Bäckerei Bulle: Vom perfekten Umgang mit dem launischen Sauerteig

Wenn Michael Gauert über Sauerteig redet, hört es sich an, als ginge es um einen Teenager. Launisch, sensibel, nicht besonders kooperativ. Dafür sehr beeinflussbar durch den Mond und das Klima. Die Mischung aus Mehl und Wasser möchte mit Liebe und Hingabe behandelt werden und spürt sofort, ob jemand bei der Sache ist oder nicht. Trotzdem gibt es für den Bäcker kaum ein besseres Gefühl als mehlige Hände im klebrigen Sauerteig. „Alles, was viel Arbeit macht, lohnt sich am Ende mehr“, sagt der 37-Jährige. Er muss es wissen: Er verdient sein Geld mit dem launischen Teig.
2017 eröffnete er in Flingern seine Bäckerei Bulle, heute gehören zum Bulle-Universum noch das Bulle-Bistro, Bulle Burger, eine weitere Filiale an der Oststraße und Pop-up-Stores. Dazu kommen Stände auf Straßenfesten und Events sowie ein Instagram-Kanal – Bulle gibt dem Bäckerhandwerk ein modernes, junges Gesicht.
Sehr gutes Marketing könnte man jetzt sagen, aber es steckt ein bisschen mehr dahinter. Die Lebensgeschichte von Michael Gauert zum Beispiel, die sich aber zugegebenermaßen auch ziemlich gut vermarkten lässt: Schon als Kind wollte er Bäcker werden. Auch wenn niemand in seiner Familie einen Handwerksberuf ausübte – sein Vater war Computertechniker, seine Mutter Sozialversicherungsangestellte – kam für ihn kein anderer Beruf infrage. Von den Arbeitszeiten seiner Eltern war er schon damals nicht begeistert, außerdem war er zu hibbelig für einen Job im Büro.
Seinen Berufswunsch nahm niemand ernst, wie das halt so ist bei Kindern. Aber als Gauert etwa zehn Jahre alt war, änderte sich das. Auf dem Lammertzhof-Fest durfte er dem Chef der Bäckerei Schomaker beim Teigkneten helfen und sein gebackenes Stück Teig mit nach Hause nehmen. Von diesem Tag an war er sich sicher: Irgendwann werde ich meine eigene Bäckerei besitzen und meine Schwester wird die Verkäuferin. Abitur machte er nicht: „Braucht man als Bäcker nicht“, sagt er. Stattdessen begann er eine Ausbildung bei der Bäckerei Hinkel, hängte seinen Meister dran und ging im Alter von 19 Jahren ins Ausland.
Knapp zwei Jahre arbeitete er in einer kleinen Bäckerei auf Lanzarote. Handwerklich das Gegenteil von dem, was er aus der Bäckerei Hinkel kannte: „Viel Zucker und Fertigkram, ein bisschen so, wie man sich das heutige Bäckerhandwerk vorstellt.“ Trotzdem habe er dort viel gelernt, weil ihn sein Chef einfach machen ließ. Er durfte selbst entscheiden, wann er mit der Arbeit begann und aufhörte. „Ich habe mir meinen eigenen Zeitplan entwickelt, wann ich die Brote am besten knete und wann ich sie am besten in den Ofen schiebe, damit sie rechtzeitig fertig sind. Das hat mir viel gebracht. Ich habe gelernt, selbstständig zu arbeiten.“
Als er wieder zurück nach Deutschland kam, ging es für ihn nach einigen Zwischenstationen wieder zu Hinkel. Dort arbeitete er zehn Jahre lang an der Seite von Josef Hinkel in der Geschäftsführung. Bis heute denkt er gerne an die Zeit zurück, die beiden haben sich gut verstanden, Gauert fühlte sich als Teil der Familie. Aber irgendwann habe er gewusst, dass er sein eigenes Ding machen müsse. „Mir wurde klar: Wenn nicht jetzt, dann nie.“
Bis heute sind seine beiden Bäckereien genau das, was sich Gauert unter einer richtigen Backstube vorstellt: klein, warm, familiär, mit dem Duft von frisch gebackenem Brot in der Luft. Gebacken wird ausnahmslos selbst, ohne Malze und Backtreibmittel. Fertigprodukt, das ist genau wie Franchise ein Wort, bei dem Gauert zusammenzuckt. „Beides wird es bei mir nie geben.“
Sauerteig ist die Spezialität des Hauses, die Bulle-Sauerteigkultur ist mittlerweile sieben Jahre alt – je älter die Kultur, desto leckerer das Brot. Gauert kann sich noch erinnern, dass er seinen Sauerteig, den er Hermann nannte, in der Anfangszeit mit in den Urlaub nahm, um ihn zu füttern. „Ich musste ständig darauf achten, dass ihm nicht zu warm oder zu kalt wird.“
