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"Washington überquert den Delaware": Dieses in New York ausgestellte Gemälde malte Emanuel Leutze in seinem Atelier am heutigen Graf-Adolf-Platz. Foto: metmuseum.org

Düsseldorfs berühmtestes Gemälde hängt in New York

1851 malte Emanuel Leutze in Düsseldorf ein Gemälde, das heute als nationale Ikone der USA gilt: „Washington Crossing the Delaware“. Unser Autor hat das Kunstwerk im Metropolitan Museum of Art besucht. Das behauptet er zumindest …

Veröffentlicht am 13. Oktober 2023

Vor ein paar Stunden sind wir in New York gelandet, und nun sitzen mein bester Freund P. und ich auf einer Bank schräg vor dem Gemälde, das in den USA jedes Kind kennt und jeder Erwachsene sowieso. Es hängt im Metropolitan Museum of Art, heißt „Washington Crossing the Delaware“ und misst monumentale 3,8 mal 6,5 Meter, eingefasst von einem goldfarbenen Rahmen. Zu sehen ist, wie General George Washington 1776 im Morgengrauen mit seinen Männern den Fluss Delaware überquert. Die durch Eisschollen erschwerte Truppenverlegung an den Weihnachtstagen ist der Beginn eines Überraschungsangriffs gegen die zahlenmäßig überlegenen britischen Kolonialherren, der in der Schlacht von Trenton siegreich endet. Eine Sternstunde der US-Geschichte – mit weitreichenden Folgen: 13 Jahre später wird George Washington zum ersten Präsidenten der Vereinigten Staaten gewählt. Neben dem aufrechtstehenden und Zielstrebigkeit ausstrahlenden General repräsentieren die anderen Männer im Boot das multi-ethnische Amerika. Wir sehen einen Mann mit Schottenmütze, einen Afroamerikaner, zwei Farmer, einen Gewehrschützen aus dem Westen des Landes und einen indigenen Ureinwohner. Bei dem Mann, der neben Washington die Landesflagge hochhält, handelt es sich – so erklärt uns der Audio-Guide – um Lieutenant James Monroe, ab 1817 der fünfte Präsident der USA.    

Kurzum: Dieses Gemälde ist eine Ikone, es ist der Inbegriff der „Idee“, die den Vereinigten Staaten zugrunde liegt, eine künstlerische Interpretation des Strebens nach Eigentum, Glück und persönlicher Freiheit.

Wir schweigen, sind eingenommen von Kraft und Symbolik der Szene.

Irgendwann sage ich: „Kaum zu glauben, dass das berühmteste Bild der USA einst in Düsseldorf gemalt worden ist.“

Mein bester Freund P. ergänzt: „Und dass die meisten Düsseldorfer nichts davon wissen. Das hier ist ja quasi die amerikanische Mona Lisa – also vom Bekanntheitsgrad her.“

Ich muss zugeben: Bevor P. mir davon erzählte, war auch mir die Düsseldorf-Vergangenheit des Bildes nicht geläufig. Eindruck nach der ersten Online-Recherche: Das „Washington überquert den Delaware“-Vermächtnis, über das unter anderem die „Zeit“ und die „Welt“ in den vergangenen Jahren groß berichteten, wird von und in der Stadt zwar nicht verschwiegen, aber auch nicht gerade promotet.

