Eine Venetia, ihr Prinz und die Bärenmarke

Durch den Karneval sind Melanie und Uwe Willer ein Ehepaar geworden, nun stehen sie ab dem 11.11. als Prinzenpaar an der Spitze. Sie sind fest entschlossen, nicht nur Spaß zu haben, sondern im Winterbrauchtum auch neue Akzente setzen.
Von Hans Onkelbach (Text)
und Andreas Endermann (Foto)
Veröffentlicht am 3. November 2023
Düsseldorfs Prinzenpaar Melanie und Uwe Willer
Konfetti an der Wand, Karneval im Herzen: Das neue Düsseldorfer Prinzenpaar Melanie und Uwe Willer.

Irgendwann im Gespräch mit den beiden, als wir über alles mögliche und auch über Karneval gesprochen haben, irgendwann kommt mir das aktuelle Karnevalsmotto in den Sinn: „Wat et nit all jöwt!“ (Was es nicht alles gibt). Ein Spruch, den der Rheinländer benutzt, wenn er sich wirklich wundert. Ich tue das gerade – und zwar über das nächste Prinzenpaar Uwe I. und Venetia Melanie. In der stilvoll gestalteten offenen Wohnung mit Blick in einen kunstvoll unaufgeräumten Garten sitzen wir an einem langen Tisch, der offenbar sowohl fürs Arbeiten, als auch fürs gemütliche Beisammensein bei Speis‘ und Trank genutzt wird. Melanie, er nennt sie Melli, sitzt da und flickt gerade die Bordüre einer kleinen Narrenkappe mit Nadel und Faden.

Vor der gläsernen Terrassentür taucht ein Eichhörnchen auf und wartet aufs Frühstück. Es bekommt, wie immer, von der Herrin des Hauses ein paar Nüsse gereicht. An einer Wand unterhalb einer Leuchtröhre mit dem Wort Konfetti (!) in kursiver Schrift steht auf einer Anrichte ein Technics-Plattenspieler, daneben eine Marantz-Anlage, rechts und links zwei voluminöse Sony-Boxen: HiFi old fashioned. Äußerst modern dagegen der TV-Flachbildschirm. Er ist so platziert, dass man sich fragt, wie man dort fernsieht. Wahrscheinlich vom riesigen dunkelroten Sofa aus schräg gegenüber. Tun wir aber selten, sagt Uwe, Fernsehen ist nicht so unser Ding.

Die beiden – er ist 59, sie 51 – wirken harmonisch. Beide kamen aus einer anderen Beziehung, haben aus diesen Zeiten Kinder, aber die sind inzwischen erwachsen und aus dem Haus. Näher kamen sie sich – na, wo wohl? – im Karneval. Melanie war Präsidentin der Närrischen Marktfrauen, er kam bei dieser rein weiblichen Truppe durch Zufall zu einem Amt, das den schrägen Namen Sellerieprinz trägt. Jährlich wird der Sellerieprinz von diesen Damen gekürt, und als Uwe das wurde, kam er auch seiner späteren Ehefrau näher. Was damals weder sie noch er ahnte. Es funkte 2017, die Geschichte dahinter ist emotional ungewöhnlich, sehr privat und soll hier nicht erzählt werden. Geheiratet wurde 2019. Melanie Willer arbeitet in der Werkstatt für angepasste Arbeit und deren Café im Südpark, Uwe ist Immobilienentwickler und hat seine Firma Blackbear genannt: Schwarzbär.

Wer meint, ein gemeinsames Hobby festige eine Beziehung, könnte die beiden als Beispiel wie aus dem Lehrbuch präsentieren: Bei den Willers ist es der Karneval. Um das zu untermauern, öffnet Melanie eine Tür des wandbreiten Einbauschranks: Knapp einen Meter breit ist das Fach dahinter, gut zwei Meter hoch – und dicht voll mit Kostümen in allen Farben. Zwei Leuchtstoffröhren mit dem Schriftzug „Konfetti“ erhellen den Wintergarten.

Natürlich stehen sie dem organisierten Karneval nahe, gehören zur KG Regenbogen und der Prinzengarde Blau-Weiß. Aber vor allem sind sie Teil einer Gruppe von engen Freunden, die vielversprechend firmiert unter „Us de Lamäng“ und, das zeigen Fotos, eine Menge Spaß miteinander hat. Eine sichtlich anarchisch geprägte Combo, gern Streetgang genannt, lediglich im beinharten Willen vereint, Karneval ohne Strukturen zu feiern – us de Lamäng eben. Für Nicht-Rheinländer: Das heißt so viel wie spontan, mal eben so, aus dem Augenblick entstanden, ohne oder unter Missachtung von Regeln.

