Der Mann an der Seite von Stephan Keller wechselt womöglich den Arbeitsplatz

Olaf Wagner hebelt ein ungeschriebenes Gesetz des Düsseldorfer Stadtrats aus. Dort gilt: Wer vorne sitzt, ist wichtig, und je weiter hinten jemand man seinen Platz hat, desto kleiner ist dessen Rolle. Im politischen Teil des Saals belegen deshalb die Fraktionsvorsitzenden und wichtige Fach-Sprecher:innen die ersten Reihen. Ähnlich sieht es auf Verwaltungsseite, also in der so genannte Dezernentenbank aus: Vorne sitzen der Stadtdirektor und die Beigeordneten, dann folgen Referent:innen und einige Amtsleiter:innen. Nur für die dritte Reihe der Dezernentenbank gilt die Regel nicht, denn dort sitzt Olaf Wagner.
Er leitet das Büro von Oberbürgermeister Stephan Keller. Der Job war in den vorherigen 20 Jahren keiner, mit dem man sich auch nur ansatzweise beliebt machte. Er ähnelte der des Türstehers vor einer Disco, in die alle rein wollen. Die Leiter:innen des OB-Büros beraten den Rathaus-Chef, welche Termine er besuchen und mit wem er sich treffen sollte, für welche Themen er sich stark machen und wovon er sich weiträumig fern halten sollte. Ärger und Konflikte nehmen sie, soweit sie können, auf sich und halten sie von ihrem Vorgesetzten fern.
Die vorherigen OB-Büroleiter:innen (Christina Begale, Frank Scholz und Jochen Wirtz) haben diese vermeintliche unangenehme Aufgabe alle mit einer erstaunlichen Leidenschaft ausgeübt. Sie waren in Rathaus, Politik und Gesellschaft gefürchtet, das Bemühen, sich mit ihnen gutzustellen, war ein weit verbreiteter Extremsport. Folglich waren (und sind) sie regelmäßig auf wichtigen gesellschaftlichen Ereignissen als Gäste zu sehen.
Bei Olaf Wagner ist dies anders. So wie an seinem Platz im Stadtrat kein Namensschild steht und so wie er dort niemals als Redner zu hören ist, so beinah unsichtbar agiert er an anderen Stellen. Von heftigen Zusammenstößen mit ihm ist nichts zu hören. Als Gast einer Veranstaltung, um den sich viele andere versammeln, ist er nicht zu beobachten.
Der Mann agiert sogar so geräuschlos, dass wenig über ihn bekannt ist. Es gibt nur einen Punkt, der im Zusammenhang mit ihm immer genannt wird: Der Oberbürgermeister hat ihn aus Köln mitgebracht. Dort war er aber nicht, wie viele annehmen, Stephan Kellers Büroleiter, sondern Chef des Amts für Personal- und Verwaltungsmanagement, das in Kellers Zuständigkeit fiel. Als studierter Verwaltungswirt hatte Olaf Wagner an verschiedenen Stellen bei der Bundesagentur für Arbeit gewirkt (Solingen, Düsseldorf und Nürnberg), bevor er 2003 zur Stadt Köln wechselte. Dort war er unter anderem Geschäftsführer des Jobcenters. Der Rest ist schnell zusammengefasst: Der Mittfünfziger ist parteilos, verheiratet und hat einen Sohn.
Die Erfahrungen aus den genannten Posten haben Olaf Wagner derzeit eine zweite Aufgabe eingebracht. Er kümmert sich um die Bereiche, die vakant sind, seitdem der Beigeordnete Michael Rauterkus nicht mehr im Amt ist. Dieser hat zum 1. April einen neuen Job beim Land angetreten, nachdem Stadtspitze und Politik angekündigt hatten, ihn abwählen zu wollen. Michael Rauterkus war für Personal, Digitalisierung und Wirtschaftsförderung zuständig (meinen Text zu dem Fall finden Sie hier).
Insbesondere das erstgenannte Ressort passt zu Olaf Wagner – und beschert den Rathausfluren ein aktuelles Lieblingsgerücht. Es lautet: Der OB-Büroleiter wechselt den Posten und übernimmt dauerhaft das Dezernat für Personal, Digitalisierung und Wirtschaftsförderung. Dafür sprechen die folgenden drei Punkte:
1. Stephan Keller kann sich bei der Neubesetzung keinen Fehler erlauben, die Entscheidung muss diesmal sitzen. Die CDU hat das Vorschlagsrecht für diesen Beigeordneten-Posten und mit der Wahl von Michael Rauterkus erfolgsfrei davon Gebrauch gemacht. Auf dem Markt sind aktuell wenig andere Expert:innen für die genannten Bereiche zu finden, viele mögliche Kandidat:innen erscheinen deshalb riskant. Bei seinem engsten Vertrauten weiß Stephan Keller hingegen genau, wer den Job übernimmt, was er kann und wie gering die Gefahr des Scheiterns ist.
