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Zürndorfer
1936: Hanna Zürndorfer (links) am ersten Schultag ihrer Schwester Lotte in Gerresheim. Foto: privat

Düsseldorfs Anne Frank

1939 gelangte die 13-jährige Hanna Zürndorfer in einem der letzten „Kindertransporte“ aus der NS-Diktatur nach England. Jahrzehnte später schrieb sie ein Buch über ihre „verlorene“ Gerresheimer Kindheit und den Neuanfang. Jetzt hat ihre Tochter Düsseldorf besucht. Ich habe sie getroffen.
Veröffentlicht am 13. Dezember 2024

Oktober 2024. Petra Regent sitzt in der Wohnküche einer Altbauwohnung im Stadtteil Derendorf. Ende vergangenen Jahres ist ihre Mutter Karola gestorben – mit 97 Jahren. Und nun besucht die Engländerin Petra Regent die Stadt, in der ihre Mutter als Kind lebte: Karola Regent, geboren 1925, wurde als „Düsseldorfs Anne Frank“ beschrieben (in diesem Video zu sehen), wuchs in einem jüdischen Elternhaus in Gerresheim auf. 1956 heiratete sie Petras Vater Peter Regent, den sie während ihrer Arbeit als Journalistin in Norfolk kennenlernte. Sie nahm dessen Nachnamen an und nutzte fortan ihren zweiten Vornamen. Aus Hanna Zürndorfer wurde Karola Regent. Anfang der 1980er schrieb sie über ihre Kindheit das autobiografische Erinnerungsbuch „The Ninth of November“.  Das Original des Buches erschien ebenso wie die deutsche Übersetzung „Verlorene Welt“ unter ihrem Mädchennamen sowie der Koseform ihres ersten Vornamens: Hannele. 2003 wurde die Grundschule an der Benderstraße in Gerresheim, die sie bis 1936 besuchte, zu ihren Ehren in Hanna-Zürndorfer-Schule umbenannt.

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Die Hanna-Zürndorfer-Schule an der Benderstraße 78 in Gerresheim. Foto: Sebastian Brück

Es duftet nach Kaffee, und auf dem Tisch haben Jürgen Tenbrock und seine Frau Orangensaft sowie kleine Snacks und Gebäck bereitgestellt. Tenbrock (66), ist Historiker und hat sich als Lehrer am Gymnasium Gerresheim in Schülerprojekten intensiv mit der Geschichte des Stadtteils während der NS-Diktatur beschäftigt. Durch sein Netzwerk hat er vom Düsseldorf-Besuch Petra Regents erfahren und zum Gespräch in seiner Wohnung eingeladen.

Regent trägt ein dunkles Oberteil, hat mittellanges, braunes Haar, das locker über die Schultern fällt. Wenn man zuvor Fotos ihrer Mutter Karola Regent alias Hanna Zürndorfer gesehen hat, erkennt man die Ähnlichkeit. Der offene Blick, die freundlich blitzenden, grau-blauen Augen. Die 67-Jährige spricht auch etwas Deutsch, und erzählt im fliegenden Wechsel zwischen Englisch und der Muttersprache ihrer Mutter, wie bewegend der Vortag für sie gewesen ist. Wie sie Jahrzehnte nach ihren ersten beiden Düsseldorf-Besuchen als junge Frau nun wieder vor dem ehemaligen Haus ihrer Familie in Gerresheim stand – an der Sonnbornstraße Ecke Lakronstraße, wo zwei Stolpersteine an ihre Großeltern erinnern. Und wie sie auf Einladung die Hanna-Zürndorfer-Schule besuchte: „Die Kinder haben dort extra einen Tanz für mich einstudiert. Und ich habe eine Führung durch die Schule bekommen, saß in dem Klassenzimmer auf einem Stuhl, in dem auch meine Mutter als Kind unterrichtet wurde.“

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Hanna Zürndorfers Tochter Petra Regent bei ihrem Besuch in Düsseldorf im Oktober 2024. Foto: Sebastian Brück

Auch Hanna Zürndorfer selbst saß nach der Jahrtausendwende bei ihren Gerresheim-Besuchen einige Male im Klassenraum ihrer „verlorenen Welt“, um den Grundschulkindern auf Deutsch Fragen zu beantworten und aus ihrem Buch vorzulesen. In Begleitung ihres Mannes Peter – aber ohne Tochter Petra.

April 1926. Adolf und Elisabeth Zürndorfer wohnen an der Hermannstraße 12 in Flingern – in einer geräumigen Wohnung in der ersten Etage, mit Blick auf den schmalen, mit himmelblauen Hortensien bestandenen Vorgarten. In einem halben Jahr, am Nikolausabend, wird Tochter Hanna, genannt Hannele, ihren ersten Geburtstag feiern. Zu seinem Arbeitsplatz hat es Vater Adolf Zürndorfer nicht weit. Als Direktor der Verlagsanstalt Eduard Lintz ist er am Wehrhahn 28a unter anderem für das Fachblatt „Der Artist“ verantwortlich – das deutsche Zentralorgan der Zirkus- und Varietébühnen. Auch die an den Verlag angeschlossene Druckerei unterhält enge Kontakte zur Kulturszene, druckt im Auftrag des Künstlervereins Malkasten und der Düsseldorfer Theater. In diesem Umfeld fühlt sich Adolf Zürndorfer – Schnurrbart, hohe Stirn, stets in gestreiften Anzug und Krawatte gekleidet – ganz in seinem Element: Seine Liebe zum Theater hat der gebürtige Schwabe entdeckt, als es ihn mit 17 Jahren nach Straßburg verschlug: Eigentlich Buchhalter in einer Seidenfirma, besuchte er im Elsass so viele Aufführungen wie möglich, fand Anschluss an Künstlerkreise und schrieb nebenbei Kritiken für Zeitungen. So wurde Adolf Zürndorfer Theaterkorrespondent für das Hamburger Fremdenblatt und die Frankfurter Zeitung. Und nun feiert er am 25. April 1926 beim Lintz-Verlag bereits sein 25-jähriges Firmenjubiläum.  

Oktober 2024. „Im Nachhinein macht es mich traurig, dass ich bei ihren Düsseldorf-Besuchen nicht an der Seite meiner Mutter war“, sagt Petra Regent. „Dass ich damals so viel mit meinem eigenen Leben beschäftigt war und erst jetzt, nach ihrem Tod, hierherkomme.“ 

Das ist jetzt eine gemeine Stelle, den Text auszublenden, das wissen wir.

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