Wie vierbeinige Therapeuten dementen Menschen helfen

Auf einmal wird es Frau Müller schwindlig. Es geht keinen Schritt mehr weiter. Sie muss sich auf die kleine Sitzfläche ihres Rollators setzen. Bastienne Wanders, die einmal die Woche mit ihr und Hund Vio spazieren geht, holt einen Schluck Wasser und redet ihr gut zu. Wie soll sie die ältere Dame so nach Hause bringen und gleichzeitig auf Vio achten?
Zum Glück ist das alles nur eine Übung. Frau Müller ist auch keine ältere Dame, sondern nimmt genau wie Bastienne Wanders am Praxistag des Trainingswochenendes für Hundehalter:innen teil. Sie wollen später ältere, an Demenz erkrankte Menschen mit ihren Hunden besuchen. Zum Praxistag gehört, Situationen des Ernstfalls schon mal durchzuspielen. So wie den Schwächeanfall mitten im Spaziergang.
Schon im Januar hatten wir im Newsletter von VierNull den Aufruf des Vereins „4 Pfoten für Sie“ geteilt: Gesucht wurden ehrenamtliche Hundehalter:innen, um das Projekt auch in Düsseldorf zu starten. Daraufhin meldeten sich einige Menschen und es wurde geschaut, ob Hund und Halter:in für den Besuchsdienst geeignet sind. Wichtig ist dabei laut Projektleiterin Änne Türke und Düsseldorf-Koordinatorin Katrin Meyer, dass beide gut zusammen im Team funktionieren und der Hund grundsätzlich gehorcht. Denn ein klassisches Hundetraining steht nicht auf dem Programm. 15 Personen sind mit ihren Hunden übriggeblieben und werden nun auf die Besuche vorbereitet. Die sollen im Herbst beginnen.
Die positive Wirkung, die Tiere im Allgemeinen und Hunde im Speziellen auf Demenzkranke haben, ist wissenschaftlich belegt. Sie helfen gegen Einsamkeit, hellen die Stimmung auf und fördern die Beweglichkeit – geistig und physisch. Immer wieder wecken sie auch alte Erinnerungen, an den eigenen Hund in der Kindheit etwa. Besonders langfristiger, regelmäßiger Kontakt zwischen Demenzpatient:innen und Hunden hat diese positiven Effekte.
Das Rollenspiel-Training mit Frau Müller und dem Schwächeanfall gehört zu einer von drei Einheiten am Praxistag. Im Nebenraum der Cafeteria am LVR-Klinikum in Grafenberg gibt es noch das Hilfsmittel-Training – oder einfacher gesagt: Hindernislauf. Trainer Michael „Atze“ Nehmann hat verschiedene Hürden aufgestellt. Eine Euro-Palette stellt einen Bordstein dar, der enge Windfang des Raums einen Fahrstuhl. Es gibt Rollatoren und Rollstühle. Später legt der Trainer an manchen Ecken auch kleine Häufchen Hundefutter zur Ablenkung aus. Auch hier spielen die Teilnehmerinnen abwechselnd Besucherin und Besuchte.
Wie schiebt man am besten jemanden im Rollstuhl eine Stufe hinauf – vorwärts und nach hinten kippen oder rückwärts ziehen? Trainer Atze erklärt, die Teilnehmer:innen probieren aus: Richtig ist vorwärts. Rückwärts kann es passieren, dass die sitzende Person aus dem Rollstuhl kippt. Viele haben vorher noch nie Platz in einem Rollstuhl genommen oder eine Person darin umhergeschoben. Ein schwanzwedelnder Hund, der gleichzeitig die versteckten Leckerchen erschnüffeln will, macht es nicht einfacher, aber genau darum geht es. Die Hunde sollen sich an Rollstuhl und Rollator gewöhnen und auch daran, auf ihr Frauchen zu achten, sodass die sich um die demenzkranke Person kümmern kann.
Die Hunde an diesem Wochenende sind ganz unterschiedlich. Es sind größere Hunde dabei, aber auch ganz kleine. Die einen entspannen auf ihrer Decke, die anderen sind gebannt von all dem, was da um sie herum passiert. Einige werden nervös, wenn sie sehen, wie das Frauchen sich in den Rollstuhl setzt, und brauchen Krauleinheiten von einer der anderen Teilnehmerinnen, um nicht hinterherzustürmen.
