fühle ich mich zu jung für solch ein Auto.” Seine Entgegnung in solchen Fällen: „Setzen Sie sich doch einfach mal rein und drehen ’ne Runde.” Ein Bentley sei ein „Ankomm-Auto”. Quasi Endstation. Besser geht’s nicht. Ein Ferrari röhrt: Hier bin ich. Schau mich an! Ein Bentley dagegen sei „subtil”, sagt von Spee, was ein durchaus überraschendes Adjektiv ist für eine Edelkarosse von etwa fünf Metern Länge, die mehr als zwei Tonnen auf die Waage bringt, so viel wie vier ausgewachsene Pferde.
Ob er sich schon mal bei dem Gedanken erwischt hat, dass es eine winzige Spur, sozusagen eine Flying Spur unanständig sein könnte, mit Highend-Luxus Geschäfte zu machen in einer Welt voller Kriege, Armut und sich verschärfender wirtschaftlicher Ungleichheit? „Da denke ich oft drüber nach”, erwidert Guido von Spee. Einerseits könne er sich den Job „schönreden”, indem er sagt: Bentley stellt Weltklasse-Autos her, von den Unsummen an Mehrwertsteuer werden Straßen, Schulen. Krankenhäuser gebaut. Gleichzeitig sei er sich im Klaren: „Das ist Luxus. Im Grunde also überflüssig.” Beide Seiten seien bei ihm im Gleichgewicht. „Wenn das kippt, muss ich aufhören.”
Weitere Eindrücke aus dem Bentley-Autohaus




