Was sich im ersten Jahr mit Stephan Keller verändert hat

Am 1. November 2020 trat der neue Düsseldorfer Oberbürgermeister sein Amt an. Die Bilanz: Kommunikation, Ruhe und eine starke Verwaltung sind ihm wichtig, das Klimaprogramm verteidigt er eisern. Bei der Digitalisierung gibt es ein Dilemma und in der Personalpolitik geht es rustikal zu.
Veröffentlicht am 27. Oktober 2021
Oberbürgermeister Stephan Keller bei einem Termin im September in Rath. Foto: Andreas Endermann
Oberbürgermeister Stephan Keller bei einem Termin im September in Rath. Foto: Andreas Endermann

Am Anfang standen Geld und ein Fahrrad. Als Stephan Keller im November 2020 als Düsseldorfer Oberbürgermeister begann, war die erste Pressekonferenz eine gemeinsame mit Kämmerin Dorothée Schneider. Die beiden erläuterten die Lage des städtischen Haushalts und ihren Entwurf für 2021. Der Termin war ungeahnt sinnbildlich, denn Finanzfragen werden die Amtszeit Stephan Kellers wesentlich prägen. Düsseldorf nimmt corona-bedingt weniger Geld ein, deshalb wieder Schulden auf und möchte aber bis spätestens 2025 auf seinen alten Kurs zurückkehren.

Das erwähnte Fahrrad war zwei Tage zuvor das Abschiedsgeschenk des neuen an den alten Oberbürgermeister. Bei der offiziellen Übergabe des Amts lobte Stephan Keller die „hohe Energie“ Thomas Geisels und überreichte ihm ein gelbes Rennrad. Zudem dankte er ihm für die „professionelle Zusammenarbeit in der Übergangszeit nach der Wahl“.

Seitdem hat sich einiges im Rathaus, in der Politik und der Stadt verändert. Ich erörtere in diesem Text Themen, bei denen dies besonders deutlich wird:

Kommunikation spielt eine sehr große Rolle
Es gibt eine Reihe von Theorien, die erklären, warum die Düsseldorfer:innen Thomas Geisel abgewählt haben. Eine davon lautet: Der frühere Oberbürgermeister hat es während seiner Amtszeit nicht geschafft, seine Erfolge ausreichend zu kommunizieren. Unabhängig davon, wie berechtigt diese Annahme ist, scheint Stephan Keller sich fest vorgenommen zu haben, diesen Fehler nicht zu übernehmen. Die Kommunikation jeglichen Handelns ist dem Oberbürgermeister auffällig wichtig. Dabei betont er oft, dass ein Vorgang auf seine Initiative zurückzuführen ist oder welchen Anteil er an dem Vorgang hatte.

Stephan Keller und sein Umfeld haben dabei auch verstanden, wie sich Kommunikation inzwischen verändert hat. Früher genügte es, in einigen wenigen Medien als Protagonist oder mit einem Zitat vorzukommen, um große Teile der Bürger:innen und damit der Wähler:innen zu erreichen. Heute braucht man eine Vielzahl von Kanälen, um dasselbe Ergebnis zu erreichen. Und man sollte sich angesichts der vielen konkurrierenden Informationen ruhig auch wiederholen, damit sich eine Nachricht durchsetzt. Das führte im ersten Jahr des neuen Oberbürgermeisters zum Beispiel dazu, dass die Stadt gleich ein halbes Dutzend Pressemitteilungen veröffentlichte, als die Umweltspuren abgeschafft wurden.

Die Erinnerung an die Umweltspur verblasst
Apropos Umweltspuren: Bei diesem Thema hat Stephan Keller für eine erstaunliche Ruhe gesorgt. Er hat zwei der Spuren wie im Wahlkampf versprochen abgeschafft. Zudem haben Land und Bezirksregierung mit der Deutschen Umwelthilfe (DUH) eine Einigung ausgehandelt, so dass die DUH nicht mehr klagen wird. Zu Tempo 30 auf der Merowingerstraße gab es kurz Aufregung, mittlerweile aber redet kaum noch jemand in Düsseldorf über die beiden Umweltspuren. Dabei muss man allerdings zwei Dinge berücksichtigen: 

