
Wie ich einmal unter Schmerzmitteln im Hüpfburgenland saß
Man sollte das Hüpfburgenland nicht verwechseln. Nicht mit dem Mega Hüpfburgenland, dem Jumpolino Hüpfburgenland, dem Hüpfburgenland Funday, Hollywoods Hüpfburgenland, Robertos Hüpfburgenland und dem Hüpfburgenland Fantasia. Und schon gar nicht mit dem Hüpfburgenpark. Das Hüpfburgenland von Philipp Maus ist das Original. Sagt zumindest Philipp Maus. Er sei vor 18 Jahren der erste gewesen, der mit Hüpfburgen auf Tour ging. Leider sei es nicht möglich, den Begriff Hüpfburgenland schützen zu lassen, stellt er mit einem gewissen Bedauern fest.
Der letzte Sonntag vor den Sommerferien, 11.30 Uhr, Staufenplatz. Zügig geht es auf 30 Grad zu. Ich habe Schmerzmittel genommen. Eigentlich wegen eines eingeklemmten Nervs in der Schulter, der mich seit drei Tagen plagt. Aber auch ein wenig, weil ich vom Redakteur geschickt wurde, um für den Wahnsinn eines mit Kindern vollgestopften Hüpfburgenparks im Hochsommer Worte zu finden. Er weiß, dass ich selbst keine Kinder habe. Er weiß, dass mir fast alles fremd ist, was anderen Freude bereitet. Ich fürchte den Moment, in dem der Schmerz wieder reinkickt.
Noch geht’s. Ich sehe mich um. Weil ich weder für einen Perversen gehalten noch als Journalist enttarnt werden möchte, habe ich mir von meiner Freundin einen dieser viel zu kleinen Kånken-Rucksäcke ausgeliehen. So gehe ich mühelos als Flingern-Vater durch. Das Hüpfburgenland ist eine Art Kirmes für Kinder im einstelligen Lebensalter. Es besteht vor allem aus mit Luft gefülltem Plastik, das sich grob am Thema Dschungel orientiert. Es gibt Rutschen aus Luftkissen, Wasserrutschen aus Luftkissen, Kletterhänge aus Luftkissen, ein Piratenschiff aus Luftkissen, Affen und Tiger aus Luftkissen, Luftkissen zum Draufherumspringen. Außerdem gibt es ein Luftkissen, in dessen Mitte eine Art Fahrrad steht. Mit dem lässt sich ein gepolsterter Riesenknüppel antreiben, der waagerecht übers Luftkissen fliegt. Ziel ist es, über den Knüppel zu springen, statt von ihm umgehauen zu werden.

An der Trampolin-Anlage hängt ein Schild, „Keine Saltos“, aber natürlich werden Saltos geschlagen. Es ist, als würde man einem Kind ein Brot mit Nutella schmieren und sagen: Bitte nur die Kruste essen. Außerdem stehen hier Wurmi, die vermutlich kürzeste Achterbahn der Welt, und die Kinderversion des Autoscooters. An einer Imbissbude sind Getränke, Pommes, Schnitzel, Nuggets und andere Standardverbrechen des Frittierwesens erhältlich. Tische, Bierbänke, Klapp-, Liege- und Plastikstühle wurden aufgestellt, einige unter Sonnenschirmen.
Die Organisatorin eines Kindergeburtstags beschwert sich, dass bloß eine Biertischgarnitur für sie reserviert wurde. „Das geht ja gar nicht.“ Sie holt Herrn Maus, der mich darum bittet, einen anderen Platz zu suchen, damit er auch diese Biertischgarnitur reservieren kann. Zügig werden dort Einwegwasserflaschen platziert, Chipstüten geöffnet, Vornamen auf Plastikbecher geschrieben.
Wenn Eltern nicht gerade Geburtstage leiten, Kinder umhertragen oder die Kleinen dabei filmen, wie sie eine Wasserrutsche runterknallen, bleibt ihnen nur das Herumsitzen. Die Attraktionen dürfen von Erwachsenen nicht genutzt werden, die Verletzungsgefahr für Kinder wäre viel zu groß. Daran erinnern diverse Schilder. Die Eltern schauen aufs Handy, lesen in Zeitschriften, essen Fritten. Eine Frau im Liegestuhl, Wireless-Kopfhörer im Ohr, isst Apfelschnitze, während die Tochter sonst wo tobt. Ein Anruf. „München ist nächste Woche, Basel ist heute“, sagt sie über die beruflichen Verpflichtungen ihres Mannes.
