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Ilna Ewers-Wunderwald war Künstlerin, Illustratorin, Übersetzerin, Chansonette und Designerin. Foto: Heinrich-Heine-Institut
Ilna Ewers-Wunderwald war Künstlerin, Illustratorin, Übersetzerin, Chansonette und Designerin. Foto: Heinrich-Heine-Institut

Düsseldorfs wiederentdeckte Kunst-Ikone

Woanders gefeiert, in der Heimat ignoriert. Ilna Ewers-Wunderwald war um 1900 eine Künstlerin, die unter großen Anstrengungen die Welt bereiste und gegen die Konventionen lebte. Ein Gespräch mit Sven Brömsel, Co-Kurator einer aktuellen Ausstellung über sie.

Veröffentlicht am 3. Juni 2021

Ilna Ewers-Wunderwald war Künstlerin, als Frauen noch nicht an den Akademien zugelassen wurden. Sie reiste im frühen 20. Jahrhundert nach Indien, Kolumbien und in die Karibik, obwohl sie nicht das erforderliche Geld hatte. Und sie war mit Hanns Heinz Ewers verheiratet, dem „Stephen King des Wilhelminischen Kaiserreichs“. Die gebürtige Düsseldorferin war lange in Vergessenheit geraten, nun wird sie wiederentdeckt. Das Bröhan-Museum in Berlin widmete ihr 2019 eine gefeierte Ausstellung, aktuell zeigt das Horst-Janssen-Museum in Oldenburg ihre Werke. VierNull-Autor Sebastian Brück hat mit dem Co-Kurator Sven Brömsel über die Faszination für Ilna Ewers-Wunderwald gesprochen.

Ilna Ewers-Wunderwald und ihr Mann Hanns Heinz Ewers lebten Anfang des 20. Jahrhunderts außerhalb der gängig-konservativen Konventionen. Dabei spielte die italienische Insel Capri eine wichtige Rolle. Wie kann man sich das vorstellen?  

Sven Brömsel: Ilna und Hanns waren exponierte Persönlichkeiten der Jugend- und Reformbewegung. Neben Ascona war um 1900 auch Capri ein Ort, wo sich insbesondere Künstler und Anarchisten trafen, um einerseits ein weitgehend unbehelligtes Refugium der Freiheit zu finden und andererseits gegen gesellschaftliche Sanktionen aufzubegehren. Das frisch vermählte Ehepaar konnte hier jedenfalls unkonventioneller als in Düsseldorf oder Berlin leben und ließ sich vielfach nackt am Strand ablichten. Mit der Natürlichkeit des Leibes wollten sie die bürgerliche Prüderie bloßstellen. Die Freikörperkultur dieser Blumenkinder zeigt sexualreformerische Züge. Ewers setzte sich gegen die Diskriminierung von Homosexuellen ein, Wunderwald hatte auch Schlag bei Frauen. 1910 bereisen die beiden ausgiebig Indien. Mit einem Wort: Es waren Jugendstil-Hippies.

Wer „Hippie“ hört, denkt unweigerlich auch an Drogen.

Sven Brömsel: Um seelische Grenzen zu überwinden und den künstlerischen Horizont zu erweitern, spielten halluzinogene Drogen für die beiden durchaus eine Rolle.  Aus der Capri-Zeit ist aus der Hand von Ilna Wunderwald das Hanns-Heinz-Ewers-Manuskript Rausch und Kunst überliefert, wo Morphium, Opium, Mescal und Haschisch näher zur Sprache kommen. Weiterhin schrieb Ewers das Vorwort zum Buch Opium des französischen Schriftstellers Claude Farrère, das übrigens seine Mutter übersetzte, Wunderwald zeichnete das dazugehörige Cover-Bild mit Mohnblumen. Sie schrieb einmal: „Man lebt wie in einem schweren Opiumrausch.“

Das Künstler-Ehepaar war nicht nur in Indien unterwegs, sondern in der ganzen Welt – ungewöhnlich für die damalige Zeit.

