Ein Herz für Klimakleber – Die schlimme Woche des Ökoworld-Gründers

Alfred Platow wollte Strafgebühren für die Letzte Generation übernehmen. Weil die Empörung so hochkochte, zog er sein Angebot zurück. Die Hintergründe der Finanzgesellschaft Ökoworld und ihres Düsseldorfer Gründers.
Veröffentlicht am 8. Mai 2023
Alfred Platow
Der Gründer von Ökoworld, Alfred Platow. Seine Idee, die Strafen für Klimakleber zu bezahlen, löste eine Welle der Empörung aus. Er zog das Vorhaben daraufhin zurück. Foto: Andreas Endermann

Vogelzwitschern, in der Ferne Motorenlärm. Das Gebäude mit der Klinkerfassade und den türkisen Fenstern in einer ruhigen Seitenstraße in Hilden lag am Freitagmittag verlassen da. Vor dem Eingang ein Bienenfutterautomat und ein Insektenhotel. Alles ruhig und unauffällig vor dem Firmensitz der Aktiengesellschaft Ökoworld. Die teilt, laut einem Schild, das Gebäude mit der Kampfsportschule „Defense Zone“. Ob man sich hier in den vergangenen Tagen Tipps geholt hat in Sachen Selbstverteidigung? Möglich wär’s und nötig auch angesichts des Sturms, der in den vergangenen Tagen über Ökoworld hinweggefegt ist. Der so heftig war wie vermutlich kein anderer in der mehr als 45-jährigen Unternehmensgeschichte. 

Eine Rekonstruktion der Ereignisse: Alles beginnt mit einer Pressemitteilung* und mit einer Anzeige, die Ökoworld parallel dazu am Dienstag in der „taz“ veröffentlicht. Darin kündigt Gründer Alfred Platow Unterstützung für die Letzte Generation an. Nicht einfach so. Er erklärt, dass Ökoworld künftig nach Zahlung der Strafe durch die Klimakleber:innen die Gebühren der Polizeieinsätze zu 100 Prozent übernehmen werde **. Gegen Nachweis von Strafzettel und Überweisungsbeleg werde das Geld auf das jeweilige Privatkonto überwiesen. „Damit möchten wir ein Signal senden, wie wichtig es ist, für den Klimaschutz aufzustehen, auch wenn man sich dafür hinsetzen und festkleben muss”, sagte Platow. 

Letzte Generation triumphiert
Eine Nachricht, die sich rasend schnell verbreitet und missverständlich ist. So behauptet die Letzte Generation in einer eigenen Pressemitteilung, dass Ökoworld sowohl für die Gebühren der Polizeieinsätze als auch für verhängte Geldstrafen aufkommen will. Die Gruppe triumphiert und prahlt damit in den sozialen Medien. Durch diese Zusage falle eine wichtige Hürde, um sich zukünftig an Protesten zu beteiligen, heißt es. Für die Letzte Generation ist ziviler Ungehorsam ein legitimes Mittel, um für mehr Klimaschutz zu demonstrieren und maximale Aufmerksamkeit zu erzeugen. Die Gruppe, deren Aktivist:innen sich auf Straßen festkleben, ist umstritten. Auch vielen Klimaschutz-Befürwortern gehen die Aktionen zu weit. Wie sehr die Gruppe polarisiert, bekommt auch Ökoworld zu spüren. Die Empörungsspirale dreht frei, wie sie das in den sozialen Medien so häufig macht. 

Unter den tausenden Kommentaren, die sich bei Facebook, Twitter und LinkedIn innerhalb kürzester Zeit ansammeln, findet sich auch Lob für Ökoworld, aber die kritischen Stimmen überwiegen deutlich. Ein paar Beispiele:

  • „Ökoworld verklagen und hart bestrafen denn hier werden nachweißlich Straftäter unterstützt bzw. Menschen zu Straftaten angestachelt.“
  • „Chapeau ans Marketing von Ökoworld. Das sollte euren Bekanntheitsgrad in der jungen Zielgruppe spürbar erhöhen. Genialer Schachzug – aus Marketing-Sicht.“
  • „Die Kapitalverwaltungsgesellschaft Ökoworld verwendet Geld von Ihren Kunden für rechtswidrige Aktivitäten. Spannendes Geschäftsmodell. Mal sehen, ob sich das durchsetzt.” [Originalzitate, Fehler habe ich nicht korrigiert]

Eine Aktiengesellschaft übt also den Schulterschluss mit der Letzten Generation. Die kann das Geld gut gebrauchen, sie finanziert sich über Spenden. Im Jahr 2022 kamen etwa 900.000 Euro zusammen. Auf ihrer Internetseite steht: „Wir brauchen monatlich 100.000 Euro, um unseren friedlichen zivilen Widerstand weiter auf die Straßen tragen zu können und so viele Menschen wie möglich einzuladen, es uns gleichzutun.“ Die Gruppe benötigt das Geld für Unterkünfte, Veranstaltungsräume, Material und für Gerichtskosten. Zuletzt musste ein Mann, der in Stuttgart wiederholt die Straßen blockiert hatte, 5500 Euro Strafe zahlen. Die Gruppe schätzt, dass allein für 2022 Strafen in Höhe von 12,5 Millionen Euro zu erwarten sind.

