Geschäft mit dem Tod, aber im Schaufenster das pralle Leben

Für Beerdigungsunternehmen ist das Thema Sterben alltäglich. Vielleicht sind ihre Auslagen deshalb oft äußerst lebhaft. Hier ein Beispiel aus Gerresheim. Frauen sind die Seele dieses Betriebs, dessen Deko auch schon mal zum Karneval passt.
Von Andreas Endermann (Foto)
Veröffentlicht am 6. August 2024
Schaufenster Bestattungsunternehmen Kamp
Sabine Kamp und der Zug des Lebens im Schaufenster ihres Bestattungsunternehmens. Es lohnt sich, genauer hinzuschauen.

Einen Wimperschlag lang wirkt das Schaufenster am Kölner Tor wie das eines Reisebüros. Ein Arrangement aus hübschen, strahlend weißen Muscheln säumt den Boden. Ein Rettungsring mit Ins-Auge-Springkraft schwebt an der Wand. Kleine Boote schaffen maritimes Ambiente, das die sonnigen Seiten des Gemüts liebkost. Für Irritation sorgt eine Urne, die danebenals Zweitblickfang im Schaufenster steht. Die Sicht aufs Ganze erhellt: Es ist das Gerresheimer Bestattungsunternehmen Vogt und Kamp. Beiläufig und heiter macht es auf sein Handwerk aufmerksam.

Sabine Kamp ist für die Schaufenstergestaltung zuständig. Die 32-Jährige führt mit Mutter Christiane Kamp und Schwester Stefanie Kamp-Knorren den Familienbetrieb in fünfter Generation. Immer wieder sorgt die Veranstaltungskauffrau mit ihren Arrangements der speziellen Art für Aufmerksamkeit. Sei es, dass in der Adventszeit ein güldenes Pailletten-Einhorn die Deko rund ums Urnenwesen aufhübscht oder während der fünften Jahreszeit auch schon mal eine Karnevalisten-Uniform von der Decke baumelt. Ungeplant, wie Sabine Kamp betont, habe das an einen gehängten Körper denken lassen, die 94-jährige Großmutter hatte für diese Dekoration die Luftschlangen besorgt.

Die Stimme von Sabine Kamp bekommt einen liebevollen Klang, wenn sie erzählt, dass im aktuellen Betrieb drei Generationen aktiv sind. Mutter Christiane Kamp ist Bestattermeisterin und ehrenamtliche Prüferin bei der Handwerkskammer im Bestatter Handwerk. Schwester Stefanie Kamp-Knorren ist ebenfalls Bestattermeisterin, ehrenamtliche Prüferin und Vorsitzende des Düsseldorfer Bestatter-Verbands. Seinen Ursprung hat das Unternehmen in der von Franz Vogt 1887 gegründeten Schreinerei, seit 1896 ist der Firmensitz am Kölner Tor. An der Straße mit dem gelassenen Gerresheimer Pulsschlag reihen sich überwiegend inhabergeführte Geschäfte aneinander, seit 1928 widmet sich Vogt und Kamp ausschließlich Bestattungen.

Dank der Sammelleidenschaft des Großvaters Ewald Kamp wird das Schaufenster im regelmäßigen Rhythmus zur Haltestelle für den „Zug des Lebens“. Seine Modelleisenbahn wird beispielsweise variantenreich in Szene gesetzt. Und wieder ist es der zweite Blick auf das Geschehen, der die Augenbrauen gen Kopfkino schnellen lässt: Es ist ein Personenunfall nachgestellt. Vor der Märklin-Lok liegt ein Mann auf den Schienen, die Polizei verlässt gerade den Ort des Unglücks. Immerhin karrt ein Fuhrwerk bereits einen Sarg an, während die Reisenden am Bahnhof das Geschehen zeitgemäß ignorieren. Es klingt folgerichtig, wenn Sabine Kamps erzählt, dass es Gerresheimer gibt, die mit ihren Kindern regelmäßig zum Schaufenstergucken vorbeikommen.

Innen, im Besprechungszimmer der Bestatterinnen, ist alles traditionell gestaltet. Um einen ovalen Tisch stehen schwarze Stühle, die dank ihrer Form den Sitzenden Halt geben und sie vor dem Zerfließen schützen. Süßigkeiten und Taschentücher liegen bereit, um trauernden Angehörigen spontan Trost zu spenden oder Tränen zu trocken. An einer Wand reihen sich Urnen, vom geschnitzten Künstlerunikat bis zur gewagt geblümten Variante aus gepresster Maisstärke. Ein großer Teddy wartet neben Trauer-Bilderbüchern für Kinder auf seinen Einsatz, an der Wand neben der Tür hängt ein Drei-Monats-Kalender. Anders als in den meisten Büros kennt der Kalender nur das Jetzt und die zwei Folgemonate. „Bestatter denken immer nach vorn“, bestätigt Sabine Kamp. Und dann erzählt sie, wie es dazu kam, dass die Schaufensterdekoration ihr Ding wurde.

Es startete damit, dass Sabine Kamp sich an einem Frühlingstag dazu entschloss, lauter Kuscheltiere ins Fenster zu stellen. „Alles stammte aus unserem Familienfundus. Wir nehmen immer, was man so im Haus hat.“ Da ist es Nachhaltigkeit 2.0, dass der Großvater neben der Modelleisenbahn auch eine unschätzbare Sammlung Miniatursärge und Bestatter-Equipment im Spielzeugformat hinterlassen hat. Im Sommer wird bevorzugt das Thema „Seebestattung“ umgesetzt, wie es aktuell zu sehen ist. Der anfangs erwähnte Rettungsring wurde bei einem der Urlaube auf Borkum gekauft, auch die Muscheln sonnten sich dort am Strand.

Bei der Schaufenstergestaltung wird immer eine Geschichte erzählt. Das setzt beim Betrachten Assoziationen aller Art frei. Vielleicht liegt das Thema Sabine Kamp so gut, weil sie, entgegen der Handwerkstradition, zunächst Veranstaltungskauffrau wurde und so einen erweiterten Blick auf das Sujet hat. Im weiteren Gespräch wird deutlich, dass es doch dieses familiäre Miteinander ist, das alles trägt. Für Silvester hatte Großmutter Magret, die als gute Seele des Hauses tituliert wird, ein Sonderangebot silberner Partyhüte ergattert, auch da startet das morbide Gedankenkarussell von selbst in den zweiten Gang. „Meine Großmutter freut sich immer sehr, wenn sie ein Schnäppchen gemacht hat,“ ergänzt Kamp fröhlich.

Aber welches Accessoire gefällt ihr besonders gut? Im Familienfundus befindet sich ein großer Nussknacker. Mit einer Axt. „Der wird aber nur im Zusammenhang mit Holzscheiten präsentiert.“ Das zu betonen ist Sabine Kamp wichtig. Denn eine gesunde Pietät gehört ebenfalls zum Metier.


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