Sven Brömsel: Ja, die beiden waren echte Globetrotter und Abenteurer. Reisen zwischen 1900 und 1914 nach beispielsweise Kolumbien oder in die Karibik waren viel entbehrungsreicher und weniger vorherbestimmbar, als wir uns das heute vorstellen können. Vor allem war es für die zartgliedrige und oft kränkliche Wunderwald eine enorme physische Herausforderung. Da die Bohemiens kein Geld für diese kostspieligen Fahrten hatten, ließen sie sich die Weltreisen unter anderem von der Hamburg-Amerika-Linie finanzieren, indem Ewers im Gegenzug positive Reiseberichte schrieb und Wunderwald Menükarten für die Restaurants der Ozeandampfer entwarf. Wunderwald ließ sich auf den Fernreisen insbesondere von der Natur und Kultur der exotischen Länder inspirieren. Sie gehört zu den ersten Künstlerinnen, die indische Mythenfelder intensiv im Werk aufleben lassen, lange bevor etwa durch Hermann Hesses Siddhartha ein regelrechter Indien-Boom zu verzeichnen war. Dieses Land hat sie auf ihren Reisen am meisten beeindruckt …

… und nimmt auch in der Ausstellung dementsprechend Raum ein?

Sven Brömsel: Es gibt einen eigenen Indien-Raum. Die Wände sind hier in ein tiefes Orange gesetzt, sodass man in das Licht einer fernen Wärme getaucht ist. Die mythologisch inspirierten Bilder scheinen vor diesem Hintergrund zu leuchten. Dort hängt zum Beispiel eine auf den ersten Blick unscheinbare Federzeichnung. Verschiedene Orchideen bestimmen das Bild. Sie haben schwarze Blüten, die an Baudelaires Les Fleurs du Mal erinnern. Im Hintergrund sind merkwürdige Kuben angedeutet. Es sind die Tempel der Parsen mit nach oben offenen Mauerrundungen. Hier werden die Toten abgelegt. Nach parsischem Brauch dürfen die Leichname weder in der Erde, im Ganges, noch durch Verbrennung in der Luft bestattet werden. Nur ein Fährmann kann die Toten in ein anderes Reich bringen. Daher machen sich in den Tempeln die Geier über die Leichen her. Wunderwald und Ewers haben diese Szenerie auf den Malabar-Hills bei Bombay beobachtet. So wie dieses erzählt jedes Bild der Ausstellung eine andere Geschichte.

Ewers-Wunderwald entwarf auch avantgardistische Frauenmode. In Oldenburg ist ein Reformkleid zu sehen, das sie um 1903 auf Capri designte.

Sven Brömsel: Auf das im Rondell präsentierte Kleid sind wir besonders stolz. Die Leiterin des Horst-Janssen-Museums, Jutta Moster-Hoos, hatte die famose Idee, anhand von 120 Jahre alten Fotografien eines der Wunderwald-Kleider neu zu erschaffen. Die Oldenburger Kostümschneiderin Dorothea Schachtmeister setzte die Idee mit chinesischer Seide in die Tat um. Es ist wunderschön geworden. Zumal der Anblick plastischen Materials einen völlig anderen Eindruck als eine Abbildung hinterlässt.

Hat Ilna Wunderwald zu Lebzeiten ihre Kleider in Düsseldorf oder anderswo auch verkauft? Ihr Vater besaß ja eine Fahnenfabrik …

Sven Brömsel: Alexander Wunderwald war Dekor- und Fahnenmaler und hatte sich irgendwann in Düsseldorf selbstständig gemacht. Man sollte sich aber keine große Fabrik vorstellen. Jedenfalls übernahm dann später Ilnas Vetter Gustav Wunderwald den Betrieb, der wiederum in den 1920igern ein bekannter Maler wurde. Doch zurück zu Ihrer Frage: Vermutlich wurden die Kleider im väterlichen Handwerksunternehmen an der Benrather Straße 18 gefertigt. Obwohl Ilna Wunderwald ihre individuellen Mode-Schöpfungen in Zeitschriften werbewirksam präsentierte, ist mir ein gewerbsmäßiger Verkauf nicht bekannt. Sie war eben Künstlerin und keine Geschäftsfrau.

Dabei beschränkte sich Multitalent Wunderwald nicht auf Kunst und Mode.