Es ist nicht abwegig, dass die Gruppe die Ankündigung Platows als Aufmunterung verstehen kann, künftig noch eine Schippe draufzulegen, als eine Art Freibrief. Wer einen solchen ausstellen will, der müsste sich das vorher – das sollte man meinen – wirklich gut überlegt, sich darauf eingestellt haben, dass ihm anschließend einiges um die Ohren fliegt. Das aber war offenbar nicht so.

Wie Ökoworld entstand
Was sind das für Menschen, die so etwas machen? Um die Entscheidung ein bisschen besser zu verstehen, um nachzuvollziehen, dass Ökoworld anders tickt als andere Anbieter, lohnt sich ein Blick auf deren Geschichte. Alfred Platow ist Kopf, Gründer, Vorstandsvorsitzender und ein echter 68er. Er wurde 1947 in Düsseldorf geboren, machte eine Ausbildung zum Kindergärtner, studierte Soziale Arbeit an der Fachhochschule Düsseldorf (gemeinsam mit der Grünen-Politikerin Renate Künast), war Teil der Hausbesetzerszene in Flingern und engagierte sich in der Anti-Atom-Bewegung. 1975 gründete er mit seinem Freund Klaus Odenthal die kollektive Versicherungsagentur „Alfred & Klaus“ (versiko), die auf ökologisch orientierte Unternehmen und Organisationen abzielte. 1995 schufen sie eine Aktiengesellschaft, 1996 wurde der erste Fonds aufgelegt, 1999 ging man an die Börse, 2013 erfolgte die Umbenennung in Ökoworld AG. Die hat heute mehr als 60 Mitarbeiter und fünf ethisch-ökologische, aktiv gemanagte Investmentfonds im Angebot, dazu eine private Rentenversicherung und eine betriebliche Altersvorsorge. Ökoworld zählt zu den ersten, die den nachhaltigen Ansatz bei der Geldanlage ernsthaft verfolgt haben.

Gegen Krieg, gegen Atomkraft und Kohleabbau – Platows Ziel ist ein grüner Bewusstseinswandel im Geldwesen, Gewinn mit Sinn. Als “Sozialarbeiter des Geldes” hat er sich einmal bezeichnet. „Mit uns vertrauen sie in einen Kapitalismus, der das Menschsein nicht aus den Augen verliert“, verspricht er den Kunden. Die Produkte richten sich nicht nur an Öko-Freaks oder Alt-Hippies, sondern an ein breites Publikum. So bewirbt Ökoworld seine Fonds auch in teuren Spots kurz vor der Tagesschau. Im Vertrieb werden bundesweit 50.000 Kund:innen betreut. Der Ökovision Classic, das Flaggschiff unter den Ökoworld-Produkten, das über Jahre gute Renditen und etliche Auszeichnungen vorzuweisen hat, verwaltet ein Fondsvolumen von 2,05 Milliarden Euro.

Bei Finanzberater:innen gelten Platow und seine Leute als Pioniere, als besonders aufrechte Überzeugungstäter, die keine Kompromisse machen. Was andere als nachhaltig bezeichnen, ist für sie häufig nur Greenwashing. So setzt Ökoworld nicht auf hellgrüne Finanzprodukte, die lediglich ökologische Aspekte berücksichtigen und bestimmte Themen wie Kernenergie und Kinderarbeit ausschließen, sondern investiert nur in Unternehmen, die strengeren Kriterien unterliegen, nachweislich nachhaltige Ziele verfolgen und damit besonders sauber sind.

Dass Anbieter nachhaltiger Geldanlage-Produkte selbst im sozial-ökologischen Bereich tätig werden, ist nicht ungewöhnlich. Ökoworld beteiligte sich 2019 an Klima-Demonstrationen. “Für uns ist der Klimastreik ein Stück weit auch aufstehen und Revolution mit einer Prise Rock ’n‘ Roll”, sagte Platow damals. Zu Weihnachten 2021 spendete Ökoworld eine halbe Million Euro zur Schaffung neuer Kindergartenplätze in Hilden, Anfang dieses Jahres spendete man für Protestaktionen im Braunkohledorf Lützerath. Der finanzielle Beistand für Klimaaktivist:innen war als Investition in den Klimaschutz gedacht – und damit auch in die eigene DNA.

