Die erfahrene Neue

Sara Nanni ist im September in den Bundestag gewählt worden. In Düsseldorf war sie noch weitgehend unbekannt, in der politischen Szene ist die 34-Jährige aber schon ausgezeichnet vernetzt – und startet deshalb lockerer als die meisten neuen Abgeordneten.
Veröffentlicht am 27. Dezember 2021
Bundestagswahl 2021
Sara Nanni (Mitte) am Wahlabend im Ehrenhof, zusammen mit den Parteivorsitzenden Paula Elsholz (links) und Stefan Engstfeld (rechts) sowie den weiteren Grünen-Bundestagskandidaten Anas Al-Qura‘an (Zweiter von links) und Frederik Hartmann. Foto: Andreas Endermann

Sara Nanni sitzt in ihrem zweiten Übergangsbüro und steht vor ihrer ersten großen Dienstreise. Die neue Bundesverteidigungsministerin Christine Lambrecht (SPD) fliegt nach Litauen und besucht die dort stationierten deutschen Soldat:innen. Mit in der Delegation: die Düsseldorfer Abgeordnete, die erst am 26. September in den Bundestag gewählt wurde.

Die Düsseldorfer Grünen haben seit einer Ewigkeit kein Mitglied des Hohen Hauses mehr gestellt, Sara Nanni ist die erste seit 32 Jahren1. Dabei wirkte es zunächst, als würde sie das Schicksal vieler Parteifreund:innen teilen: Die Kandidat:innen der Grünen gingen bei der Bundestagwahl ohne Aussicht auf ein Direktmandat ins Rennen und landeten auf den Reservelisten zu weit hinten für einen Platz in Berlin. Sara Nanni hatte als Direktkandidatin im Süden der Stadt auch nur sehr bedingt Chancen auf einen Sieg, aber die Partei wählte sie auf Platz 17 der Landesliste. Das bedeutete: Rund 13 Prozent der Stimmen würden reichen.

Bei allen Schwankungen dieses Wahljahres lagen die Grünen nahezu immer über diesem Wert. Dennoch hat Sara Nanni vorab kaum Fakten für oder in Berlin geschaffen. „Ich bin zwar nicht abergläubisch, aber ich habe großen Respekt vor der demokratischen Entscheidung.“ Lediglich mit ihrem möglichen Büroleiter sprach sie, ob er sich vorstellen könne, für sie zu arbeiten und welche Ziele sie gemeinsam hätten. Und ihr Mann schrieb schon mal seinen Antrag auf Arbeitszeitreduzierung, damit er sich um die gemeinsame Tochter kümmern kann, und legte den für alle Fälle in die Schublade. Mehr aber traute sich die Kandidatin bis zum 26. September nicht und hat eben deshalb im Moment auch noch ihr zweites Übergangsbüro im hinteren Teil von „Unter den Linden“. Nach der Wahl hatte sie zunächst kurzfristig ein erstes Büro bekommen, den endgültigen Arbeitsplatz gibt es dann, wenn der Erweiterungsbau für die Abgeordneten fertig ist.

Die Düsseldorferin hat wenig Fakten geschaffen, sich im Kopf aber ausführlich mit der Was-wäre-wenn-Frage beschäftigt. Sie habe bei Freunden und Bekannten, die vom Ehrenamt in die Berufspolitik wechselten, erlebt, welche „Unwuchten“ das Leben plötzlich bekomme. Sie werde viel Zeit im Zug verbringen, oft 14-, 15-, 16-Stunden-Tage haben, sagt ihr Kopf. „Da habe ich beschlossen, mit dem Rauchen aufzuhören. Ich habe im politischen Umfeld leider immer viel geraucht. Jetzt war mir klar, dass ich das körperlich nicht mehr hinkriege.“ Zweites festes Vorhaben: Immer feste Zeiten fürs Essen zu blocken, damit man nicht erst nach 15 Stunden feststellt, dass man den ganzen Tag noch nichts gegessen hat. Ihre Abschlussfrage an sich selbst: Schaffe ich das? Die Antwort: Ja.

Dieser Plan hat sich schon nach wenigen Wochen als sehr richtig und wichtig herausgestellt. Sara Nanni bekam für eine neue Abgeordnete bemerkenswerte Aufgaben und Rollen. Die Grünen sind an der neuen Bundesregierung beteiligt, deshalb sind viele Expert:innen der Partei in die Ministerien von Annalena Baerbock oder Robert Habeck gewechselt, die Fraktion brauchte neue Fachleute. Sara Nanni ist nun sicherheitspolitische Sprecherin.

