Die überschäumende Freude am eigenen Gebräu

In Düsseldorf gibt es eine Truppe von Männern, die daheim ihr eigenes Bier herstellen. Einmal pro Monat treffen sie sich in Oberbilk, verkosten ihre Produkte und fachsimpeln. Ihr Motto: Just brew it.
Veröffentlicht am 9. Juni 2022
Stammtisch Hobbybrauer Düsseldorf
Kenner unter sich: Jedes Bier, das hier verkostet wird, ist selbst gebraut. Die Männer lieben es, zu fachsimpeln, Tipps auszutauschen und am Ende darüber zu sprechen, wie das schmeckt, was sie selbst daheim hergestellt haben. Foto: Andreas Endermann

Bunter könnte eine Gruppe kaum sein. Einer ist Dozent für Anglistik, ein anderer Physiker. Einer verdient sein Geld als Grafik-Designer, einer als Experte für Lasertechnik. Etliche haben Bärte, ein paar sind tätowiert – und alle haben eins gemeinsam: Sie sind Hobby-Bierbrauer.

Daheim in der Garage oder im eigenen Keller Bier zu machen, mag nach Exotik klingen, ist aber offenbar weiter verbreitet, als ich bisher geahnt habe. Auf jeden Fall ist das Grüppchen – sagen wir: speziell. Wie ich diese Woche erlebt habe. Einmal Monat, an jedem ersten Dienstag, trifft sich der harte Kern an der Emmastraße in Oberbilk. Beim Treffen, das ich besuche, sind rund 40 dabei – die jüngsten um die 30, die Älteren zwischen 50 und 60.

Nebenan drücken sehr gesund aussehende jungen Frauen und Männer in einem Fitnessstudio Gewichte, eine Tür weiter legen die Köche von „Emmafisch“ Lachsfilets und Seewolf auf den Grill, aber in der Halle von Bierexperte Achim Helbig geht es nicht um Muckis oder Fisch, sondern nur um das seit Jahrtausenden beliebte Grundnahrungsmittel namens Bier. BrauArt hat der Mann, den alle nur Achim nennen, sein Geschäft genannt, und sein Motto lautet „Weil Bier auch schmecken kann“.

Um die 500 Biere stehen in meterhohen Regalen an der Wand oder warten in der Kühlung auf die Kunden. Ganz besonderes jedoch kennt sich Achim mit allem aus, was im United Kingdom gebraut wird. Daher wirbt er im Logo auch mit dem Untertitel „Britische Biere“.  Wobei er auf das Wort „britisch“ großen Wert legt, weil er – als Anglist – fein unterscheidet zwischen Englisch, Schottisch, Walisisch. Er kennt sich aus in Englands Historie, weiß viel über Kelten und Angelsachsen. Mit ihm über die Historie dieses Getränks zu sprechen, ist die pure Freude. Denn er hat Ahnung, kann den Bogen schlagen zwischen dem, was wir heute ins Glas fließen lassen, und dem, was bereits vor vielen hundert Jahren aus Hopfen, Malz und Gerste gemacht wurde.

Womit wir bei den Zutaten wären. In Deutschland sind wir stolz auf das Reinheitsgebot, das nur Hopfen, Malz, Hefe und Wasser für Bier zulässt. Achim beeindruckt das nicht, denn er sieht das pragmatisch: Man könne Bier nach dieser Vorschrift brauen, aber wenn die Zutaten schlecht sind, taugt auch das Bier nicht. Womit er sicher Recht hat. Zudem beklagt er zu wenig Profil bei den gängigen Sorten. Daher sein Spruch „Weil Bier auch schmecken kann“. Gemeint ist eine gewünschte Charakteristik, also geschärftes Profil, was den Versuch, sich geschmacklichem Mainstream anzuschließen, ausschließt. Was die versammelten Experten am meisten an gängigen Bieren auf dem Markt nervt, ist deren geschmackliche Vergleichbarkeit. Echte Unterschiede, unverwechselbare Merkmale gibt es selten. Diesem Trend wollen sie auf keinen Fall folgen. Was ihnen, soviel vorab, durchweg gelingt.

