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Ulmer Höll‘

Ein neues Buch führt uns vor Augen, dass im Düsseldorfer Gefängnis während des Dritten Reichs neben „normalen“ Häftlingen viele Verfolgte des Nationalsozialismus saßen. Werke der dort inhaftierten Künstler zeigen, wie Hunger, Dreck, Isolation und Tod den Alltag bestimmten.

Veröffentlicht am 30. Juli 2021
Diese Zeichnung von Karl Schwesig trägt den Untertitel "Spaziergang eine halbe Stunde täglich" und ist nach seiner ersten Inhaftierung in der Ulmer Höh' entstanden. Bild: ehem. Galerie Remmert und Barth, Düsseldorf
Diese Zeichnung von Karl Schwesig trägt den Untertitel "Spaziergang eine halbe Stunde täglich" und ist nach seiner ersten Inhaftierung in der Ulmer Höh' entstanden. Bild: ehem. Galerie Remmert und Barth, Düsseldorf

Auf den Bildern von Karl Schwesig ist immer Nacht – auch wenn die Szenen am Tag spielen. Tiefes Schwarz prägt den Hofrundgang der gebeugten Häftlinge, die morgens eine halbe Stunde im Kreis gehen. Absolute Tristesse ist in den Gesichtern der vier Männer zu lesen, die „wegen Überfüllung“ gemeinsam eine Einzelzelle belegen. Und schon die „Einlieferung“ politischer Häftlinge durch SA und SS gibt eine düstere Ahnung von der alltäglichen Gewalt im Düsseldorfer Gefängnis Ulmer Höh‘ während der nationalsozialistischen Herrschaft.

Karl Schwesig hat diese Bilder zwischen zwei Gefängnis-Aufenthalten gezeichnet. Im Sommer 1933 folterte die SA ihn zunächst im „Schlegelkeller“ unter einer Brauerei, dann kam er „auf die Ulm“. Im darauffolgenden Jahr wurde er entlassen, ihm gelang zunächst die Flucht. Im Juli 1943 aber brachte ihn die Gestapo aus Südfrankreich zurück in seine Heimatstadt und zurück in die Haftanstalt an der Ulmenstraße. Der Künstler war politisch engagiert, den Nationalsozialisten galt er als „Kulturbolschewist“, den sie entsprechend brutal behandelten. Karl Schwesig nannte die Ulmer Höh‘ „unser Grab“.

Die Zeichnungen sind einige der zahlreichen Dokumente, die Bastian Fleermann für sein nun erschienenes Buch „Ulmer Höh‘. Das Gefängnis Düsseldorf-Derendorf im Nationalsozialismus“ zusammengebracht hat. Der Leiter der Mahn- und Gedenkstätte wusste, dass viele Geschichten aus seinem Institut mit der Ulmer Höh‘ verbunden waren. Als er seinen Entschluss, ein Buch über das Gefängnis zu schreiben, umsetzte, stellte er aber fest, dass es keine wissenschaftlichen Arbeiten dazu gibt. Drei Jahre arbeitete er an dem Werk, das nun auf 488 Seiten die vielen Abteilungen und Schicksale des Gefängnisses dokumentiert.

Bastian Fleermann berichtet auf doppelte Weise. Er stellt den Akten, die er im Landesarchiv Duisburg gefunden hat, die persönlichen Erinnerungen gegenüber: Briefe und Tagebücher, Zeichnungen und Bilder. Die Leser*innen des Buchs lernen kühl verwaltete und notierte Gewalt der Nationalsozialisten kennen und die traurigen Versuche der Opfer, die Erlebnisse in Worte zu fassen. Das führt oft zu vermeintlich sachlichen Darstellungen. Oberbürgermeister Robert Lehr, den die Nazis im Rathaus verhaftet hatten, weil er nicht in die Partei eintreten wollte, listet in seinem Tagebuch minutiös Krankheitssymptome auf, die in Einzelhaft bei ihm auftreten. Der Journalist Dagobert Lubinski schreibt in den Briefen an „meine sehr Lieben“ jede Menge Alltägliches, um diese zu beruhigen.

Das Buch zur Ulmer Höh‘ zeigt, dass es mitten in Deutschland Orte gab, an denen die Nationalsozialisten ihre Herrschaft rechtsfrei ausleben und brutal gegen politische Gegner und alle anderen, die ihnen missfielen, vorgehen konnten. Die „normalen“ Häftlinge konnten sich noch auf ein Minimum an Regeln verlassen. Diejenigen, die in sogenannter Schutzhaft waren, mussten mit totaler Willkür rechnen. Folter, Misshandlungen und Zwangssterilisationen waren – und das ist keine Floskel – an der Tagesordnung.