Sven Brömsel: Sie hat auch Möbel entworfen und gestaltet. Es ist möglich, dass diese auch im Kunsthandwerker-Haushalt der Familie Wunderwald in Düsseldorf gefertigt wurden, denn es wohnte ein Tischlermeister im Haus, der mit ihrer Mutter verwandt war. Im Janssen-Museum ist eine grazile Jugendstil-Bank von etwa 1905 zu sehen. Es ist ein besonders feingliedriges Stück mit handbemaltem Pfauenmuster auf der Polsterung.

Frauen waren bis 1918 nicht an Kunstakademien zugelassen. Wie kam Wunderwald zur Kunst?

Sven Brömsel: Sie war Autodidaktin. Allerdings hat sie mit hoher Wahrscheinlichkeit bei Willy Spatz, der in Düsseldorf eine Damenmalschule unterhielt, Unterricht genossen. Wunderwald arbeitete hauptsächlich mit Mischtechniken, also großenteils mit Feder und chinesischer Tusche, aber auch mit Bunt- und Bleistift. Vielfach wirken die Arbeiten sehr malerisch und mit den fast mikroskopischen Strukturen wie Stoffcollagen. Als künstlerische Vorbilder sind Maria Sibylla Merian, Katsushika Hokusai, die Präraffaeliten und Aubrey Beardsley zu nennen. Doch sind in ihren Werken nur Referenzen an andere Künstler zu finden. Sie zeigte sich niemandem verpflichtet und ging zeitig eigene Ausdruckswege.

Ilna Wunderwald und Hanns Heinz Ewers lernten sich 1895 im Düsseldorfer Künstlerverein Malkasten kennen – und ließen sich 1912 scheiden. Worauf könnte die gegenseitige Anziehung beruht haben?

Sven Brömsel: Ilna war eine schöne Frau und hat mit ihrem Charme und mediterranen Teint viele Männer verrückt gemacht. Hanns war ein Draufgänger, das hat wohl gepasst. Anderseits fühlten sie sich auch von der androgynen Seite des Anderen angezogen. Doch die Ehe wurde schnell zum Desaster. Künstlerisch ergänzte sich das Paar kongenial. Sie schuf bildkünstlerische Korrelate zu seinen literarischen Werken, er setzte ihr in verschiedenen Märchen und in seinem Weltbestseller Alraune ein Denkmal. Die weibliche Hauptfigur dieses phantastischen Romans war das Produkt einer künstlichen Befruchtung. Sie bekam die Züge Ilna Wunderwalds. Alraune ist ja in 23 Sprachen übersetzt und fünfmal verfilmt worden. Wir zeigen in Oldenburg auf einem großen Bildschirm die Verfilmung von 1927 in der Besetzung mit Brigitte Helm und Paul Wegener.

Schon weit vor den „Goldenen Zwanzigern“ war Ilna Wunderwald eine sehr emanzipierte Frau, trug bisweilen kurze Haare und Herrenanzüge, rauchte Zigaretten. Wurde sie künstlerisch dennoch als weibliches „Anhängsel“ gesehen?

Sven Brömsel: Ihr Ehegatte war mit Erscheinen von Alraune so etwas wie ein Superstar. Doch war sie niemals sein Trabant und ging unbeirrt ihrer Kunst nach. Meines Wissens ist sie auch nie so wahrgenommen worden. Wunderwald hat sich von seinem Ruhm nicht beeindrucken lassen. Im Gegenteil, sie hat mit Hanns Heinz Ewers gemeinsam im Kabarett gewirkt, französische Literatur übersetzt und eigene Glossen geschrieben. Es ist erstaunlich, dass sich die eher schüchterne Frau immer die Freiheiten nahm, die sie brauchte. Mit den Illustrationen für die Ewers-Bucheinbände war auch Wunderwald in gewisser Weise populär, denn sie sind in hohen Auflagen im Verlag Georg Müller erschienen.

In der Ära der Neuen Sachlichkeit war Ilna Wunderwald mit ihren verspielten Zeichnungen weniger gefragt.