Ein anderer Mann sitzt mit aufgeklapptem Laptop an einem runden Tisch, auf seinem Schoß Textblätter, die er noch durchzuarbeiten hat. Doch die Frau ihm gegenüber berichtet von den Vorfällen in Neuschwanstein. Dort hatte ein Amerikaner vermutlich zwei Frauen auf einen einsamen Pfad gelockt, dann sexuell bedrängt und in eine Schlucht gestoßen. „Das musst du dir mal wegtun“, sagt die Frau auf dem Staufenplatz, „aber wie naiv musst du sein?“
„Hinsetzen, sonst gehen wir nach Hause“, droht ein Vater einen Tisch weiter seinem Sohn. Der soll in den Kinderwagen. Der Vater sagt: „Jetzt erst mal eine rauchen.“ Kurze Sorge, dass er dem Kind eine ansteckt, dann aber doch nur sich. Kurz darauf qualmt auch die Mutter. Auf dem Tisch steht ein Eimer mit Apfelschnitzen.
Ich sehe wunderbare Familien-Stillleben auf Plastiktischdecken: Marlboro-Packungen, Feuerzeuge, daneben halb leere Fanta- und NUK-Trinklernflaschen. Ich sehe einen ganzen Tisch mit beinahe unberührten Pommesschalen. Weit und breit kein Kind. Kinder haben besseres zu tun als zu essen. In Socken laufen sie über Kies und Pflaster, weil sie nicht nach jedem Hüpfkissenbesuch wieder ihre Schuhe anziehen wollen. „Bitte vergessen Sie nicht Ihre Schuhe wieder anzuziehen beim Verlassen unserer Anlage“, heißt es auf der Internetseite des Hüpfburgenlands.

„Wir können da gerade nicht drauf… ja dann wein“, sagt eine Frau zu ihrem Kind im Kinderwagen. Ein kleines Mädchen im Badeanzug schreit nach ihrer Mama, begleitet von einer fremden Mama, die ihr bei der Suche hilft. Das Mädchen drückt sich ein Taschentuch auf den blutenden Ellbogen. Da am Autoscooter steht Mama, und da steht auch der nicht herbeigeschrieene Papa, der sich jetzt um die Wunde kümmert. Kurz darauf fährt das Mädchen Auto-Scooter. Am Rand der Fahrfläche steht eine um Lässigkeit bemühte Jungväter-Gruppe so wie einst als Jugendliche auf der Kirmes. Bloß nicht mehr ganz so schlank. Sie tragen die Uniform der Dad-Army, Sonnenbrille, T-Shirt, kurze Hosen, die über den Knien enden und Sneaker mit Sneakersocken.
Der von mir und dem Redakteur herbeigesehnte und auch in einigen Google-Bewertungen angedeutete Irr- und Wahnsinn will sich an diesem Tag so richtig nicht einstellen. Es ist einfach nicht voll genug, vielleicht sitzen die Leute lieber vor der Eisdiele oder im Schwimmbad. Außerdem ist der Irrsinn ja einer von Erwachsenen empfundener. Ich habe den Eindruck: Die Kinder finden’s super. Wie wenig es doch braucht, damit sie ihren Spaß haben. Wie schnell sie ihre Eltern vergessen. Bloß, wenn sie Durst haben oder Hunger oder der Ellbogen blutet, erinnern sie sich, wer sie hierhin gebracht hat.
Dafür fällt mir etwas anderes auf: der Gegensatz zwischen tobenden Kindern und trägen Eltern. Erwachsene schleichen, schlurfen, schweigen, stehen, hocken, sitzen, gucken, rauchen, starren. Kinder rennen, hüpfen, schreien, eilen, springen, klettern. Es fällt mir auf, aber es wundert mich nicht. Die meisten Eltern scheinen froh, sich mal nicht um den Nachwuchs kümmern zu müssen. Genaugenommen ist das der Deal: Sie zahlen den Eintritt, dafür bekommen sie Freizeit. Das Leben ist Stress von Aufwachen bis Einschlafen, im Büro, den eigenen vier Wänden und im Auto sowieso. Und sie dürfen hier ja auch nicht hüpfen, rutschen und klettern.