Die Zeichnungen von Karl Schwesig zählen zu den Dokumenten, die unmittelbar und deshalb besonders eindrucksvoll zeigen, warum der Gefängnisalltag alles andere als beruhigend war: Auf der einen Seite wurden Häftlinge lange einzeln eingesperrt und mit Einsamkeit gequält. Zugleich lieferten SA und SS so viele ihnen missliebige Menschen ein, dass die Ulmer Höh‘ ständig überbelegt war – zu sehen auf dem Bild der vier Männer in der Einzelzelle. Isolation, Dreck und Krankheit prägten das Leben. Todesursache Nummer eins war Tuberkulose. Der Gefängnisleitung gelang es angesichts der beschriebenen Zustände bis zum Kriegsende nicht mehr, sie wieder aus der Haftanstalt zu verbannen. Und immer wieder stand in den Dokumenten eine andere Todesursache: „Tod durch Verhungern“.

Der Künstler Peter Ludwigs hat seine Erfahrungen im Gegensatz zu Karl Schwesig sogar in Farbe gemalt. Auf seinem Bild „Mutter B.“ liegen vier ermordete Männer im Hof der Ulmer Höh‘, zwei Frauen betrauern und beklagen ihr Schicksal. Das Bild ist im Buch von Bastian Fleermann bereits auf Seite 16 zu sehen und gibt den Leser*innen ein wichtiges Signal. Der Begriff Gefängnis ist irreführend. Er lässt einen an einen Rechtsstaat denken und an Straftäter. Tatsächlich haben die Nationalsozialisten den Schutz der Mauern genutzt, um mitten im Reich viele, viele Menschen, unschuldige Menschen, menschenunwürdig zu internieren und umzubringen.

Peter Ludwigs war einer von ihnen. Er gehörte zum Kreis um Mutter Ey, seine Kunst wurde nach 1933 als „entartet“ bezeichnet. Im März 1937 brachten die Nazis Peter Ludwigs wegen des Verdachts der „Vorbereitung zum Hochverrat“ nach Derendorf, aus Mangel an Beweisen wurde er freigesprochen. Deshalb hatte auch er die Möglichkeit, das beschriebene Bild zu malen.

Sechs Jahre später bereiteten die Nazis ihr Vorgehen gegen den Künstler besser vor. Sehr wahrscheinlich durch Folter besorgten sie sich belastende Aussagen gegen Peter Ludwigs und sperrten ihn wieder ein. Zu diesem Zeitpunkt war er schwer zuckerkrank. Im Gefängnis wurde er aber weder behandelt noch auch nur geschont. Die Gefängniskost bekam ihm schlecht, als ihm Angehörige etwas Passendes mitbrachten, führte das zu zwei Wochen strengem Arrest.

Als im Juni 1943 der Pfingstangriff der Alliierten Düsseldorf hart traf, wurde Peter Ludwigs sogar zum Schuttaufräumen eingesetzt. Dabei verletzte er sich am Bein. Das führte wegen der Diabetes‘ dazu, dass sich die Wunde im umliegenden Gewebe ausbreitete. Peter Ludwigs wurde für haftunfähig erklärt und sollte in ein Krankenhaus überführt werden. Ein freier Platz war aber vorerst nicht zu finden. Und so starb Peter Ludwigs in der Krankenabteilung der Ulmer Höh‘. Erst danach erhielt seine Frau wieder eine Besuchserlaubnis.

Am 8. September 1946 erinnerte der neu gegründete „Kulturbund für demokratische Erneuerung“ in einer Gedenkstunde in Düsseldorf an die verstorbenen Künstler Julo Levin, Franz Monjau und Peter Ludwigs.

Am kulturellen Wiederaufbau in Deutschland beteiligte sich auch ein Künstler, der das Grab namens Ulmer Höh‘ überlebte: Karl Schwesig, 1898-1955.

Das Buch

Bastian Fleermann: Ulmer Höh‘. Das Gefängnis Düsseldorf-Derendorf im Nationalsozialismus, Droste Verlag, 488 Seiten, 22 Euro.

Bastian Fleermann
Bastian Fleermann, Leiter der Mahn- und Gedenkstätte, hat ein Buch über die Ulmer Höh‘ geschrieben. Andreas Endermann hat ihn und das Werk auf dem Gelände fotografiert, auf dem die Haftanstalt einst stand und von der nur die Kapelle geblieben ist.

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