Wieso Rekord-Preise beim Holz die Bauwirtschaft lähmen

Schreiner, Dachdecker, Zimmerer müssen derzeit das Drei- oder Vierfache für ihr Material zahlen. Das hat enorme Auswirkungen, erste Betriebe melden bald trotz voller Auftragsbücher Kurzarbeit an. Wir erklären die Hintergründe.
Veröffentlicht am 18. Juni 2021
Benedikt Hüttemann im Lager seines Holzhandels in Düsseldorf-Oberbilk. Foto: Andreas Endermann
Benedikt Hüttemann im Lager seines Holzhandels in Düsseldorf-Oberbilk. Foto: Andreas Endermann

Seit mehreren Monaten machen explodierende Preise für Holz Schlagzeilen. Das haben viele vermutlich achselzuckend wahrgenommen, aber bald könnte sich diese Entwicklung konkret auswirken. Jedenfalls weiß der Verband Holzbau Nordrhein, zu dem unter anderem Düsseldorf gehört, von Terminproblemen auf Baustellen und kennt Betriebe, zum Beispiel Dachdecker, die demnächst Kurzarbeit anmelden müssen. Verbandpräsident Johannes Schmitz, selbst seit vielen Jahren Inhaber einer holzverarbeitenden Firma, spricht von einer nie dagewesenen Lage: prall gefüllte Auftragsbücher, aber die Leute können nicht arbeiten, weil kein Material da ist oder zu spät angeliefert wird. Die Folgen sind vielfältig.

Um die Dimension klar zu machen, ein Beispiel vom Düsseldorfer Holzhändler Benedikt Hüttemann (57): Ein Kubikmeter Dachlatten kostete Ende vorigen Jahres 250 bis 300 Euro, jetzt werden rund 1000 Euro verlangt. Ähnlich ist die Entwicklung bei Konstruktionsholz für Dachstühle oder andere Sorten, aus denen Parkett, Fenster oder Türen entstehen. 

Wieso und wann gingen die Preise nach oben?

Noch im Sommer 2020 war der Holzpreis nach Einschätzung von Fachleuten eher zu niedrig. Mit der Corona-Krise aber begann der Preisanstieg, als viele Privatleute anfingen, lange aufgeschobene Aus- und Umbauten im Haus und im Garten zu realisieren. Die Nachfrage ging steil nach oben, aber man rechnete mit einer vorübergehenden Entwicklung.

Was hat die Zuspitzung ausgelöst?

Bereits 2019 begann in den USA, wo vor allem private Häuser hauptsächlich aus Holz sind, ein Bauboom. Zugleich gab es einen Handelsstreit mit Kanada, dem wichtigsten Holzlieferanten der USA. Also suchte man Ersatz. Und fand ihn in Europa, wo Fichte, Tanne, Buche und Eiche damals wesentlich günstiger zu bekommen waren. Nicht zuletzt, weil Notfällungen den Markt vor allem mit Fichten fluteten, da dieser Baum extrem empfindlich auf Dürre reagiert. Nach drei heißen Sommern nacheinander (2018, 2019 und 2020) vertrockneten diese Bäume millionenfach.

Außerdem fiel Russland als einer der Hauptlieferanten aus, ebenfalls wegen Handelsstreitigkeiten. Und Europa war plötzlich heißbegehrter Anbieter für Holz jeder Art – auch für China. Seitdem gehen Millionen von Festmetern per Schiff Richtung USA oder Fernost. Hiesige Holzhändler kennen Beispiele, wo Händler für ihre Kunden in China und USA komplette Kontingente direkt im Wald oder vom Sägewerk kaufen. 

Wieso hat das plötzliche Überangebot an Fichten den Preis nicht gedrückt? 

In Deutschland gab es in den vergangenen Monaten laut Messung des Bundesministeriums für Ernährung und Landwirtschaft auf knapp 280.000 Hektar Wald (so groß ist das Saarland) den totalen Kahlschlag. Betroffen waren vor allem in den Mittelgebirge wie Eifel, Sauerland oder Westerwald. Wer über die Autobahnen 3, 4 oder 45 fährt, sieht rechts und links riesige offene Areale, auf denen noch vor einigen Monaten vor allem Fichten wuchsen. Für die Aufforstung will der Bund 1,5 Milliarden Euro bereitstellen. Das Geld allein jedoch wird nicht reichen: Derzeit ist der Markt für Setzlinge leergekauft. Viele Waldbesitzer – egal, ob privat oder kommunal – können sich die Aufforstung auch mit staatlicher Hilfe nicht leisten, auch weil ein plötzliches Überangebot die Preise und damit den Ertrag einbrechen ließ.