  1. Bis heute herrscht noch nicht wieder der Andrang wie vor Corona. Lediglich die Hälfte, vielleicht zwei Drittel der Arbeitnehmer:innen fahren inzwischen wieder regelmäßig ins Büro nach Düsseldorf. Bei den Pendlern aus der Region ist der Anteil noch geringer beziehungsweise der Trend zum Home-Office noch ausgeprägter. Das heißt: Ob und welche Staus die Pendlerampel verursacht, die die große Umweltspur ersetzt, ist noch nicht praktisch erprobt.
  2. Die Zeit hilft. Im Moment gilt noch der Luftreinhalteplan von 2019, der neue wird nach der Einigung mit der Umwelthilfe aktuell geschrieben. Aber sogar im alten war ablesbar, dass der technische Fortschritt bei den Autos mit Verbrennermotor und der wachsende Anteil von Elektroautos dazu beitragen, dass die Schadstoff-Grenzwerte bald eingehalten werden. Vor wenigen Jahren drohte bei einer erfolgreichen Klage der Umwelthilfe gegen den Luftreinhalteplan noch ein Dieselfahrverbot. Mittlerweile ist das schon nicht mehr realistisch, weil der CO2-Anteil des Autoverkehrs in der Berechnung für den Plan sinkt, da mehr Menschen Fahrzeuge kaufen, die schadstoffärmer unterwegs sind.

Klimaprogramm wird verteidigt
„Hauptstadt“ ist eines der Lieblingsworte von Stephan Keller. Passend dazu hat als ein Ziel ausgerufen, Düsseldorf müsse Klima-Hauptstadt werden: Die Emissionen sollen bis 2035 so sinken, dass pro Kopf und Jahr statt sechs nur noch zwei Tonnen ausgestoßen werden. Damit verbunden sind 60 Millionen Euro im Etat, die die Stadt pro Jahr für den Klimaschutz investiert. Einige Parteikollegen Kellers nahmen das nicht so ernst und wollten die Vorgabe dadurch erfüllen, dass sie alles, was im Entferntesten mit Klimaschutz zusammenhängt, auf diesem Wege abrechnen. Und sie haben den Umfang des Programms nun auch direkt zur Disposition gestellt, als klar wurde, dass Düsseldorf in den nächsten Jahren sparen muss.

Stephan Keller nimmt das Programm dagegen ernst. Er sieht die Extremwetter der vergangenen Jahre als Beleg, dass der Klimawandel in Düsseldorf angekommen ist. „Wir schreiben trotz aller Sparbemühungen das 60-Millionen-Euro-Klimaschutzprogramm fort, hier gibt es keine Abstriche“, sagte er, als er im September den Entwurf für den städtischen Haushalt 2022 vorstellte.

Neue Rolle für die Stadt bei der Digitalisierung
Die Düsseldorfer Schüler:innen und ihre Eltern hatten im ersten Lockdown gerade ihre ersten bitteren Erfahrungen mit der Digitalisierung beziehungsweise der Nicht-Digitalisierung gemacht, als Stephan Keller das Thema mit dem Slogan „Gigabit für alle“ im Wahlkampf aufgriff. Auf das gute Gespür folgte ein Dilemma. Der neu gewählte Oberbürgermeister unterschrieb noch im Winter 2020 Absichtserklärungen mit großen Telekommunikationsunternehmen zum Ausbau des Glasfasernetzes.

Die Unternehmen interpretierten diese Erklärung streng kaufmännisch. Sie suchten sich die Gebiete aus, in denen sie dank vorhandener Leitungen möglichst wenig investieren müssen und in denen möglichst viele potentielle, also zahlungskräftige Kund:innen leben. Das Dilemma: Damit vertieft die Digitalisierung die soziale Spaltung, schnelles Internet entsteht vor allem dort, wo Menschen mit höheren Einkommen leben.

Die mögliche Lösung: Die Stadt schafft das Netz selbst. „Der ausschließliche Ausbau durch die Netzbetreiber wird uns nicht zum Ziel führen. Deshalb muss sich nach meiner Überzeugung die Rolle der Stadt im Ausbaugeschehen verändern“, sagte der Oberbürgermeister im September. Die Stadt werde eine deutlich aktivere Rolle übernehmen und auch „eigenverantwortlich“ den Netzausbau vorantreiben. Es wird spannend zu sehen sein, ob und wie dies gelingt und wie Menschen mit geringem Einkommen ein guter Internetzugang finanziell ermöglicht wird.

Friede im Bündnis
Thomas Geisel und Stephan Keller haben mit Blick auf die sie tragenden politischen Mehrheiten eines gemeinsam: Beide stabilisieren die Bündnisse. Allerdings auf sehr unterschiedliche Weise. Thomas Geisel brachte mit Vorstößen und Vorträgen regelmäßig die Beteiligten der Ampel-Kooperation gegen sich auf. Das ging so weit, dass sogar die SPD-Vertreter:innen bisweilen meinten, ihre Loyalität gelte in erster Linie den Kolleg:innen von Grünen und FDP und nicht ihrem Oberbürgermeister.