Sich allzu sklavisch an vermeintlich eherne Regeln zu halten, ist eh nicht das Ding der Düsseldorfer Hobbybrauer, die sich in Achims Halle versammelt haben. Alle haben ein Glas in der Hand, mehr oder weniger voll. Und stecken ihre Nasen hinein, wirken hoch konzentriert, trinken vorsichtig. Weil sie das kosten, was die anderen – Kai, Robin, Dave, Justus etc. – gerade ausgepackt und in die Gläser gefüllt haben.

Der Austausch von Erfahrungen, die Diskussion über Aroma, Abgang, Charakter, Temperatur, Zutaten – das ist es, was diese Männer (hobbybrauende Frauen sind bislang nicht aufgetaucht) sichtlich fasziniert. Ein Bier mit Chili, warum nicht? Wer genau hinschmeckt, bemerkt im Runterschlucken die leichte Schärfe. Oder Steinbier. Was das ist? Einer aus der Gruppe hat in einer alten Quelle die Beschreibung einer uralten Methode des Brauens gefunden: In den Sud werden vorher im Feuer auf Gluthitze gebrachte Basaltbrocken getaucht. Die extreme Hitze lässt die Flüssigkeit aufbrausen und löst den Prozess aus, in dem die Zutaten die segensreiche Verbindung eingehen, aus der später Bier wird. Sechs Flaschen hat der Mann mitgebracht – Steinbier. Schmeckt großartig. Leicht rauchig, sehr intensiv. Ein so noch nie erlebter Biergeschmack.

Der Abend mit den Hobbybrauern ist wie ein Crashkurs in Sachen „Hopfen-und-Malz-Gott-erhalt’s“. Ich lerne, dass allzu kaltes Bier nicht schmecken kann, weil die Kälte jeden Geschmack tötet. Dass man durchaus Obst und Hopfen kombinieren sollte, und dass man – wie beim Wein – erst der Nase und danach der Zunge und dem Gaumen vertrauen darf. Die Form der Gläser spielt eine Rolle und die Technik des Zapfens. Und etliche Sorten des Gebräus gären wie Champagner in der Flasche und erlangen so ihre Reife. Wie Wein hat Bier unendlich viele Nuancen und verdient, darin ist man sich in dieser Gemeinschaft einig, genau so viel Anerkennung und Respekt.

Eine Wissenschaft für sich also, aber dennoch leicht umzusetzen. Dem Internet sei Dank: Rezepte gibt es reichlich und passende Lernvideos bei YouTube auch. Sämtliche Zutaten und Geräte sind problemlos zu bestellen. Die ist allerdings nicht günstig, und wenn man den Aufwand an Arbeitskraft mit kalkuliert, wird klar: Hier steht keiner am Sudtopf, weil er Geld sparen will. Kai bringt es auf den Punkt: „Die Brauanlage im Keller ist die neue Modeleisenbahn.“ Also kostspielig.

Zudem wacht der Gesetzgeber über die Brauer. Wer es im Keller oder in der Garage gären lässt, muss das – kein Scherz – beim Hauptzollamt anmelden. Dann bekommt er die Genehmigung, pro Jahr maximal 200 Liter Helles, Dunkles oder was auch immer aufschäumen zu lassen. Mehr nicht.

Natürlich wird diese Vorschrift ernst genommen. Zumal die meisten den Kessel nur für den Eigenbedarf anheizen. Und fürs gemeinsame Verkosten beim monatlichen Treffen.

Weiterführende Links
Christian Herrendorfs Bericht über neue Biere in Düsseldorf lesen Sie hier. Wegen dieses Berichts sind die Hobbybrauer auf VierNull aufmerksam geworden und haben uns kontaktiert.

Auch unsere Kollegin Karina Rodriguez hat über Altbier geschrieben und zwar hier.


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