Senfladen bleibt geschlossen: Nachfolger gesucht

Schade, dieses Einkaufserlebnis werde ich wohl nicht mehr haben. Es lief immer gleich ab. Daheim drohte der berühmte milde Senf, in Düsseldorf auch Mostert genannt, zur Neige zu gehen. Also fuhr und lief ich zu dem kleinen Laden in der Altstadt. Viele Jahre befand er sich an der Mertensgasse, 2017 zog er ein paar hundert Meter weiter in die Kapuzinergasse. Dort hatte man einige wenige Quadratmeter mehr als vorher – nicht viel, aber immerhin.
Hier wie dort galt es vor der Tür zu warten. Denn waren mehr als zwei, drei Leute im Geschäft, blieb kaum noch Platz für Kunden Nummer vier oder Nummer fünf. Kam dann jemand raus, ging man rein. Sofort umfing einen der Duft von Dutzenden Kräutern, vermischt zu einem Geruchs-Durcheinander, aus dem einzelne Aromen nur noch schwer herauszufiltern waren. Lorbeer vielleicht oder ein Currygewürz dominierten, aber am Ende war die Luft geschwängert von verschiedenen intensiven Nuancen.
Hinter der Theke: Kerstin-Miriam Seegers. Seit Jahren ein vertrautes Gesicht, früher stets gemeinsam mit ihrer Mutter Marie-Luise Seegers das Zentrum dieses kleinen Imperiums. Zurückhaltend freundlich, nie überschwänglich war sie. Bei den meisten Kundinnen und Kunden wusste sie, was sie wollen – Senf. Und zwar den der Marke ABB, benannt dem ersten Hersteller Adam Bernhard Bergrath, der im 18. Jahrhundert einen erheblichen Anteil am Ruf Düsseldorfs als Senfstadt hatte. Bis heute muss er in Düsseldorf hergestellt werden und wird das auch. Die Produktion ist nahe dem Flughafen bei der Firma Löwensenf, die mit der Münchener Develey-Gruppe kooperiert.
Senf also – und wie viel? Bei Frau Seegers, deren Geschäft übrigens offiziell Gewürzhaus hieß, kaufte man fast nie kleine Mengen. Mini-Steinguttöpfe in Grau mit blauer Aufschrift waren etwas für Touristen auf der Suche nach einem Souvenir. Aber die wirklichen Anhänger der mittelscharfen braunen Paste schlugen umfassender zu.
Teil des Rituals auch die Frage „Haben Sie ein Glas mit?“. Nein, das hatte ich so gut wie nie. Weil ich es zu Hause zwar bereitgestellt, dann aber vergessen hatte. Kein Problem: Es gab immer einen ausreichenden Vorrat an zweckentfremdeten Gläsern. Die nicht ganz so großen waren mal voller Marmelade oder Gürkchen gewesen, in den größeren waren im Supermarkt Bohnen oder Rotkohl verkauft worden. Im Gewürzhaus kamen sie zum zweiten Einsatz, unschlagbar praktisch durch den zuverlässigen Schraubverschluss, in den immer ein Stück Seidenpapier kam und das Ganze noch dichter machte. Mehrfach habe ich gesehen, wie Kunden ganze Tüten oder Körbe voll mit Gläsern abgaben – zur allgemeinen Verwendung.
War die Menge genannt – ich habe immer ein Kilo bestellt – ging Frau Seegers zur Seite an einen bulligen grau-blauen Bottich mit schwarzem Kunststoffdeckel. Der, das sah man, war schon lange in Betrieb und wohl unkaputtbar. Unten hatte er einen Auslass mit Ziehgriff. Die Ladenbetreiberin hielt das Glas darunter, zog zwei-, dreimal an dem Mechanismus, und mit einem unüberhörbaren Schmatzen schoss der Senf hinaus. Fertig. Auf der kleinen Ladentheke lag stets ein Packen Zeitungsseiten. In jeweils eine davon wurde das Glas eingewickelt und, wenn man wollte, anschließend in eine Tragetasche gelegt. Bis zuletzt habe ich mich gewundert, wie preiswert das Ganze war. Ich kann mich nicht erinnern, mal mehr als zehn, zwölf Euro bezahlt zu haben.
Nun ist das vorbei, von Frau Seegers gibt es keinen Mostert mehr. Schon vor Monaten hat sie einen Zettel an die Tür gehängt. „Wegen Krankheit vorübergehend geschlossen“ stand darauf. Das Papier ist noch da, inzwischen aber vergilbt. Aus „vorübergehend“, das hat mir ein Nachbar jetzt erzählt, ist „für immer“ geworden. Der Vermieter ist angeblich auf der Suche nach einem Nachfolger. Dass er in dieser Lage im Herz der Altstadt auch anders und weitaus lukrativer vermieten könnte, dürfte ihm klar sein.
Das Gewürzhaus in der Altstadt ist eines der letzten ursprünglichen Geschäfte in diesem Viertel. Geblieben ist sonst nur noch Börgermann an der Berger Straße.
Kerstin-Miriam Seegers (57) hatte zuletzt immer wieder über gesundheitliche Probleme geklagt. In ihrem Umfeld heißt es, vor wenigen Jahren seien sowohl die Mutter als auch der Vater kurz nacheinander verstorben. Ob und wie es als Senfladen dort weitergeht? Das ist offen. Deshalb habe ich die Düsseldorfer Jonges kontaktiert und Baas Wolfgang Rolshoven informiert. In diesem Verein, immer stark daran interessiert, Tradition zu bewahren, will der Vorsitzende diese Nachricht nun verbreiten.
Vielleicht findet sich ja einer, der künftig die Senfgläser füllt und dann in eine Zeitungsseite wickelt.
Anmerkung: In einer früheren Version dieses Textes habe ich geschrieben, es sei unwahrscheinlich, einen Nachfolger zu finden. Aber aufgrund dieses Berichts VierNull hat sich bei mir ein Düsseldorfer gemeldet der behauptet, es gäbe einen Interessenten für das Geschäft. Näheres schrieb er mir nicht. Eine Leserin will von der Inhaberin Kerstin-Miriam Seegers gehört haben, sie plane einen Neuanfang für Januar. Ob das stimmmt, ist nicht zu eruieren, denn Seegers reagiert nicht auf Anfragen.