Immerhin: Nach dem Schöpfer Emanuel Leutze ist eine Straße in Düsseldorf-Lörick benannt. Seine deutsch-amerikanische Geschichte geht so: Geboren wird Leutze 1816 in Schwäbisch-Gmünd. Als er neun Jahre alt ist, wandern seine Eltern in die USA aus. Sie lassen sich in Philadelphia nieder – jener Stadt, in der die Vereinigten Staaten 1776 ihre Unabhängigkeit erklärten. Der junge Emanuel hat künstlerisches Talent, malt Porträts und findet Gönner, die ihm ein Studium in Europa finanzieren. 1841, mit 25 Jahren, schreibt er sich an der von Wilhelm von Schadow geleiteten Kunstakademie in Düsseldorf ein. Die Stadt, damals Teil der „Rheinprovinz“, zieht aufstrebende Künstler aus Europa und Übersee an, darunter nicht wenige Amerikaner. Leutze spezialisiert sich auf die angesagte Historienmalerei, in besonderem Maße beeinflusst von seinem Mentor Carl Friedrich Lessing – einem der Stars der Düsseldorfer Malerschule. Mit Düsseldorf als Basis unternimmt Leutze mehrere Studienreisen mit Stationen in München, Rom und Venedig. Die demokratischen Entwicklungen, die sich in Europa abzeichnen, faszinieren ihn. Nachdem 1848 in Paris die bürgerlich-demokratische „Februarrevolution“ ausgebrochen ist, gründet sich inspiriert vom Geist der Freiheit der Düsseldorfer Künstlerverein Malkasten – mit Emanuel Leutze als einem der Initiatoren. Als im Deutschen Bund das Fürstentum die Oberhand behält, fasst er den Entschluss, ein Werk zu schaffen, dass den deutschen Freiheitskämpfern Kraft und Hoffnung geben soll. Der schwäbische Düsseldorfer, deutsche Amerikaner und Gegner der Sklaverei wählt dafür die historische Szene am Delaware River, die er schon länger künstlerisch verarbeiten möchte. Seine Botschaft: Scheinbar unterschiedliche Gruppen können, wenn sie sich vereinigen, alles erreichen. Schaut in die USA, dort hat es geklappt.

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Der Deutsch-Amerikaner Emanuel Leutze (1816-1868) lebte von 1841 bis 1859 in Düsseldorf und war einer der Mitbegründer des „Malkasten“. Foto: G.&A. Overbeck / Wikimedia 

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Emanuel Leutze in einem seiner Düsseldorfer Ateliers um 1845. Illustration: Henry Ritter / Wikimedia

Um das großformatige Gemälde in seinem Atelier fertigzustellen, bittet Leutze andere Künstler um Hilfe – unter anderen seine US-Kollegen Worthington Whittredge und Eastman Johnson (später Mitbegründer des Metropolitan Museum of Art) sowie den Düsseldorfer Andreas Achenbach. Der letztere soll den kompletten Himmel gemalt haben, mitsamt einem kaum sichtbaren Stern, der im Morgenlicht verlischt.

Als wir am Tag darauf am JFK International Airport auf den Rückflug warten, hat P. bereits weitere Recherchen auf seinem Tablet unternommen: „Du musst in deiner Kolumne unbedingt erwähnen, wo genau Emanuel Leutze das Bild seines Lebens gemalt hat.“  

„Laut Wikipedia befand sich Leutzes Atelier am Steinweg 212, wo er auch wohnte, nur ein paar Häuser neben Wilhelm von Schadow übrigens“, sage ich. „Das dürfte auf Höhe der heutigen Schadowstraße 60 gewesen sein – da, wo der Laden von Foto Koch ist.“

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Schadowstraße/Ecke Bleichstraße um 1900: Emanuel Leutze wohnte auf Höhe der heutigen Nummer 60 (vormals: Steinweg 212), zu sehen am rechten Bildrand. Foto: Stadtarchiv Düsseldorf, Julius Söhn

„Ich habe gestern Abend in Online-Archiven gegraben“, sagt P. und zieht dabei gespielt-wichtigtuerisch die Augenbrauen hoch. Demnach habe Leutze mit seinen Kollegen ein zweites, wohl noch größeres Atelier unterhalten und dort das Washington-Bild gemalt, und zwar im leerstehenden Raum einer Gaststätte am heutigen Graf-Adolf-Platz. Als müsse er das beweisen, präsentiert er mir einen Veranstaltungshinweis aus der Kölnischen Zeitung. Der „Künstlerunterstützungsverein“ weist auf eine Ausstellung des Gemäldes „Washingtons Übergang über den Delaware“ hin. Originalton: „Das Bild ist vor seiner Absendung nach America auf kurze Zeit von Mittwoch den 16. Juli an täglich von 10 bis 16 Uhr im Atelier des Hrn. Leutze, bei Stübben zwischen den Bahnhöfen in Düsseldorf, zum Besten des Vereins ausgestellt. Entree 5 Sgr. à Person. Düsseldorf, 14. Juli 1851.“

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Ankündigung in der Kölnischen Zeitung vom Juli 1851. „Sgr“ steht für „Silbergroschen“.

