Das Protokoll der Flutnacht 14./15. Juli

Veröffentlicht am 9. September 2021
Das VierNull vorliegende Protokoll des Krisenstabes in den Tagen und Nächten der Überflutung Mitte Juli. Foto: Andreas Endermann
Das VierNull vorliegende Protokoll des Krisenstabes in den Tagen und Nächten der Überflutung Mitte Juli. Foto: Andreas Endermann

Der Krisenstab, der am Vormittag des 14. Juli um 10.30 Uhr erstmals zusammentritt, besteht aus Vertretern unterschiedlicher Stellen: Polizei, Feuerwehr, Rheinbahn, Umweltamt, Ordnungsamt, Amt für Verkehrsmanagement, Stadtentwässerungsbetrieb – alle sind vertreten. Die Leitung übernimmt an diesem Mittwoch Ordnungsdezernent Christian Zaum. Alle im Raum wissen um den Ernst der Lage, es regnet seit dem Vortag in Strömen, Teile der Ostparksiedlung sind bereits überflutet. Im Lagebericht ist die Rede von steigenden Pegeln bei Rhein, Düssel und Anger. Die A44 in Höhe Flughafen und die Danziger Straße sind bereits gesperrt, die nördliche Düssel steigt über dort errichtete Sandsackdeiche. Um 11.25 Uhr wird die Sitzung, die bisher online geführt wurde, unterbrochen, man verabredet sich für 12 Uhr mittags zu einem Präsenztreffen im Krisentagungsraum der Feuerwehr. 

In den kommenden Stunden beschäftigt sich dieses Gremium mit einer Fülle von Daten und Einschätzungen. Man hört zu, erwägt, versucht nach vorne zu schauen, trifft Vorbereitungen für mögliche Evakuierungen oder Räumungen. Aber aus heutiger Sicht wird eines klar: Wie knüppeldick oder besser -hoch es kommen würde, hat man unterschätzt. Sonst wäre die Sitzung wohl kaum kurz vor dem Höhepunkt des Geschehens für knapp acht Stunden unterbrochen worden. 

Dass die Stadt am Montag in einer eilends einberufenen Pressekonferenz erklärte, man wolle künftig eine bessere Hochwasserprognose und habe auch Punkte entdeckt, an denen man nachbessern müsste, zeigt, dass man aus den Abläufen den richtigen Schluss zieht: Es ist nicht optimal gelaufen. Und der ertrunkene Mann in Vennhausen, nach Aussagen der Feuerwehr gehbehindert, könnte vielleicht noch leben, wenn er oder sein Umfeld früher gewarnt worden wären. 

Ich habe aus den Protokollen der Krisenstabsitzungen einige Punkte mit markanten Aussagen oder Erkenntnissen hervorgehoben und die Aussagen zusammengefasst. 

12.13 Uhr (14. Juli) 

Der Angerpegel ist weiter gestiegen, ein Verlassen der betroffenen Gebiete wird schwer möglich sein. Bei der Nördlichen Düssel hat der Experte bereits vor über einer Stunde von einer „drastischen Lageverschlechterung“ gesprochen. Daher wird die Evakuierung der in der nähe liegenden Ostparksiedlung vorbereitet. 

12.23 Uhr

Die Menschen dort werden aufgefordert, ihre Häuser zu verlassen. Die WarnApp NINA wird ausgelöst. 

Erstmals wird geprüft, die Bundeswehr um Hilfe zu bitten. Hubschrauber der Polizei und Drohnen sollen bei der Aufklärung helfen. In der Gemeinschaftsgrundschule Graf-Recke-Straße wird eine Betreuungsstelle eingerichtet, ausgelegt auf 1000 Personen. 

13.20 Uhr

Erstmals taucht der Begriff „historische Hochwassersituation“auf, festgestellt vom Stadtentwässerungsbetrieb. In Erkrath ist der Pegel der Düssel auf 2,60 m gestiegen, der bisherige Höchststand lag bei 2,29 Meter. Nun weiß man, was auf die Stadt zukommt. 
Das Kanalnetz in den überfluteten Bereichen wird abgedichtet, man weist darauf hin, das vor Ort zu kommunizieren, da erhebliches Konfliktpotential droht. Rettungshubschrauber können wegen des schlechten Wetters nicht abheben. Man beschließt, den Strom in den überfluteten Bereichen kontrolliert abzuschalten. Der Kittelbach ist zwischen Rath und Unterrath über die Ufer getreten, die Fernbahngleise werden dort gesperrt. 

