Ein roter Verbal-Teppich für Jens Spahn

Der Bundesgesundheitsminister durfte beim "Ständehaus Treff" ausführlich plaudern. Kritische Nachfragen musste er nicht fürchten. Zu viel Respekt vor dem Gast ist für die Veranstaltung jedoch ein Problem.
Veröffentlicht am 15. September 2021
StŠndehaus Treff mit Jens Spahn , Bundesminister fŸr Gesundheit
Der Minister und der Journalist - Jens Spahn (links) und Moritz Döbler. Foto: Meike Wirsel

Es war einmal ein bei der handverlesenen Gästeschar sehr geschätzter Termin in Düsseldorf, zu dem mehrmals im Jahre Erst-Liga-Journalisten bekannte Politiker und Wirtschafts-Bosse mit Fragen löcherten, nervten, oft in die Enge trieben. Die Reporter hießen Frank Plasberg, Gabor Steingart, Giovanni di Lorenzo und Michael Bröcker, interviewt wurden Kaliber wie Angela Merkel, Gerhard Schröder, Oskar Lafontaine, Wolfgang Schäuble und Helmut Schmidt. Das ist Geschichte, aber sie hat hohe Maßstäbe gesetzt. Und das wird nun zum Problem für dieses Event namens „Ständehaus Treff“. Weil das für den Veranstalter sehr einträgliche Konzept simpel, aber sorgsam austariert ist und nicht aus dem Gleichgewicht geraten darf: Sponsoren kaufen im Ständehaus/K21 zu diesem Treffen einen Gästetisch für neun oder zwölf Personen, zahlen dafür je nach Vertragsdauer etliche tausend Euro, laden verdiente Mitarbeiter, wichtige Kunden oder Partner ein und wollen denen eine Attraktion der besonderen Art bieten. Nämlich Wirtschafts- oder Politprominenz, befragt von Medien-Prominenz und, ganz wichtig, Medien-Kompetenz.

Hat sowohl der Befragte wie der Frager einen hohen Bekanntheitsgrad und versteht seinen Job, funktioniert das Geschäft. Zahlungskräftige wie -willige Sponsoren und Gäste bekommen etwas geboten, was sie sonst nicht kriegen, nirgends. Denn Tickets für den Abend kann man als Gast nicht kaufen, sondern man wird vom Geldgeber eingeladen. Sinkt jedoch das Niveau auf der einen oder der anderen Seite, schwächelt das Modell. Genau das passiert gerade beim „Ständehaus Treff“.

Veranstalter ist die Rheinische Post Mediengruppe, der mediale Platzhirsch in Düsseldorf. Als Interviewer lässt das Blatt seinen Chefredakteur auf die Bühne, Moritz Döbler. Der gilt als wackerer Journalist, laut seines Werdegangs qualifiziert, hat bei Reuters, dpa, Berliner Tagesspiegel und zuletzt Weser-Kurier anerkannte Arbeit geleistet, unterrichtet an der Henri-Nannen-Journalistenschule den Nachwuchs und kam 2019 zur RP.

Leider ist dem gebürtigen Wuppertaler eher eine introvertierte Sprachtechnik eigen, flankiert von – sagen wir: zurückhaltender non-verbaler Kommunikation, also sparsamer Körpersprache. Bergischer Schwermut statt rheinischer Lockerheit, sozusagen. Es fehlt ihm jene von Souveränität getragene Leichtigkeit des genussvoll bissigen Angriffs per gesprochenem Wort, das den Abenden mit Plasberg, Steingart, di Lorenzo und Bröcker ihren Reiz gab. Langweilig waren sie nie.  

Das war der Abend mit Jens Spahn ebenfalls nicht. Was aber vor allem an ihm lag, weil er den sehr respektvoll („Ich würde gern noch eine Frage stellen …“) ausgerollten roten Verbal-Teppich freudig annahm und sich darauf absolut trittsicher bewegte. Binnen weniger Minuten übernahm er das Gespräch, sprach meist nicht in Richtung Interviewer, sondern zum Publikum.

Spahn, seit 18 Monaten wegen Corona als Bundesgesundheitsminister mitten im Feuer, wirkte regelrecht gestählt aufgrund dieser Erfahrung. Die Botschaft: Mich erschüttert so schnell nichts mehr. Gelassen räumte er Fehler in der Corona-Politik ein, holte sich aber auch reichlich Beifall, als er Deutschlands zu wenig gewürdigte Verdienste bei der Impfstoffentwicklung und Impf-Organisation lobte. Über seine Homosexualität zu sprechen und vom Glück, seinen Mann getroffen zu haben, wirkte nicht aufgesetzt und wurde laut beklatscht. Deutschland zwischen den Blöcken USA und China, die besser als vermutet laufende Digitalisierung des Landes, üble Beschimpfungen („Du schwule Sau!“) bei Twitter – der aus einem Dorf im Münsterland stammende Minister, das wurde vielen klar, ruht in sich, hat echte Qualitäten als entspannt referierende Rampensau und genoss das sichtlich.

Seinen für Anhänger mitreißenden Auftritt würden vermutlich viele der im Saal Sitzenden – zu Recht wird diesem Publikum eine hohe CDU-Affinität zugeschrieben – gerne beim derzeitigen Unions-Kanzlerkandidaten sehen. Mag sein, dass so mancher ins Grübeln geriet und sich fragte, ob die Spahn seinerzeit unterstellte Ambition, Kanzlerkandidat der Union zu werden, vielleicht doch keine so schlechte Idee gewesen ist. Vor allem angesichts des – wie seinerzeit SPD-Kandidat Rudolf Scharping – glücklos agierenden Armin Laschet.

Jedenfalls erlebten die Düsseldorfer Zuschauer einen Christdemokraten der anderen Art. Was der geschundenen, von einer womöglich nach links driftenden künftigen Bundesregierung zusätzlich geschockten Seele der vielen CDU-Anhänger im Saal hörbar gut tat, wie der laute Beifall zeigte.

Spahn als neuer Hoffnungsträger? Selbstbewusst in die Zukunft schauend, ist er sich seiner Chancen bei der großen Abrechnung nach dem Wahltag offenbar sicher. Als Döbler meinte, in einem neuen Kabinett werde der 41-Jährige ja wohl nicht mehr sitzen, parierte Spahn nur trocken mit „Warum?“  Und natürlich antwortete er auch nicht auf die Standard-Frage vom journalistischen Wühltisch, wen er sich denn als Nachfolger Laschets als Ministerpräsident in NRW vorstellen könnte – etwa Verkehrsminister Hendrik Wüst, der sich derzeit als Kandidat warmläuft? Von solchen Fragen rät man Volontären – vermutlich auch an der Henri-Nannen-Journalisten-Schule – dringend ab, weil es darauf noch nie eine zielführende Antwort gegeben hat. Schon gar nicht vor 400 Zuhörern. Spahn ließ sie denn auch kühl abperlen.

Kann sein, dass er in einer ganz anderen Funktion seinen nächsten Auftritt beim „Ständehaus Treff“ hat. Er wäre nicht der erste Wiederholungstäter. Angela Merkel war vor Jahren erstmals als CDU-Newcomerin dabei, später kam sie erneut – nachdem sie Kanzlerin der Bundesrepublik Deutschland geworden war.  

Das könnte mit Spahn auch passieren, in welcher Funktion auch immer. Falls es den „Ständehaus Treff“ dann noch gibt.

Der nächste Termin steht jedoch schon fest – am 15. November kommt der Vonovia-Chef. Und bevor Sie den jetzt googeln: Sein Name ist Rolf Buch.


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