Vertrauen verloren
Als Ökoworld seine Pressemitteilung veröffentlicht, wittern viele PR. Wie viele andere Geldanlage-Produkte haben auch die Ökoworld-Fonds in den vergangenen 15 Monaten infolge des Ukraine-Kriegs heftige Einbußen erlitten. Ist das alles ein Akt der Verzweiflung, Guerilla-Marketing? Das mit der maximalen Aufmerksamkeit ist Ökoworld zumindest geglückt. Nach der Einschätzung von Anlageexperten hat sich Platow aber ziemlich verhoben und mit der Aktion vor allem das Vertrauen konservativer Kund:innen aufs Spiel gesetzt.

Jurist:innen sehen an zwei Punkten zumindest Angriffsflächen. Ist das Engagement von Ökoworld eine indirekte Aufforderung, ja eine Ermunterung zu einer Straftat? Die Staatsanwaltschaft Berlin sieht laut „taz“ darin keine strafbare „Anstiftung“. Das Bezahlen fremder Geldstrafen ist laut BGH legal. Demnach ist es nicht als „Strafvereitelung“ strafbar, fremde Geldstrafen zu begleichen oder zu erstatten. Andere sehen den Verdacht der Untreue. Will und darf Ökoworld einfach Fondsvermögen verwenden, um die Kosten der Täter:innen zu begleichen? Ökoworld geht in der Pressemitteilung nicht näher darauf ein, woher das Geld kommen soll, mit dem die Strafgebühren für die Klimakleber:innen beglichen werden sollen. 

Es gibt viele offene Fragen. Was hat das Unternehmen zu dem Schritt bewogen, wie kommentiert man die Kritik? Das würde ich gern erfahren, aber dann bereitet Platow dem Ganzen überraschend selbst ein Ende. In einer zweiten Pressemitteilung zieht er am Donnerstag die angekündigte finanzielle Unterstützung straffälliger Klimakleber:innen zurück. Seine Aussagen seien nicht angemessen gewesen, erklärt Platow darin zerknirscht, er habe nicht zu Straftaten anstiften und einen Freibrief ausstellen wollen. Er berichtet von einer aufgeheizten Atmosphäre, massiven öffentlichen Anfeindungen, Mitarbeitende von Ökoworld seien persönlich angegriffen worden. „Mit Kritik hatte ich gerechnet, allerdings nicht in diesem emotionalen Ausmaß.“ 

Fertig mit den Nerven
Ich würde Platow gern einige Fragen stellen, wissen, wie viele Rechnungen sie in den zweieinhalb Tagen schon bekommen haben – aber keine Chance. Das Unternehmen schottet sich zum Ende dieser Woche komplett ab. Der Sprecher berichtet von einer Welle der Empörung und tausenden Anrufen. Man kann sich vorstellen, was dort los gewesen sein muss in den letzten Tagen. Land unter. Bei Ökoworld sind sie am Freitag fertig mit den Nerven, reif fürs Wochenende. Am Ende dieser Woche gibt es nichts mehr zu gewinnen, es geht nur noch um Schadensbegrenzung.

Wie groß der bleibende Schaden sein wird, ist noch nicht absehbar. Sind Ökoworld Produkte künftig womöglich schwieriger zu verkaufen, werden sie weniger angeboten? Es ist anzunehmen, dass da was hängen bleibt, dass die Marke etwas angekratzt ist. Nach Auskunft von Berater:innen aus der Finanzbranche haben einige Kunden angekündigt, ihr Geld aus den Ökoworld-Fonds abzuziehen. Wie viele es wirklich sind, ist noch ebenso wenig abzuschätzen wie die Anzahl derer, die durch die Schlagzeilen auf Ökoworld aufmerksam wurden und Geld angelegt haben. Das wird sich erst mit einigen Wochen Abstand ablesen lassen.

Statt Strafgebühren für Klimakleber zu begleichen, hat Platow nun eine Spende von 20.000 Euro in den Umwelt-Treuhandfonds angekündigt, „ausschließlich aus privaten Quellen“ und nicht aus Ökoworld-Fonds oder Firmengeldern, wie es heißt. Das dürfte in jedem Fall deutlich günstiger sein als das, was Platow ursprünglich vorhatte.

* Ökoworld hat die Pressemitteilung inzwischen von seiner Internetseite entfernt, sie liegt der Redaktion aber vor.
** Wir haben den Text im Vergleich zu ersten Fassung geändert. Darin haben wir fälschlicherweise den Eindruck erweckt, dass Ökoworld sämtliche Strafen der Klimakleber:innen bezahlen will. Ökoworld hatte in seiner ersten Pressemitteilung erklärt, die Gebühren (für die Polizeieinsätze) übernehmen zu wollen. Dies habe wir dank eines Leserhinweises nun klargestellt.


Lust auf weitere Geschichten?