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Andreas "Andy" Kalus hat die Fassade an seinem Laden, dem Pitcher, passend zu musikalischen Vorlieben gestaltet. Foto: Andreas Endermann
Andreas "Andy" Kalus hat die Fassade an seinem Laden, dem Pitcher, passend zu musikalischen Vorlieben gestaltet. Foto: Andreas Endermann

Härter als der Tod

Silvester 2019 sagt Andreas Kalus zu seiner Frau „Das wird unser Jahr“. In den folgenden 18 Monaten erkrankt die gesamte Familie an Corona, von den geplanten 180 Konzerten in seiner Kneipe „Pitcher“ kann kaum eines stattfinden. Nun kehrt er zurück.

Veröffentlicht am 2. Juli 2021

Wenige Tage, bevor Andy am Herzen operiert wird, steht ein Freund bei ihm vor der Tür. Er hat Tränen in den Augen und ein besonderes Gerät in der Hand. „Das soll Dir Kraft und Glück geben“, sagt er und gibt es ihm. Es ist ein Arc-Reaktor. Der Held der Comic-Serie „Ironman“ trägt es in der Brust und bekommt dadurch seine Energie. Wenn man das Gerät aus unserer Welt einschaltet, leuchtet es stark, in der Mitte des weißblauen Lichts wird ein Krug sichtbar: der Pitcher, Zeichen und Name der Kneipe von Andy an der Oberbilker Allee, die seit dem 2. Juli wieder geöffnet hat. Der Reaktor hat seinen Job getan.

Andy heißt vollständig Andreas Kalus, den Pitcher hat er vor mehr als 15 Jahren eröffnet. Er war mal eine Kneipe in der gelegentlich Konzerte stattfanden, inzwischen ist es ein Konzert-Ort, in dem gelegentlich normaler Kneipenbetrieb stattfindet. Für das Jahr 2020 waren dort 180 Auftritte von Musiker:innen geplant. Es kam anders: Im ersten Lockdown hat Andy seinen Laden kernsaniert, im zweiten Lockdown sich selbst.

Der Umbau des Pitcher beginnt mit einem Satz, der zum Running Gag wird: Ich habe da so eine Idee. Der erste, der ihn sagt, ist der Mann für den Ton. Um die Idee zu verwirklichen, müssen die Jungs vom Pitcher die Bühne abbauen. Dann fällt der Satz zum zweiten Mal und es wird gestrichen. Dann kommt der Ton-Mann mit dem nächsten Gedanken. Am Ende sind die Jungs zehn Wochen lang jeden Tag acht bis zehn Stunden beschäftigt.

Bei einem Arztbesuch im vergangenen Jahr sagt Andy, er möchte einen Corona-Test machen. Der Arzt sieht weder Anlass noch Sinn, Andy will das aber, das sei er seinen Gästen schuldig. Zwei Tage später kriegt er die Nachricht: positiv. Seine Frau und seine zu diesem Zeitpunkt acht Monate alte Tochter erkranken ebenfalls, die Familie geht in Quarantäne.

Als sie da wieder rauskommen, bleibt bei Andy Atemnot ein großes Thema. Er lässt sich wieder untersuchen und hört, er habe die Herzkrankheit seines Vaters geerbt. Er muss operiert werden oder wie Andy sagt: „Der Motor musste neu verkabelt werden.“ Im OP-Saal sagt eine Frau „Denken Sie sich jetzt am besten an ihren Happy Place.“ Andy denkt: „Ich will mich nicht an meinen Happy Place denken. Ich will runter von diesem Tisch.“ Wenig später sägen ihm die Ärzte den Brustkorb auf, nehmen sein Herz heraus und legen ihm vier Bypässe.

Andy hat sich nun ein paar Wochen mehr Ruhe gegönnt. Er hat im Juni noch keine Außenterrasse geöffnet, sondern nur die Tür. Dort gab es Getränke für den Weg, später zum Dort-Trinken – und es gab reichlich, wirklich reichlich Auswahl an Pitcher-Fanartikeln. Angefangen hatte es mit einem Solidaritäts-Shirt im ersten Lockdown. „Friends will be friends. All coronas are bastards“ stand darauf. Ein Kumpel und eine Idee führten später zum nächsten Motiv. Nun gibt es Hoodies, Tassen, Mini-Gitarren, Frühstücksbrettchen, Patches. Wer es per Mail oder Whatsapp-Nachricht bestellt, kann es im nun wieder geöffneten Pitcher abholen.

Mit einem ganz anderen Merchandise-Produkt hat der Pitcher in seinem Viertel noch ein ganz anderes Zeichen gesetzt. Die Düsseldorf Band Broilers hat passend zu einem ihrer Songs Plakate gedruckt. Andy hat sich einen kleinen Stapel davon besorgt, neben die Tür und die Fenster gehängt. Und so sah jeder, der an der Oberbilker Allee 29 vorbeiging oder -fuhr den Satz „Alles wird wieder okay“. Als dann zumindest die Tür des Pitcher wieder offen war, kamen immer wieder Nachbarn vorbei, die sonst im Programm des Ladens eher wenig für sich entdecken können, und dankten Andy für die Hoffnung, die er ihnen gegeben hat.

Zu den vielen neuen Dingen, die es im Pitcher 2020 gab, zählten auch fünf Konzerte, die ausschließlich im Internet zu sehen und hören waren. Die Bands lieferten amtlich ab, die Qualität des Streams war hoch, und Andy spricht von einer schönen Erfahrung. Er sagt aber auch: „Dafür habe ich den Laden nicht aufgemacht. Ich möchte, dass die Wände wieder voller Bier sind, Schweiß von der Decke tropft und der Boden schwimmt. Ich hätte überhaupt kein Problem damit, wenn wir nächsten Sommer wieder renovieren müssen, weil die Gäste den Laden zerrockt haben.“

Andy wird bei allen Stimmungslagen hinter der Theke stehen. Wenn Singer-Songwriter ruhig auf ihrem Barstuhl sitzen und spielen, wenn hinter der Plexiglasscheibe eine Band Punk oder Metal zelebriert. Wenn die Gäste gerührt an den Tisch sitzen, wenn sie im Rahmen der Möglichkeiten die Musiker*innen feiern. Ab und zu wird er sich umdrehen und an die Wand über der Bar schauen.

Da hängt dann der Arc-Reaktor.

Weiterführende Links

Das Monatsprogramm des Pitcher ist hier zu finden.

Der Pitcher hat auch einen Podcast. Alle bisherigen Folgen kann man hier hören.

Das Video zu „Alles wird wieder okay“ von den Broilers läuft hier.


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