Die Ortslage „zwischen den Bahnhöfen“ muss man erklären: Sie bezieht sich auf die beiden Vorgänger des Düsseldorfer Hauptbahnhofs. So gab es zu Leutzes Lebzeiten zum einen den Elberfelder Bahnhof (offiziell: „Bergisch-Märkischer Bahnhof“), zum anderen zwischen Adersstraße und Luisenstraße den „Köln-Mindener Bahnhof“. Die Vorgeschichte des zwischen den Bahnhöfen produzierten Leutze-Gemäldes, das wir gestern im Metropolitan Museum of Art gesehen haben, ist so kurios wie dramatisch: Es handelt sich nämlich nicht um das Original, sondern um eine Zweitfassung. Als am 5. November 1850 in seinem Atelier bei „Stübben“ ein Feuer ausbricht, muss Leutze die erste Version am Rahmen ringsum abschneiden und zusammenrollen, um sie durch das Fenster retten zu können. Dank einer Gemälde-Versicherung hat er die Mittel, es zu restaurieren. Doch der anvisierte Abnehmer – der Kongress in Washington – tritt zurück.  Die Erstversion wird von der Versicherung erfolgreich in Berlin und im Kölner Gürzenich ausgestellt und landet schließlich in der Bremer Kunsthalle. Ironie des Schicksals: 1942 verbrennt das Bild, das die amerikanische Unabhängigkeit von Großbritannien zelebriert, doch noch – nach einem Bombenangriff britischer Flugzeuge.

Im Auftrag des französischen Kunsthändlers Adolphe Goupil erstellt Leutze die zweite, berühmtgewordene Version von „Washington Crossing the Delaware“ – etwas größer, mit geringfügigen Änderungen. Als das Werk im Oktober 1851 von Leutze begleitet über Paris in New York ankommt und ausgestellt wird, erntet es begeisterte Reaktionen. 50.000 Zuschauer wollen das Kunstwerk „Made in Düsseldorf“ sehen. Nach einer weiteren Ausstellung im Kapitol in Washington landet es in Privatbesitz – und 1897 über eine Schenkung im Metropolitan Museum of Art.

Leutze, der 1845 die Düsseldorferin Juliane Lottner geheiratet hat, kehrt nach der Bild-Präsentation zunächst zurück an den Rhein. Im Hofgarten, in einem Pavillon neben der Restauration „Vier Jahreszeiten“, arbeitet er in einem neuen Atelier. Seinem Thema bleibt er treu: 1854 vollendet er dort im Auftrag eines US-Bankiers das Bild einer weiteren Schlacht im Unabhängigkeitskrieg: „Washington Rallying the Troops at Monmouth“.

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Ebenfalls „made in Düsseldorf“: „Washington in der Schlacht bei Monmouth“ malte Leutze in einem Pavillon-Atelier im Hofgarten. Foto: Wikimedia 

1859 verlässt Leutze Düsseldorf mit seiner Familie Richtung USA. Im Jahr zuvor hat er einem Freund aus Schwäbisch-Gmünd geschrieben, er sei „zu viel Amerikaner, Republikaner, als dass ich dazu geeignet wäre, für die deutschen Großen zu malen.“ 1861, sieben Jahre vor seinem Tod, erhält Leutze den bestbezahlten Auftrag seiner Karriere: Für 20.000 Dollar erstellt er in seinem Atelier in Washington das Wandbild „Westward the Course of Empire Takes its Way“, das noch heute im Treppenaufgang des amerikanischen Repräsentantenhauses hängt.