Das Thema hat ihr bisheriges Leben geprägt, schon während der Jugend im heimischen Münsterland und dann auch in so gut wie allen weiteren Stationen: Master in Friedens- und Konfliktforschung, wissenschaftliche Studien zu Friedensarbeit, militärischer Transformation, Salafismus und Radikalisierung. Frankfurt, Darmstadt, Aachen, Düsseldorf. Zudem Mitglied von Amnesty International, der Plattform Zivile Krisenprävention, der Deutschen Gesellschaft für die Vereinten Nationen, des Vereins „Women in International Security“ und des Forums Neue Sicherheitspolitik der Heinrich Böll Stiftung. Und einziges ehrenamtliches Mitglied unter Politprofis in ihrer Impulsgruppe („Neue Fragen für Europa, die Außen-, Sicherheits- und Menschenrechtspolitik“) zum Grundsatzprogramm der Grünen.

Aus diesen Jahren und Tätigkeiten kannte Sara Nanni bereits alle Menschen, mit denen sie jetzt in Berlin arbeitet. Und so verwundert es dann auch nicht mehr, dass ihr Lebenslauf nun um die Punkte „Sprecherin der Arbeitsgemeinschaft Sicherheit, Frieden und Abrüstung“ und „Mitglied des Verteidigungsausschusses“ wuchs. Letzteren leitet übrigens eine andere Düsseldorferin. Die hiesige FDP-Chefin Marie-Agnes Strack-Zimmermann ist Vorsitzende des Gremiums. Die beiden kennen einander schon länger, schätzen einander und haben es dank der Ampel nun auch inhaltlich leichter. „Wir – Grüne und Liberale – sind beide kostensensibel.“

Die neue Aufgabe müsste eigentlich mit einer großen Frage verbunden sein: Was unterscheidet Friedenspolitik von Sicherheitspolitik und beide wiederum von Verteidigungspolitik? Sara Nanni sieht das allerdings anders und möchte die Gegenüberstellung auflösen. „Ich unterstelle allen, die mit Frieden und Sicherheit beschäftigt sind, dass sie das Gleiche wollen. Man kann die verschiedenen Bereiche versöhnen, das braucht aber noch ein bisschen mehr gegenseitige Wertschätzung.“ Die Soldat:innen der Bundeswehr wüssten sehr genau, wo die Grenzen zwischen Krieg und Frieden sein und hätten kein Interesse daran, in einen Krieg zu geraten. Dafür müsse man ihnen aber noch mehr Respekt zeigen.

Sara Nanni definiert deshalb ihre Ziele für die Friedens-Sicherheits-Verteidigungs-Politik in den nächsten vier Jahren auch ungewöhnlich. Sie möchte die Situation für die Friedens- und Konfliktforschung verbessern. Politik brauche ausführliches Wissen von Menschen, die sich kontinuierlich mit ihren Themen beschäftigen und nicht nur in einem Projekt für einige wenige Jahre. „Wir haben einen zu starken Hang zur Projektisierung, wir machen uns dadurch ein Stück weit handlungsunfähig.“ Die angestrebte kontinuierliche wissenschaftliche Arbeit soll die Grundlage sein, um gute Entscheidungen für die außen- und sicherheitspolitischen Fragen zu treffen, die sich wie in kaum einem anderen Politikfeld ad hoc ergeben.

Aus ihrer Zeit vor der Berufspolitik hat Sara Nanni ein Gefühl mitgenommen: „Unsere Demokratie hat ein Problem: Die Kommunikation zwischen Politiker:innen und Bürger:innen läuft nicht so gut. Die Akzeptanz unseres Systems hängt aber ganz wesentlich davon ab, wie wir Politiker:innen uns verhalten.“ Sie möchte deshalb in Düsseldorf mit den Bürger:innen anders kommunizieren, erklären und nicht abspeisen. „Manchmal ist etwas, das von außen doof aussieht, gar nicht so doof. Und manchmal ist es tatsächlich doof und dann muss man das auch sagen. Sieht doch jeder.“ Dass sie dabei auch „auf den Deckel“ bekommen wird, weiß sie. „Das auszuhalten ist mein Job als Politikerin.“

Fußnote

1 Der bis dahin letzte Grüne-Abgeordnete aus Düsseldorf war Otto Schily. Der spätere Bundesinnenminister hatte 1983 und 1987 erfolgreich fürs Parlament kandidiert. Sein Wahlkreis lag damals in der NRW-Landeshauptstadt. 1989 wechselte Otto Schily von den Grünen zur SPD.


Lust auf weitere Geschichten?