Früher hat sein Vermieter, ein Fleischermeister, in dem Laden an der Birkenstraße eine Metzgerei betrieben. Daher auch der Name: Einerseits bedeutet Bulle auf Schwedisch Brötchen, andererseits wurden früher die Bullen durch den Laden geschoben. Anfang war Gauert besorgt, dass sich der Name nicht etablieren würde, aber die Angst verschwand schnell. Außerdem hatte er keine andere Wahl: „Ich habe mich zu einer Zeit selbstständig gemacht, in der man Bäckereien nicht mehr nach dem eigenen Namen benennt. Es hat sich vieles verändert.“
Diese Umbrüche, Nachwuchsmangel oder gestiegene Rohstoff- und Energiepreise zum Beispiel, sind vielen Bäckereien zum Verhängnis geworden. Vor allem große Ketten haben in den vergangenen Jahren Insolvenz anmelden müssen. Auch kleine Bäckereien wie Bulle sind von diesen Veränderungen betroffen, aber sie profitieren von einem allgemeinen Sinneswandel: regional, saisonal, Bio, das sind mittlerweile Begriffe, bei denen nicht mehr nur dem Öko-Ultra das Herz aufgeht. Der Kunde von heute möchte ein übersichtliches Angebot, wenige, aber gute Zutaten und im besten Fall eine Glasscheibe mitten im modern eingerichteten Laden, um einem richtigen Bäcker beim Teigkneten zuzusehen. Dass dieses Konzept hinhaut, zeigt nicht nur der Erfolg von Bulle, sondern auch die neu eröffnete Filiale von „Zeit für Brot“ in Pempelfort, die oft früher schließen muss, weil alles ausverkauft ist.
Moderne Bäckereien ähneln oft trendigen Cafés, in denen man zur Zimtschnecke einen Iced Latte mit Hafermilch bestellen kann. Davon grenzt sich Gauert aber ab. Privat ist er viel in Skandinavien unterwegs, wo der hippe Bäckerei-Trend schon um einiges weiter ist als hierzulande. „Was da in Kopenhagen hinter den Theken liegt, sieht aus wie für Instagram gemacht. Aber wenn die Optik so wichtig ist, muss man sich nicht wundern, wenn der Fokus vom Brot weg geht. Um Brote zu belegen, muss man kein Bäcker sein.“
Trotz hipper Aufmachung und gutem Marketing stehe das reine Handwerk bei Bulle immer noch an erster Stelle. Auch, weil der 37-jährige Chef gemerkt hat, dass man es mit der Progressivität zu weit treiben kann.
Ein kleinen, aber deutschlandweiten Medienrummel hat Gauert 2021 ausgelöst, als er verkündete, dass Bulle kein Bargeld mehr akzeptieren würde. Das hatte ganz praktische Gründe: „Dieses nervige Geldzählen am Ende des Tages, bei dem der Betrag nie gestimmt hat – das wollten wir damit umgehen.“ Fremde, die doch nie eine Bulle-Bäckerei von innen gesehen hatten, riefen ihn an, bedrohten ihn, schrieben 1-Stern-Bewertungen bei Google. Einen kurzen Panikmoment hat es für Gauert schon gegeben, bis er merkte: „Im echten Leben hat uns das kaum beeinflusst. Unsere Brote haben wir weiterhin verkauft.“
Eine ähnliche Erfahrung hat er mit dem Thema Social Media gemacht. Zu Beginn sei es ihm total wichtig gewesen, auf Instagram präsent zu sein. Dann wurde der Bulle-Account von heute auf morgen von Instagram gesperrt, warum weiß er bis heute nicht. „Auch da habe ich kurz gedacht: Oh Gott, jetzt kommt hier keiner mehr hin. Aber im Betriebsalltag habe ich davon nichts gemerkt. Das hat mich sehr befreit.“
Heute ist er hauptsächlich hinter den Kulissen unterwegs, kümmert sich um die Zahlen und das Geschäft. Doch zwei oder drei Mal im Monat kann er es sich nicht verkneifen, dann steht er frühmorgens in seiner kleinen Bäckerei an der Birkenstraße und knetet Sauerteig.
Dass er alles richtig gemacht hat, hat Michael Gauert letztens wieder gemerkt, als ihm ein siebenjähriges Mädchen ein selbstgemaltes Bild überreichte. Er kennt sie schon, seitdem ihre Mutter sie zur Neueröffnung als Säugling im Maxi-Cosi mit in die Bäckerei brachte. „Genau so habe ich mir das vorgestellt.“
Hier weitere Fotos aus der Backstube an der Birkenstraße.






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