Auf dem Rückflug von New York nach Düsseldorf wird mein bester Freund P. von seinem Werbefuzzi-Instinkt gepackt. Man solle sich ein Beispiel an Meerbusch nehmen: „Dort haben die Offiziellen nach Quellen für die Vermutung gesucht, dass Leutze das Rheinufer zwischen Ilverich und Langst-Kierst als Vorbild für den Delaware River genommen hat.“

„Und?“, frage ich nach.

„Sie haben nichts Konkretes gefunden, aber wenigstens haben sie sich bemüht, und sie hatten vor, sich mit Leutzes Geschichte zu schmücken.“

„Und was schlägst du nun für Düsseldorf vor, Schlaumeier?“, frage ich.

„Die Flughafenbrücke über den Rhein umbenennen, die liegt in der Nähe des Rheinabschnitts, der Leutze inspiriert haben soll – und mal ehrlich: Emanuel-Leutze-Brücke hört sich doch viel cooler an, oder?“

Ich nicke skeptisch, doch P. ist nicht zu bremsen, ist voll im Leutze-Promo-Modus: „Wenn ich entscheiden könnte, so würde ich einen Rheinbrückenpfeiler oder eine Hauswand mit Leutzes Washington Crossing the Delaware bemalen lassen – eine Art kunsthistorisches Street-Art-Mural. Das wäre bei Düsseldorf-Touristen sofort in den Instagram-Top10.“

„Du bist sicher nicht der erste, der so eine Idee hat“, sage ich.

„Um so besser“, sagte P. „Die Kunststadt Düsseldorf muss die Steilvorlage verwandeln, die Emanuel Leutze ihr liefert.“

Schnitt. Eines muss ich noch nachliefern: Den Dialog zwischen meinem besten Freund P. und mir, der dem Schreiben dieser Kolumne vorausging.

P.: „Am besten verbindest du die Recherche mit einer Dienstreise – nach New York. Und ich begleite dich.“

Ich: „Als ob eine Lokalredaktion so ein Projekt finanzieren würde.“

P.: „Du sollst ja auch nur so tun, als ob wir vor Ort gewesen wären. Und dass du manchmal ein kleiner Schwindler bist, wissen die Leser doch sowieso …“

Ich: „Stimmt, es soll sogar welche geben, die vermuten, ich hätte dich erfunden. Nimm das du Kunstfigur!“

P.: „Unverschämtheit! Jedenfalls: Die Daten zum Bild und zu seinem Schöpfer müssen natürlich stimmen.“

Ich: „Was du nicht sagst!“

P. „Und natürlich musst du die New-York-Reise-Erfindung auflösen. Aber …“

Ich: „… besser nicht im ersten Satz. Schon klar!“       

Weiterführende Informationen

Eine Variation der oben erwähnten Street-Art-Idee gibt es bereits. „Unsere Straßen, unsere Künstler“: So heißt der Verein von Inge Sauer, der seit 2018 Bilder von Künstlern der Düsseldorfer Malerschule unter dem Motto „Da sind sie ja!“ in die nach ihnen benannten Straßen bringt. Auf dem nach Theodor Mintrop benannten Mintrop-Platz sowie in der Bendemannstraße (Eduard Bendemann war Akademiedirektor) konnten bereits großflächige Bilder angebracht werden. Seit Kurzem ist zudem ein elf Meter hohes Bildnis von Wilhelm von Schadow an der Fassade des ehemaligen Kaufhofs am Wehrhahn zu sehen. Die Idee hinter dem Kunstprojekt: Die audiovisuelle Kraft der Bilder nutzen, um Bewusstsein für das künstlerische Erbe der Stadt zu wecken und die Anwohner mit der Geschichte „ihrer“ Straße zu konfrontieren.  Auch an der Emanuel-Leutze-Straße in Düsseldorf-Lörick planen Inge Sauer und ihre Mitstreiter Reproduktionen von Leutze-Gemälden zu zeigen. Mehr dazu gibt es hier: kuenstlerstrassen.de

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Geplant: Eine Reproduktion des berühmten Leutze-Gemäldes an der Düsseldorfer Emanuel-Leutze-Straße in Lörick. Fotomontage: Inge Sauer / „Unsere Straßen, unsere Künstler“

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