Rosenmontagszug in Düsseldorf: Als die Mottowagen top secret wurden

Der Sachverhalt ist kompliziert, eine ernste Sache und muss erklärt werden. Obwohl es um Karneval geht. Der ist nicht immer lustig, unter anderem weil er ein enormer Wirtschafts- und Tourismusfaktor für Düsseldorf ist. Einen wesentlichen Teil dieser Attraktivität verdankt er dem Rosenmontagszug. Der ist in Düsseldorf hochpolitisch und wird in Medien weltweit gezeigt. Voller Neid schauen Köln und Mainz darauf, ihre Wagen erreichen nicht annähernd das hiesige Niveau und Aufsehen.
Das liegt an den Mottowagen. Jeweils rund ein Dutzend davon ist im Zug unterwegs, und sie alle sind buchstäblich ätzend. Weil Wagenbauer Jacques Tilly und sein Team seit Jahren mit viel Humor und spitzer Kreativität eindringliche dreidimensionale Karikaturen schaffen. Weil man sie auch dann versteht, wenn man eine völlig andere Sprache spricht. Denn deren Botschaft ist eindeutig. Putin in einer Badewanne in den Farben der Ukraine, die voller Blut ist – das muss nicht erklärt werden. Das versteht jeder zwischen Tokio und Rio.
Sie in dieser Schärfe zu erdenken, zu bauen und tatsächlich auf die Straße zu bringen, scheint heute selbstverständlich. Ist es aber nicht. Es funktioniert nur, weil seit dem Jahr 2000 keiner weiß, was da am Morgen des Rosenmontags aus der Wagenbauhalle im Stadtteil Bilk rollt. Damit niemand, wirklich niemand eingreifen kann.
Genau das ist nämlich damals, im Jahr 2000 passiert. Marlies Smeets (SPD) hatte – obwohl als Amtsinhaberin favorisiert – wenige Monate zuvor 1999 die Stichwahl gegen den CDU-Kandidaten Joachim Erwin verloren. Das war bitter für sie. Wagenbauer Jacques Tilly, damals noch nicht so berühmt wie heute, machte dazu einen Vorschlag für den Rosenmontagszug. Sein Entwurf zeigte Marlies Smeets auf dem Rücken liegend mit einem Messer im Bauch, auf dem das Wort „Stichwahl“ stand. Das war zwar zutreffend, aber hart – und für die besiegte Sozialdemokratin nicht akzeptabel, als sie den Entwurf sah. Sie rief den Künstler an und warf ihm im Gespräch (Tilly: „Es war sehr laut“) sogar Frauenfeindlichkeit vor. Sein Einwand, hätte Erwin verloren, würde er da liegen, konnte sie nicht beruhigen. Am Ende wurde der Wagen nicht gebaut.
Der Protest der eigentlich als humorvoll bekannten Ex-Oberbürgermeisterin hatte jedoch Folgen. Jürgen Rieck, damals Geschäftsführer des Comitees Düsseldorfer Carneval (CC), entschied, ab sofort die Ideen nicht mehr vorher zu zeigen. Das lag nicht nur am Fall Smeets. Dieses Ereignis war lediglich der letzte Auslöser für diesen Beschluss.
Anfang der 1990er Jahre hatte sogar Helmut Kohl, seinerzeit noch Bundeskanzler mit Sitz in Bonn, seine Anwälte Richtung Düsseldorf geschickt und eine Einstweilige Verfügung erwirken lassen. Den Pfälzer hatte empört, wie er als Figur mit Lendenschurz und deutlich sichtbarem Gemächt zu sehen war. Die Lösung war eine typisch rheinische: Man verpflichtete sich, das beste Teil des Kanzlers nicht zu zeigen. Zugleiter Hermann Schmitz kaufte deshalb im Baumarkt einen Topf mit einer Palme. Den stellte man so auf, dass er das Corpus Delicti verdeckte. Allerdings kippte der Pott zufällig in der ersten Kurve um, wie Tilly noch heute breit grinsend erzählt.
Wenige Jahre später war der Klerus auf der Zinne. Weil in Bayern Kruzifixe in allen Schulen hängen sollten, regte sich Protest in ganz Deutschland. Die Düsseldorfer griffen das Thema auf und bauten einen Wagen, der – wie auf Golgatha – drei Kreuze trug. An diesen hingen allerdings drei Clowns. Das wurde zwar untersagt, der Wagen fuhr aber trotzdem. Die Gekreuzigten waren verhüllt und die Aufmerksamkeit noch höher als sowieso schon.


Bereits in diesen Fällen waren die Verantwortlichen des hiesigen Karnevals wenig begeistert über die Zensur. Marlies Smeets brachte dann das Fass zum Überlaufen. Ab dann gab es keinen Blick mehr auf die Mottowagen vor dem Start des Zuges, sie waren top secret. Diese Regel wurde zwei Mal gebrochen:
- Oberbürgermeister Joachim Erwin ging 2006 in Tillys abgeteilten Bereich der Wagenbauhalle – und rastete aus. Er fand dort einen bereits fertigen Wagen, auf dem der damalige US-Präsident George W. Bush zu sehen war, der sich eine Pistole in den Mund steckte. Auf dem Schild dazu stand „Endlich wirksame Terrorbekämpfung“. Der Rathaus-Chef, großer US-Freund und Bewunderer des Präsidenten, bestand darauf, das Objekt seiner Wut unter Verschluss zu halten. Eine Rolle mag gespielt haben, dass der US-Fernsehsender Fox einen Beitrag über den Zug plante und den so böse kritisierten Bush garantiert gezeigt hätte. Um diplomatische Verwicklungen zu verhindern, griff Erwin ein. Niemand sah Bush mit Knarre.

2. Die „Rheinische Post“ durfte 2011 die Zeichnung eines Wagens am Morgen des Rosenmontags auf der Titelseite zeigen. Darauf war der frühere Verteidigungsminister Karl-Theodor zu Guttenberg zu sehen, der mit einem Flugzeug ins Kanzleramt crashte. „Merkels 11. September“ stand an der Seite des Wagens.
Davon abgesehen hat die Geheimhaltung bis heute funktioniert. Der Zugang zum Bereich der Mottowagen ist für Nichtbefugte gesperrt und wird sogar von Wachleuten gesichert. Dass man nun eine Ausnahme macht, ist Entscheidung des CC, mit dem man die Fernsehsitzung attraktiver machen will, wie mein Kollege Christian Herrendorf hier berichtet. Ein Kamera-Team des WDR darf ins sozusagen Allerheiligste und zwei Wagen filmen. Die Bilder werden dann in die Übertragung der Sitzung am Samstag, 1. März, eingebaut
Was sie darstellen, ist nicht bekannt. Nur so viel ist zu hören: Es wurden eigens für diese Aufnahmen zwei zusätzliche Mottowagen gebaut. Am Rosenmontag rollen also nicht wie bisher 12, sondern 14 durch die Straßen von Düsseldorf.
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