Inzwischen jedoch sind auch diese nach deutschen Maßstäben minderwertigen Hölzer gut zu verkaufen, Kunden in Fernost nehmen sie gern. Dort sind die Qualitätsanforderungen niedriger als in Deutschland, wo Fichte, die mehr als anderthalb Jahre verdorrt war, bevor sie gefällt wurde, nicht mehr als Bauholz verwendet wird. Das scheinbar Kuriose: Am Ende trieb dieses Totholz den Preis in Deutschland sogar zusätzlich nach oben. In normalen Zeiten würden Fichten von diesen Flächen, gesund geschlagen und nachfrage- oder bedarfsgerecht auf den Markt kommen, ohne das Gleichgewicht von Angebot und Nachfrage zu stören. Nun jedoch fällt dieses Kontingent in Deutschland weg und verknappt so das Angebot an hier nutzbarem Holz. Das wird sich auch für lange Zeit nicht ändern. Wiederaufforstung dauert Jahrzehnte, und sicher ist, dass es solche schnell wachsenden Monokulturen künftig nicht mehr geben wird. Angepflanzt werden Mischwälder als Eiche, Buche, Ahorn und anderen klima-resistenten Sorten.

Wie sind die konkreten Folgen in der Bauwirtschaft? 

Wer ein Haus baut, vereinbart oft einen Festpreis und konkrete Termine. Hat aber der Dachdecker nicht auf Vorrat zu einem vereinbarten Preis passenden Kurs eingekauft, zahlt er – angesichts explodierender Preise – womöglich drauf, da sein Material teuer geworden, er aber an den Festpreis gebunden ist. Und er kann zusätzlich den Termin nicht halten, da Material aufgrund großer Nachfrage nicht rechtzeitig eintrifft. Dem Handwerker droht also doppeltes Pech: Der vereinbarte Preis deckt nicht seine Kosten, und er muss eine Konventionalstrafe zahlen, da der Termin platzt. Vor allem von der Öffentlichen Hand als Auftraggeber verlangen die Interessensverbände der Handwerker daher dringend ein Entgegenkommen bei Konventionalstrafen. Dass in solchen Aufträgen stets eine Preissteigerung von 20 Prozent einkalkuliert ist, sei überholt angesichts einer Vervierfachung der Preise. 

Wieso kommt es zu Kurzarbeit?

Die Betriebe haben zwar volle Auftragsbücher, können aber die Verträge nicht erfüllen. Um bei den Personalkosten abzufedern, werden etliche Firmen Kurzarbeit anmelden. Sie wollen arbeiten, können es mangels Material aber nicht. Oder sie wissen schon jetzt, dass sie auf Sicht neue Verträge nicht erfüllten könnten. 

Sind nur Dachdecker betroffen?

Nein. Es stockt zurzeit bei der Herstellung von Parkett, Türen und Fenstern. Holzhändler Benedikt Hüttemann könnte eine jetzt bei ihm bestellte Tür günstigstenfalls in 22 Wochen liefern – sozusagen als Weihnachtsgeschenk. Tischler Thomas Ulrich (57) aus Düsseldorf weiß von abgelehnten Aufträgen wegen unklarer Preis- und Terminlage und hat Preissteigerungen von 20 Euro pro Quadratmeter Holzplatte auf 60 Euro erlebt. Damit seien verlässliche Kostenschätzungen nicht mehr machbar. 

Wie trifft es Bauherren?

Die Kostenkalkulation stimmt nicht mehr, weil etliche Gewerke teurer werden und Termine nicht zu halten sind. Ein Beispiel: Das für einen bestimmten Zeitraum bestellte Gerüst muss Wochen länger stehen bleiben – also ist ein nicht erwarteter Aufpreis fällig. Der Gerüstbauer gerät ebenfalls in Not, da er woanders im Wort ist, aber keine neuen Gerüste kaufen kann: Mangel auf dem Stahl- und Alu-Markt hat auch dort Engpässe verursacht. So oder so hat die Verknappung viele Folgen: Gekippte Termine behindern anderen Gewerke, Bauherren geraten unter Druck, weil der erhoffte Einzugstermin nicht zu halten, aber die alte Wohnung gekündigt ist. Und wer derzeit neue Verträge mit Handwerkern abschließt, wird dabei das Wort „freibleibend“ kennenlernen. Weil niemand weiß, wie sich die Preise entwickeln, legt sich keiner mehr fest, weder bei den Kosten noch bei den Terminen. 

Ist nur Holz knapp und teuer?

Nein, auch bestimmte Kunststoffe. Die speziellen Rohre für Abwasser zum Beispiel sind aus einem Kunststoff hergestellt, der als Nebenprodukt der Kerosinherstellung anfällt. Da der Flugverkehr durch Corona weltweit extrem einbrach, sank auch die Produktion von Kerosin, und somit auch des Kunststoffs. Folge: zu wenig Rohre für unsere Baustellen. 

Quellen dieses Artikels

Interviews mit: Benedikt Hüttemann, Holzhändler mit Niederlassungen in Düsseldorf und Monheim; Johann Schmitz, Verband Holzbau Nordrhein; Thomas Ulrich, Tischler, seit 30 Jahren selbständig. 

Bericht des Bundeslandwirtschaftsministeriums zum Zustand der Wälder

Bauholzmangel in Europa und DŸsseldorf
Dachdecker bei der Arbeit in Düsseldorf: Ihr Job ist komplizierter geworden, weil explodierende Preise beim Holz und Lieferengpässe Kostenkalkulation und Termintreue erschweren. Foto: Andreas Endermann

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