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70 und erstmals bei einer Demo

Noch nie habe ich für oder gegen etwas demonstriert. Das ändert sich am Samstag. Dann werde ich auf den Düsseldorfer Rheinwiesen mit hoffentlich vielen anderen klarmachen: Wir sind mehr. Und wir dulden keine Rechtsextremen, die Millionen Menschen ausweisen wollen, weil ihre Wurzeln nicht deutsch sind.

Von Hans Onkelbach (Text)
und Andreas Endermann (Foto)
Veröffentlicht am 25. Januar 2024
Demonstration SolidaritŠt mit der Ukraine
Premiere für mich: Am kommenden Samstag werde ich auf den Rheinwiesen mit hoffentlich tausenden anderen stehen und klarmachen, dass die Mehrheit dieses Volkes keine Nazis will.

In meiner Kindheit lag der Krieg zwar schon mehr als zehn Jahre zurück, aber der Horror dieser Zeit war oft präsent. Nicht zuletzt durch meinen Vater, der als 16-Jähriger 1945 an die Front nach Ungarn geschickt worden war, dort voller Angst vor russischen Truppen desertierte und sich zu Fuß auf den Weg in die Heimat in der Nähe von Neuss machte. Als 16-Jähriger, zu Fuß quer durch Europa! Schaudernd hörte ich seine Schilderungen. Oder die meiner Mutter von der Panik im Bunker, wenn die Bomben in der Nähe einschlugen und alles zitterte, Kinder vor Angst schrien. Ihren Hunger schilderte sie, erinnerte sich an einen toten, jungen Soldaten mit einem Schussloch in der Stirn, dem der Hinterkopf fehlte. Sie erzählten von der Judenverfolgung (die beiden bewusst war) und dem zerstörten Land danach. Heute weiß ich: Sie müssen traumatisiert gewesen sein.

Als junger Mann sah ich die Folgen des Kriegs in der nicht wirklich gut wieder aufgebauten DDR und das frühere Konzentrationslager Buchenwald. Vor wenigen Jahren besuchte ich Yad Vashem, die Holocaust-Gedenkstätte bei Jerusalem. Was ich in Buchenwald, vor allem in Yad Vashem gesehen habe, kann nur jemand einschätzen, der dort war. Das Grauen ist plötzlich beängstigend nahe und erschütternd.

An all das muss ich in jüngster Zeit oft denken, wenn ich Björn Höcke von der AfD höre, ein Zitat von Alexander Gauland von der NS-Zeit als „Fliegenschiss“ lese und junge Männer in Breeches und braunen Nazi-Uniformen sehe. Mein Gefühl schwankt zwischen Fassungslosigkeit und Zorn. Wie kann man nach diesen Jahren unter der Nazi-Herrschaft, nach zig Millionen Toten als direkte Folge des Zweiten Weltkriegs wieder auf Gedanken kommen, die im Prinzip eine Blaupause dessen sind, was damals geschah? Das begann in den Zeiten der Weimarer Republik, als die Nazis ihren Terror ausweiteten und mündete schließlich ins Jahr 1933, in dem ein gewisser Adolf Hitler Reichskanzler wurde.

Dass sich das wiederholt, will ich um jeden Preis verhindern. Damals haben viele den Mann mit dem kuriosen Schnurrbärtchen unter der Nase belächelt und gedacht, lass mal – der wird eh scheitern. Er scheiterte nicht, weil die Demokraten ihn gelassen haben. Gescheitert ist er erst zwölf Jahre und unfassbar viele Tote später, gestoppt mit Waffengewalt und nicht durch Verhandlungen.

Nach wie vor glaube ich: Daraus haben die Deutschen gelernt, jedenfalls die meisten. Und wenn ich die Menschenmassen sehe, die zuletzt in Köln, München, Hamburg, aber auch in Leipzig auf die Straße gegangen sind, bin ich optimistisch, dass viele das genau so sehen.

Stolz macht mich als Journalisten natürlich, dass ein einziger Beitrag des Recherche-Netzwerks Correctiv zum Weckruf wurde. Nichts in den letzten Jahren hat soviel Aufsehen erregt, so aufgeschreckt wie der Bericht über dieses Treffen in Potsdam. Organsiert hatte es der frühere Düsseldorfer Zahnarzt Gernot Mörig, er lud – für uns Düsseldorfer empörend – im Namen eines „Düsseldorfer Forums“ ein. In Brandenburg traf sich eine Gruppe von Rechtsextremen, AfD-Leute waren dabei – und sie erörterten ernsthaft die Remigration von Millionen Deutschen nicht-deutscher Abstammung ins Ausland.

Nur wenige Kilometer entfernt steht die Villa, in der 1942 die Wannseekonferenz stattfand, bei der führende Nazis – unter der Leitung der SS-Größe Reinhard Heydrich – die Deportation der Juden besprachen. Bevor man beschloss, dieses Volk auszurotten, hatte man übrigens auch erwogen, alle Juden aus dem Land zu schaffen. Madagaskar war als Ziel ins Visier genommen worden. Ähnlich verliefen die Gespräche im Landhaus Adlon bei Potsdam im November. Correctiv hatte davon gehört, einen Reporter eingeschleust und machte das Ganze öffentlich.

Da wir bei VierNull mit Correctiv kooperieren, bekamen wir die Hinweise auf Düsseldorf vorab mitgeteilt. Und da tauchte dieser Name auf: Gernot Mörig. Als ich den las, traf mich das wie ein Schlag. Ich kannte den Mann, hatte ihn 2017 und 2018 mehrfach getroffen, gern mit ihm geredet, fand ihn interessant, sympathisch und klug. Das war er auch. Aber auch ein Nazi. Was ich nicht ahnte.

Wie ich mich nach dieser Erkenntnis fühlte, habe ich unter der Überschrift „Mein Bekannter, der Neo-Nazi“ bei VierNull aufgeschrieben. Was dann folgte, war für uns unglaublich: Keine unserer bisherigen Geschichten seit Mai 2021, als wir online gingen, hat so viele Leser gefunden. Bis jetzt haben fast 11.000 Frauen und Männer meinen Erfahrungsbericht gelesen. Man sieht daran: Das Thema berührt die Menschen, es fasst sie an, sie begreifen, wie leicht wir uns täuschen lassen.

Die Lehre daraus ist jedenfalls klar: Für uns als Mehrheit ist die Zeit des Schweigens vorbei. Und es ist ein gutes Gefühl zu lesen, wer mitmachen will: Fortuna ruft zur Teilnahme auf, die Jonges, viele Vereine, das Prinzenpaar wird auf der Bühne sein, die politischen Parteien. Und ganz besonders gefällt mir der Spruch, mit dem die gesamte Mannschaft von Düsseldorfs bekanntester Kabarettbühne antreten will: „Im Kom(m)ödchen passt die AfD nicht mal in die unterste Schublade!“

Viele Freunde, Bekannte und Kollegen werden mitmachen. Wenn ich sie nicht finde, wird mich das ausnahmsweise freuen: Weil es nämlich bedeutet, dass massenhaft Leute auf der Rheinwiese sind.

Sie hoffentlich auch.

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