Sein Nachfolger bietet sich nicht als gemeinsame Frust-Zielscheibe an, vielmehr setzt er immer wieder Zeichen zugunsten der schwarz-grünen Kooperation. Sowohl am Abend der Kommunalwahl 2020 als auch der Bundestagswahl 2021 ging er früh zu den Wahlpartys der Grünen, um zu gratulieren.

Dabei weiß er zwei Diplomaten in seinem Sinne an seiner Seite: den CDU-Fraktionsvorsitzenden Rolf Tups und Bürgermeister Josef Hinkel. Beide machen nicht durch Visionen oder Projekte von sich reden, sondern werden vor allem als Moderatoren in der CDU und im Bündnis gelobt. Die zwei Vertrauten des Oberbürgermeisters sorgen für Ruhe, im Rahmen der Möglichkeiten gute Stimmung und eine relativ kleine Zahl an Querschüssen.

Nicht nur Friede in der Personalpolitik
Zu den bisher typischen Phänomenen eines neuen Oberbürgermeisters gehörte der Verlauf der Personalversammlungen der Stadt. Als alle Mitarbeiter:innen der Verwaltungen dort erstmals auf Dirk Elbers und Thomas Geisel trafen, wirkten sie spürbar optimistisch, dass nun ein Wandel im Rathaus einsetzt, und zeigten das auch mit ihrem Applaus. Mit jedem weiteren Jahr zeigten sie sich dann enttäuschter.

Stephan Keller hat ähnlich wie seine Vorgänger begonnen, bei ihm könnte es aber anders weitergehen. Er hat erklärt, auf eine wachsende Stadt nicht mit einer schrumpfenden Verwaltung reagieren zu wollen. Er möchte Stellen wiederbesetzen und neue schaffen, eine Botschaft, die in der Verwaltung für längerfristige Sympathien sorgen dürfte.

An anderer Stelle in der Personalpolitik agiert das Rathaus unter neuer Führung rustikal. Die Stadt hat zwei Führungskräften gekündigt, beide Vorgänge waren in der Öffentlichkeit gut wahrzunehmen und haben die Betroffenen beschädigt. Es stehen große Vorwürfe im Raum, ob sie belegbar sind, ist offen. Folglich ist auch ungeklärt, ob die Stadt mit den beiden Kündigungen nicht übers Ziel hinausgeschossen ist und es maximal zu Abmahnungen hätte kommen sollen. Das würde bedeuten, dass die Stadt die nun anstehenden Arbeitsgerichtsprozesse verliert und hohe Abfindungen zahlen muss.

Eine der spannenden Fragen, die mit den beiden Verfahren verbunden ist: Warum hat der Jurist Stephan Keller dies zugelassen oder mitgetragen?

Die neue Oper ist schon ziemlich auf dem Weg
Ein schönes Beispiel für den Regierungsstil des Stephan Keller bildet die neue Oper. Da hat der neue Oberbürgermeister im ersten Jahr still seine Vorstellungen durchgebracht:

  1. Stephan Keller will eine neue Oper. Als ich ihn fragte, warum bei der Bürgerbeteiligung zur Oper nicht am Anfang die grundsätzliche Frage gestellt werde, ob die Düsseldorfer:innen überhaupt eine neue Oper wollen, antwortete er mir, man könne diese Frage stellen, er werde es aber nicht tun. Und tatsächlich tauchte die grundsätzliche Frage nicht auf.
  2. Stephan Keller will eine Oper in der Innenstadt. Ebenfalls früh in der Debatte erklärte der Oberbürgermeister, die neue Oper brauche einen zentralen Standort, eine Oper im Medienhafen sei zu abgelegen. In den Standort-Vorschlägen, die noch im Rennen sind, ist der Medienhafen nicht mehr vertreten.

Fazit und Ausblick
In seinem ersten Jahr hat Stephan Keller die meisten Veränderungen im Rathaus und in der Stadt noch selbst angestoßen oder beeinflusst. Das dürfte sich in der weiteren Amtszeit ändern. Die Sparzwänge werden für Spannungen im schwarz-grünen Bündnis sorgen. Die CDU wird irgendwann ihre Wahlniederlage aufarbeiten müssen und dabei sicher keinen geschlossenen Eindruck machen. Parallel dazu versuchen die Christdemokrat:innen, ihre vier Direktmandate bei der Landtagswahl zu verteidigen.

Die Zwei-Jahres-Bilanz des Oberbürgermeisters könnte dann auch einen überraschenden Schwerpunkt haben: die Sozialpolitik. Für 2022 hat er angekündigt, den Kinderschutz durch den Bezirkssozialdienst des Jugendamtes so auszubauen, dass dieser 24 Stunden am Tag und 365 Tage im Jahr im Einsatz ist. Und für die älteren Mitbürger:innen möchte Stephan Keller das Angebot der Zentren plus ausbauen.


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