Wer den Düsseldorfer Karneval lange kennt, wird spätestens jetzt denken: Ob das gut geht? Wie werden aufgeplusterte Generäle à la Suite der Garden, Würdenträger mit hoch erhobener Pappnase, eifersüchtig auf den Proporz bei der Ordensvergabe achtend, wie werden diese leider oft humorlosen Clown-Mutanten auf dieses Paar reagieren? Werden sie akzeptieren, dass nun zwei Menschen das temporär höchste Amt des Winterbrauchtums womöglich anders gestalten, als es bisher üblich war? Nämlich auf eine Art, die sie für richtig halten: ihre! Jedenfalls ist eins klar: Melanie und Uwe werden nach der Session keinesfalls das Gefühl haben (müssen/wollen), irgendwie an Status gewonnen zu haben. Dafür werden sie aber Spaß gehabt und neue Bekannte, vielleicht sogar Freunde kennengelernt haben. Sie brauchen den Job nicht für ihr Ego, sondern sie betrachten ihn als eine gern genutzte Erfahrung, die sie gemeinsam mit möglichst vielen genießen wollen. So oder so: Es wird lustig. Vielleicht sogar nachhaltig.

Denn das Paar hat eine Vision: Den Karneval als Teil der hiesigen Kultur auch Menschen näherzubringen, denen noch nie ein Helau über die Lippen gekommen ist. In den derzeit laufenden Überlegungen für die provisorische Nutzung unterschiedlicher Hallen, Häusern oder anderer Räume für die Zeit des Opern-Neubaus sehen sie eine erste Chance dazu: Warum nicht Karneval und Oper zueinander bringen, einander ergänzen lassen, Gemeinsamkeiten erkennen und präsentieren? Und dabei, für beide Seiten nützlich, vielleicht sogar Kosten sparen oder Einnahmen steigern? Synergieeffekte nennt man sowas, aber im Zusammenhang mit dem Karneval ist der Begriff noch nie verwendet worden.

Ihr Blick aufs so genannte Winterbrauchtum ist liebevoll, weil es ihnen wirklich eine Herzensangelegenheit ist. Und gerade deshalb sehen sie glasklar die seit Jahren vor sich hin schwelenden Probleme. In einer großen Blase stecke das Narrentreiben, ein Verein besucht den anderen, die Fangemeinde ist fest umrissen, aber sie schrumpft aufgrund ihres Alters. Übers Jahr und außerhalb der Community werde man kaum wahrgenommen. Neue Formate müssten her, um der nicht zwangsläufig organisierten Fröhlichkeit eine Zukunft zu bieten. Die liege sicher nicht im uralten Organisieren einer „Sitzung“ mit Musik, Büttenreden, Ordensverleihung und anderen einschläfernden Gewohnheiten zwecks Befriedigung unlustiger Eitelkeiten. Das sei der Versuch, eine eierlegende Wollmilchsau am Leben zu erhalten, aber die sei im Grunde längst tot.

Uwe wird zum Kaufmann, wenn er seine Vision beschreibt: Das Angebot sei kundengerecht zu segmentieren, um mit verschiedenen Konzepten möglichst viele anzusprechen. Akzeptanz und Umsatzsteigerung wäre das. Also hier der reine Vortragsabend mit Büttenrednern und Kabarettisten, dort die Party fürs tanzlustige Volk. Veranstaltungen präzise orientiert an dem, was die Menschen wollen, was naturgemäß höchst unterschiedlich ist. Erfahrungen der letzten Jahre bestätigen das: Steht jemand in der Bütt und ist nicht gerade der absolute Star, wird es bald unruhig im Saal – die Leute hören nicht mehr zu, Unruhe macht sich breit. Dagegen sind die Tanzflächen der großen Bälle meist rappelvoll mit jenen, denen Tanz wichtig ist. Noch anders die Kostümfeste: Events wie der Böse-Buben-Ball haben über Jahre gezeigt, was das dortige Publikum will. Melanie und Uwe glauben zu wissen, was künftig angesagt ist und was man fördern sollte.

Beleibte ältere Herren in Gardeuniform und mit Orden aus Blech gehören eher nicht dazu.

Plakat des neuen Karnevalsprinzen Uwe Willer
Ein Bär als Prinz – Blackbear eben, auf Deutsch: Schwarzbär. So heißt Uwe Willers Firma für Immobilien-Entwicklung. Mit diesem Plakat wirbt er für sein Unternehmen und für seine Prinzenrolle. Motiv: dreimarketing

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