Ein Vater im Jordan-Leibchen der Chicago Bulls tut es trotzdem. Mehrfach stürzt er sich die Wasserrutsche herunter. Nicht, so entnehme ich seinem leuchtenden Gesicht, um seinen Sohn zu begleiten, sondern weil er selbst rutschen möchte. Er sieht fast noch aus wie ein Kind, was der Grund sein dürfte, warum er erst sehr spät von einer der wenigen Aufsichtspersonen gebeten wird, die Luftburg zu verlassen.
In mir wächst eine Frage heran: Was müsste passieren, damit auch andere Eltern auf die Idee kämen zu rutschen oder zu hüpfen?
Meine nur halbsteile These lautet: Die meisten würden es auch dann nicht tun, wenn es erlaubt wäre. Sie sind einfach zu erwachsen, fühlen sich dazu verpflichtet, es in Anwesenheit ihrer Kinder zu sein. Meine nächste halbsteile These: Etwas anderes wäre es, wenn das Hüpfburgenland einen Tag ausschließlich für Erwachsene einführen würde. Dann müssten sie keine Mütter, keine Väter, sondern dürften wieder die Kinder sein, die sie alle mal waren. Wobei deutlich mehr Männer als Frauen kämen. Frauen müssen viel erwachsener sein, weil ihnen noch immer der Großteil der Kinderfürsorge zufällt. In ihrer knapp bemessenen, das heißt kinderfreien Freizeit sorgen gesellschaftlicher Druck und Werbeindustrie dafür, dass sie sich vorrangig um ihre Körper kümmern. Männer haben mehr Freizeit, deshalb haben sie auch mehr Hobbys.
Jedenfalls, es gibt keinen Erwachsenentag im Hüpfburgenland. Es gibt auch keine Kinderspielplätze für Erwachsene (nur ab und zu Ü18-Toben in Indoorspielplätzen wie dem Tiki-Kinderland in Solingen). Deshalb suchen sie sich Spielplätze und Spielgeräte für Erwachsene. Das Fußballstadion. Den Marathonlauf. Das Smartphone. Das Rennrad. Das Auto. Die Küche. Die Kneipe. Den Junggesellenabschied. Den Karneval. Auch das sind eher Spielplätze für Männer als für Frauen, aus dem oben genannten Grund. Ich lasse hier auch eine kapitalismuskritische Deutung zu: Es ist geradezu systemerhaltend, dass Erwachsene nur Zugang zu Erwachsenenspielplätzen haben, weil sie dort viel mehr Geld ausgeben können.
Aber all diese Kinder, die auf dem Staufenplatz rennen, hüpfen, schreien, werden irgendwann Erwachsene, die sitzen, rauchen, starren. Eltern wollen ihren Kindern ein Vorbild sein und sie zu guten Erwachsenen machen, selbst ich als Kinderloser verstehe, dass daran kein Weg vorbeiführt. Sie sollen schließlich irgendwann ohne ihre Eltern zurechtkommen. Aber die Erwachsenen können ihnen leider nicht vormachen, wie man ein gutes Kind wird, weil sie selbst keines mehr sein dürfen. Und schon gar nicht können sie ihren Kindern vormachen, wie man auch als Erwachsener ein bisschen Kind bleibt.
Ich werfe besser noch mal Schmerzmittel ein.
Öffnungszeiten, Preise und Link
Das Hüpfburgenland steht noch bis einschließlich 2. Juli auf dem Staufenplatz in Düsseldorf. Geöffnet hat es wochentags von 12 bis 19 Uhr, samstags und sonntags von 11 bis 19 Uhr. Kinder ab 74 Zentimeter zahlen 7 Euro Eintritt, ab 86 Zentimeter 13 Euro. Ein Ticket für Erwachsene kostet 4 Euro.
Weitere Bilder aus dem Hüpfburgenland