Vio ist ein fröhlicher, verspielter Hund. Halterin Bastienne Wanders ist durch ihre Arbeit in einer Augenarztpraxis den Umgang mit älteren und demenzkranken Menschen gewohnt. Durch die Schulung fühlt sie sich gut vorbereitet. Auch wenn sie hofft, dass sie Vio noch ein bisschen ruhiger bekommt – bei ihm überwiegen Freude und Neugierde manchmal noch den Gehorsam.
Die dritte Kurseinheit am Praxistag soll die Teilnehmerinnen auf den Hundeführerschein vorbereiten. Den müssen die Ehrenamtlichen bestehen, bevor sie die Besuche machen. In der Prüfung sollen die Halter:innen unter Beweis stellen, dass sie artgerecht mit ihrem Hund umgehen können und ihn unter Kontrolle haben. Neben den praktischen Einheiten haben sie sich Vorträge angehört, etwa zu den verschiedenen demenziellen Erkrankungen, was das für die Betroffenen bedeutet und worauf im Umgang mit ihnen zu achten ist.
Natalie Flade nimmt mit Hund Bonni am Training teil. Beide haben durch ihre eigenen Familie Erfahrung mit Hundebesuchen. Flades Eltern sind über 80 Jahre alt – sie fahre oft mit Bonni zu ihnen und könne sehen, was das mit ihnen mache. „Die blühen richtig auf.“ Die Bankkauffrau hatte bisher im Arbeitsleben wenig mit Menschen zu tun, sitzt viel am Computer. Mit dem neuen Ehrenamt möchte sie anderen etwas Gutes tun. Auch wenn sie noch unsicher ist, was sie dabei erwarten wird.
In der Rollenspiel-Gruppe geht es zu Beginn erst einmal um die richtige Vorbereitung. Was sollten die Ehrenamtlichen immer dabei haben? Desinfektionsmittel – auch wegen Corona. Vielleicht ein Handtuch, um Hundesabber aufzuwischen. Eine zweite Leine, wenn die besuchte Person auch mal selbst den Hund führen möchte. Leckerchen – aber nur, wenn der versehentliche Verzehr durch einen Menschen unbedenklich ist. Das kann bei Demenzkranken passieren. Und vielleicht einen Ball oder etwas anderes, womit der Hund gerne spielt. Wie ein Besuch aussieht, hängt davon ab, wie fit die besuchte Person ist. Das können gemeinsame Spaziergänge im Wald sein oder auch nur Kaffeetrinken zuhause, Ballspielen oder herumliegen und Hund kraulen. Wichtig ist, dass sich auch das Tier wohl fühlt.
Nach dem Rollenspiel-Training geben sich alle gegenseitig Feedback. Wie haben sich die Beteiligten in der Situation gefühlt? Wie war das Zusammenspiel mit dem Hund? „Ich habe dir die ganze Zeit über den Rücken gestrichen – ich weiß nicht, ob das zu viel war“, reflektiert Bastienne Wanders. Die Perspektive der Besuchten einzunehmen ist bei der Übung fast genau so wichtig wie die Sicht der Besucherin. Zu spüren, wie es sich anfühlt, im Rollstuhl herumgeschoben zu werden und Kontrolle abgeben zu müssen. Aber auch, welche Art, angesprochen zu werden, sich richtig anfühlt.
Ein paar ältere Menschen, die sich Besuche von einem Mensch-Hund-Team wünschen, haben sich schon gemeldet. Insgesamt können 15 Personen oder auch ein paar mehr besucht werden – grundsätzlich bekommt jede Halter:in eine ältere Person zugewiesen, höchstens aber zwei, wenn genug Zeit da ist. Über einen längeren Zeitraum sollen die Besuche einmal pro Woche stattfinden. Dieser regelmäßige Kontakt ist wichtig für die Erkrankten. Oft gebe es soziale Abbrüche, sagt Düsseldorf-Koordinatorin Katrin Meyer. Die älteren Menschen ziehen sich immer mehr zurück, sind oft auch in ihrer Mobilität eingeschränkt und können auch deshalb weniger am sozialen Leben teilnehmen. Viele seien einsam. „Die Besuche sollen was fürs Herz sein.“
Weiterführende Informationen
Es sind noch Besuchsplätze frei.Zielgruppe sind Menschen mit Demenz, aber auch Senioren:innen, die Hunde in ihrem Leben vermissen und sich über vierbeinige Besucher freuen. Sie oder ihre Angehörigen können sich bei Katrin Meyer melden unter Telefon 0160 98587889 oder per Mail an [email protected]