Sven Brömsel: Genau, in den 1920ern zog sie sich aus der Öffentlichkeit zurück und arbeitete nur noch für private Kreise. Dann verliebte sie sich in die Düsseldorfer Bilderhauerin Elly Unkelbach. Während der Nazi-Herrschaft kümmerte sie sich um Freunde, die ihre Regimegegnerschaft in Konzentrationslagern büßen mussten. Um 1940 zog Wunderwald mit Unkelbach an den Bodensee, wo sie bis zu ihrem Tod 1957 lebte. Sie war bis zum Ende künstlerisch tätig. Leider ist es schwer zu ermitteln, wie viele Werke sie im Laufe des Lebens geschaffen hat – vor allem, wo sich noch welche befinden könnten. Sie ist bis zuletzt in gewisser Weise dem Jugendstil treu geblieben, hat aber auch zunehmend abstrakt gearbeitet. Beispielsweise nimmt sie schon in den 1950iger Jahren die Psychedelic Art vorweg. Auch aus dieser Phase sind einige Bilder in Oldenburg zu sehen.

Sie sind nun bereits an der vierten Ausstellung des „Wunderwald-Revivals“ beteiligt. Während Ilna Ewers-Wunderwald in Berlin, am Bodensee und in Oldenburg gefeiert wurde, wird sie in Düsseldorf bislang weitgehend ignoriert. Warum gab es bisher keine Ausstellung in der Geburtsstadt der Künstlerin? Das läge doch auf der Hand.

Sven Brömsel: Das ist wirklich verdammt schade, zumal ja Wunderwald eine grandiose Wiederentdeckung und ein echtes Kind dieser Stadt ist. Ich habe bei allen in Frage kommenden Einrichtungen geklopft, aber das Interesse für eine Ausstellung hielt sich in Grenzen. Andere Städte gehen aufmerksamer mit ihren prominenten Töchtern um. Die in Düsseldorf lebende Großnichte Wunderwalds hat nun eine Straße für die vielseitige Künstlerin beantragt. Da es teilweise heute noch Straßennamen gibt, die einst nach kolonialistischen oder nationalistischen Persönlichkeiten benannt wurden und deshalb neu vergeben werden müssen, hoffen wir auf eine Würdigung dieser Art. Tatsächlich sind nur etwa drei Prozent der Düsseldorfer Straßennamen an Frauen vergeben, nur eine ist auch in der Metropole am Rhein geboren und keine davon ist eine Malerin. Insofern wäre Ilna Ewers-Wunderwald für Düsseldorf eine absolut würdige Namenspatin.

Sie haben ein Buch über Ilna Ewers-Wunderwald geschrieben, „Alraune des Jugendstils“ – eine Mischung aus Biographie und Werkschau. Wie sind Sie persönlich auf die Künstlerin gestoßen?

Sven Brömsel: Über einen Umweg. Nach längeren Studien über den literarisch abgründigen Hanns Heinz Ewers, wollte ich wissen, wer sich hinter den gleichzeitig sensiblen und markanten Buchdeckel-Gestaltungen sowie Illustrationen von Moganni Nameh und Alraune verbirgt. Diese Bücher haben mich eigenwillig fasziniert. Mir war zwar schon klar, dass seine Gattin Ilna dahinter steckt, doch viel mehr war über sie aus der Literatur zu Ewers nicht erfahrbar – und von kunsthistorischer Seite gab es nur zwei schmale Lexikoneinträge. Das stachelte meine Neugierde noch an. Also machte ich mich auf eine lange Reise der Recherche, wobei mich vor allem der Archivar des Heine-Instituts Martin Willems in Düsseldorf unterstützte. Denn dort liegen neben vielen Fotos unter anderen der Briefwechsel mit Hanns Heinz Ewers und die Indien-Tagebücher Ewers-Wunderwalds. Auch ohne die maßgebliche Hilfe der Kunstfreundin und Sammlerin Eve Rotthoff, des Düsseldorfer Verlegers Jonas Plöger (Zagava Verlag), der Berliner Kuratorin Anna Grosskopf und der mit Wunderwald verwandten Vera Stützel wäre es nie gelungen, das Interesse der Öffentlichkeit wieder zu wecken.

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Weiterführende Links

Das Museum in Oldenburg bietet einen „digitalen Sonntagsdialog“ und Telefonführungen an. So können auch Düsseldorfer die Ausstellung sehen, ohne nach Oldenburg reisen zu müssen. Diese besonderen Angebote sind hier zu finden.

Ein Video zur Ausstellung in Oldenburg gibt es hier.

Ein kurzes Video mit der Schneiderin des Kleides für die Ausstellung ist auf Instagram zu sehen.


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