15 Uhr

Prognose des Düsselpegels ist tendenziell rückläufig. 

17 Uhr

Stabile Lage an der Anger, 25 000 Sandsäcke sind angeliefert, für 18 Uhr ist neuer Regen angekündigt. 

18 Uhr

Christian Zaum berichtet, die Lage an der Nördlichen Düssel sei nicht mehr kritisch. An der Dreherstraße werden Absperrungen verstärkt, um Schaulustige abzuhalten, meldet das Amt für Verkehrsmanagement. Der Düsselpegel sinkt. Bei Daimler meldet die Werksfeuerwehr die Ausdehnung des Kittelbachs im Werksgelände. 

21.15 Uhr

Die Lage hat sich akut verschärft, das Marienhospital ist bedroht durch die unmittelbar hinter dem Krankenhaus vorbeifließende Nördliche Düssel. Auch am Rheinbahndepot Hildener Straße wird die Lage kritisch. Dort überflutet der Itterbach die Straße, das Depot und eine Trafostation. Die Rheinbahn kündigt an, schnellstmöglich ihre Fahrzeuge in Sicherheit zu bringen.

23 Uhr

Am Marienhospital wird die Pumpleistung erhöht, da Wasser einzudringen droht. Vorsichtshalber kontrolliert man das Altenheim Lohbachweg (Gerresheim), um rechtzeitig eine Evakuierung vorzubereiten. Der Stadtentwässerungsbetrieb erhält die Meldung, dass in Solingen alle Rückhaltemöglichkeiten erschöpft sind und das Wasser nun ungehindert in den Itterbach läuft – also bald in Düsseldorf sein wird. 

23.45 Uhr

Im Marienhospital wird eine Person verlegt, es gibt Probleme mit der EDV, Teile der Medizintechnik sind ausgefallen. Das Krankenhaus kann nicht mehr mit Notfällen angefahren werden und wird aus der Notfallversorgung der Stadt genommen. 

0.18 Uhr

Der Krisenstab kommt zu der Einschätzung, die Lage habe sich so weit entspannt, dass man die Arbeit unterbrechen könne. Nächste planmäßige Zusammenkunft ist am kommenden Morgen, also am Donnerstag, 15.Juli um 8.30 Uhr.

Als der Krisenstab am folgenden Morgen um 8.35 Uhr wie geplant zusammentritt, zeigt sich, dass es eine Fehleinschätzung war, in der Nacht die Lage für entspannt zu halten. Denn an der Zweibrückenstraße (Ostparksiedlung) ist ein Sandsackdeich gebrochen, es laufen Wassermassen in die Siedlung, die Zahl der vom Wasser umschlossenen Häuser ist stark angestiegen. Eine Rückkehr der Menschen, die sich in Sicherheit gebracht haben, ist noch nicht realisierbar. 1800 Bewohner sind ohne Strom. Am Mündrathweg in Vennhausen wird eine nicht gehfähige Person in einer tieferliegenden Wohnung vermutet. Aber der Bereich ist nicht begehbar, auch Feuerwehrtaucher kommen nicht heran.  

8.45 Uhr

Es kommt die Nachricht, dass der Rhein schneller steigt als erwartet. Die Schieber an der Schulstraße und am Burgplatz (Altstadt), beides Zu- und Abflüsse der Düssel, sind noch geöffnet, das heißt, das Wasser der Düssel kann in den Strom abfließen. Man erkennt, dass man Alternativen für die Wassermassen braucht, sollten die Schieber geschlossen werden müssen. Die Innere Nördliche Düssel würde man so spät wie möglich schließen und würde sie dann über den Kö-Graben umleiten. 