Das haben die vergangenen Wochen noch einmal bestätigt. Olaf Wagner kümmere sich gut um die vakanten Ressorts, haben mir Politiker:innen unterschiedlicher Parteien gesagt. Das einzig kritische, das ich dabei gehört habe, war, dass der OB-Büroleiter eventuell zu sehr Generalist sei und nicht ausreichend in die Tiefe gehe.
2. Der Oberbürgermeister muss das Personal im Rathaus auf seiner Seite halten. In der Düsseldorfer Stadtverwaltung arbeiten mehr als 11.000 Menschen. Um Projekte voranzubringen, ist es entscheidend, sie motiviert zu wissen. Außerdem sind sie wichtige Multiplikatoren, weil sie in ihrem Umfeld als 1a-Quelle für Eindrücke vom Oberbürgermeister gelten. Stephan Kellers Vorgänger (Dirk Elbers und Thomas Geisel) haben an dieser Stelle Fehler gemacht. Bei ihrer jeweils ersten Personalversammlung wurden sie als Hoffnungsträger begrüßt, in den folgenden Jahren waren die Beschäftigten zunehmend enttäuscht.
Das ist dem aktuellen Oberbürgermeister bisher noch nicht widerfahren. Er ist aufgrund seines Berufslebens ein Mann der Verwaltung und weiß daher, welche Bedürfnisse es in den Ämtern gibt. Ein Schlüsselmoment in seiner ersten Haushaltsrede war der Satz „Auf eine wachsende Stadt kann man nicht mit einer schrumpfenden Verwaltung reagieren.“ Die Zahl der Stellen im Rathaus ist unter Stephan Keller folglich gewachsen. Allein für dieses Jahr stehen rund 320 Stellen mehr im Plan als 2022.
Neben dem Stellenplan braucht es einen Personaldezernenten, dem die Mitarbeitenden vertrauen, der Stimmungsschwankungen bei den Beschäftigten früh erkennt und gegensteuert. Diese Fähigkeiten hat Michael Rauterkus wohl nicht gehabt. Vielmehr drohten sein Verhalten und seine Entscheidungen Frustration im Rathaus zu erzeugen, obwohl die Mitarbeitenden mit dem Oberbürgermeister ganz zufrieden sind.
3. Die Gelegenheit ist gerade günstig, Strukturen passend zu gestalten. Neben dem Job des Beigeordneten gibt es zwei weitere Führungsposten, die neu besetzt werden müssen: die Leitung des Hauptamts und die der Abteilung für Informations- und Kommunikationstechnik. Schreibt man diese Stellen passend aus und entwickelt mit den neu eingestellten Menschen dann gemeinsame frische Strukturen, dann könnte Olaf Wagner als Beigeordneter sich auf die sensiblen Bereiche konzentrieren und im Übrigen anderen Freiraum lassen. Dass die Vakanzen zeitlich mit der Suche nach einem Beigeordneten zusammenfallen, beschert den Verantwortlichen eine seltene und günstige Gelegenheit.
Trotz dieser drei Punkte gibt es ein starkes Argument dafür, dass aus dem Lieblingsgerücht keine Wirklichkeit wird: Die zweite Hälfte der Legislaturperiode ist angebrochen. Je näher der Oberbürgermeister-Wahlkampf rückt, desto stärker braucht der Amtsinhaber seine engsten Vertrauten in seiner Nähe. Andernfalls wächst die Gefahr, dass zwar im Dezernat weniger Fehler gemacht werden, dafür aber mehr im OB-Büro.
Ein Kompromiss (mit hoher Arbeitsintensität) könnte folgende Lösung sein: Olaf Wagner bleibt Leiter des OB-Büros und zieht die wichtigsten Aufgaben aus dem ehemaligen Rauterkus-Dezernat zu sich, also insbesondere das Personal. Die verbleibenden Ressorts könnten dann Aufgaben für eine neue Dezernentin oder einen neuen Dezernenten sein.