Ein Hilfeleistungsantrag an die Bundeswehr wurde inzwischen geprüft, aber noch nicht gestellt. Ein Vertreter der Bundeswehr erklärt, man habe keine Reserven für einen solchen Einsatz, man brauche dafür einen Vorlauf von zwei Tagen. Außerdem habe die Bundeswehr auch keine Pumpen in der benötigten Kapazität.

Aus Garath kommt die Nachricht, dass ein dort feststeckender Rheinbahnbus in der Nacht „durch Vandalismus vollständig und irreparabel“ zerstört wurde. Diverse Ampeln in der Stadt sind ausgefallen, an vielen Stellen behindern Schaulustige die Einsätze. 70 bis 75 Schulen sind vom Wasser geschädigt, bei 10 bis 15 Schulen mussten Räume oder Turnhallen gesperrt werden. 

13.05 Uhr

Die Feuerwehr zieht eine erste Bilanz:

  • 470 laufende Einsätze
  • 1033 erledigte Einsätze
  • 450 Kräfte im Einsatz, darunter Berufsfeuerwehr, Berufsfeuerwehranwärter, verschiedene Hilfsorganisationen, freiwillige Feuerwehr, Technisches Hilfswerk (THW). 

Der Pegel des Rheins steht bei 6,25 Meter, die Anger bei 1,23. Der Stand der Düssel und die Tendenz sind laut Protokoll unklar, da alle Messsysteme ausgefallen sind. Am Mündrathweg in Vennhausen wird weiterhin eine Person in einer überfluteten Wohnung vermutet, aber noch nicht gefunden. Freiwillige melden sich, um Sandsäcke zu füllen. Es wird geprüft, ob man das organisieren kann. Einheiten des THW aus Niedersachsen rücken zur Hilfe an und werden bis Samstag bleiben. Die Pegel entwickeln sich unterschiedlich, die meisten sind und bleiben hoch, die Düssel ist nicht kalkulierbar. In der Tannenhofsiedlung hat das Wasser die Häuser erreicht, Reichenbacher Weg und Sandträgerweg laufen voll. Die Zahl der betroffenen Häuser ist nicht bekannt. 

13.20 Uhr

Am Mündrathweg werden Hochleistungspumpen eingesetzt, um den Vermissten zu finden. Etliche Bahnlinien enden früher oder fahren andere Routen. In der Ostparksiedlung berichten Anwohner von verdächtigen Fahrzeugen, man fürchtet Plünderungen in den verlassenen Häusern. Aus dem Stadtarchiv kommt die Nachricht, zuletzt habe es in den 1920er Jahren solche Überschwemmungen gegeben. 

18.05 Uhr

In der Ostparksiedlung werden Ölspuren auf dem Wasser entdeckt. Der Rheinpegel steigt weiter, Anger, Itterbach und Düssel fallen. 

18.52 Uhr

In der überfluteten Wohnung am Mündrathweg wird eine männliche Leiche geborgen. 

19 Uhr

Die Sitzung des Krisenstabs endet für diesen Tag

16. Juli

10 Uhr

Der Krisenstab kommt erneut zusammen und hört, dass die Lage sich allmählich entspannt. Man registriert aber auch, dass die Pegel aller Bäche und kleinen Flüsse immer noch ungewöhnlich hoch sind und bei erneutem Regen sehr schnell wieder ansteigen können. Von den Stadtwerken kommt die Versicherung, bei der Trinkwasserversorgung habe es keine Probleme gegeben, die Rheinbahn meldet nahezu normalen Betrieb.

Der Stadtentwässerungsbetrieb setzt Saugwagen ein, um kontaminiertes Wasser aufzunehmen, aber die Kapazität reicht nicht aus. Verlangt es die Lage, verlassene Häuser und Wohnungen wegen möglicher Schäden zu betreten, dürfen die Stadtwerke das mit einem professionellen Schlüsseldienst tun, heißt es. Polizei und Ordnungsamt patrouillieren auch in den Nacht, um Einbrüche zu verhindern. McDonalds bietet kostenfreie Verpflegung für die Betroffenen der Ostparksiedlung an. 

Ob man das annehmen will, wird den Einsatzkräften an den jeweiligen Info-Punkten überlassen. 

Abschließende Sitzungen des Krisenstabes sind am 17., 18. und 19. Juli. 


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