Die Macht der alten Dame – Esther Betz wird 100

Geboren wurde sie 1924 bei Saarbrücken, gehört zur DNA der Rheinischen Post, ist seit Jahrzehnten einflussreiche Frau im Hintergrund des Verlags. Ihrer Familie gehören große Anteile des Unternehmens. Der Vater, Anton Betz, neben Karl Arnold und Erich Wenderoth Gründer der Zeitung nach dem Krieg, starb 1984. Sie übernahm sein Erbe.
Von Hans Onkelbach (Text)
und Andreas Endermann (Foto)
Veröffentlicht am 16. Februar 2024
Esther Betz wird 100 Jahre alt
Esther Betz auf einem Foto aus dem Jahr 2014 vor einem Porträt ihres Vaters Anton Betz. Das Gemälde hängt im obersten Stock des RP-Hochhauses in Heerdt.

Erstmals bewusst gesehen habe ich Esther Betz Anfang der 1980er Jahre. Und zwar im Treppenhaus des damals flammneuen Gebäudes der „Rheinischen Post“ an der Zülpicher Straße in Heerdt. Mit Kollegen kam ich aus der Kantine, und sie sprach uns an – sichtlich erfreut angesichts der munteren jungen Truppe, die bei der Zeitung arbeitete. Ihrer Zeitung. Mich verblüffte und freute, dass sie meinen, der damaligen Mode entsprechend üppigen und tiefschwarzen Schnurrbart lobte.

In den Jahren danach traf ich sie oft. Vor allem, weil ich von 1999 bis 2015 als Lokalchef der RP in Düsseldorf arbeitete, waren diese Begegnungen zwangsläufig. Denn Esther Betz war und ist immer noch durch und durch Düsseldorferin. Sie liebt diese Stadt, beobachtet aufmerksam die Details in Politik, Kultur und Wirtschaft und gab schon immer gerne, aber nicht in der Öffentlichkeit, ihre Kommentare dazu ab. Dass sie die Zeitung, ihre Zeitung, nutzt, um ihren Blick auf die Dinge darzulegen, gar Einfluss zu nehmen, habe ich nie erlebt bei ihr. Die Trennung von Redaktion und Verlag war ihr wichtig.

Was nicht bedeutete, dass sie in internen Runden nicht ihre Meinung sagte. Und die war immer sehr klar. Häufig war ich dabei, wenn sie in den hausintern üblichen Herausgebersitzungen nach Wahltagen auf die Ergebnisse reagierte. Wenn nicht die ihr nahestehende Partei, die CDU, gewann, sondern die Sozialdemokraten vorne lagen, registrierte sie das spürbar verärgert. Grüne sah sie mit Skepsis, Linke sowieso.

Als überzeugte Demokratin akzeptierte sie natürlich das Votum. Auch wenn ihr das Verständnis für manches Verhalten der Wähler fehlte. Geprägt war sie durch ihren Vater. Der war im Krieg von Nazis drangsaliert worden, insofern war ihr jede Form von politischer Radikalität zuwider.

Die Redaktion hatte durch Esther Betz eine starke Rückendeckung, egal, wer sich über uns beschwerte. Denn sie war selbst Journalistin, hatte zeitweise aus Rom berichtet: Von 1962 bis 1965 war sie Sonderkorrespondentin der Rheinischen Post des Zweiten Vatikanischen Konzils. Ihre Nähe zur katholischen Kirche war bekannt. Aus ihrer Jugend gibt es Fotos, auf denen zu sehen ist, wie sie mit einem jungen Theologen namens Joseph Ratzinger eng nebeneinander durch einen Park spaziert. Eine Freundschaft, die ein Leben hielt und ein Kuriosum verursachte: Als ihre Schwester Marlies ihren ersten Sohn zur Welt brachte (Florian) übernahm der inzwischen zum Priester geweihte Ratzinger die Patenschaft, und vergaß das auch nicht, als er auf dem Heiligen Stuhl saß. Papst Benedikt XVI., Pate eines Mannes in Düsseldorf. Vermutlich einmalig.

Vertraut war Esther Betz ebenso mit Karl Kardinal Lehmann. Den späteren Bischof von Mainz traf sie oft, ging mit ihm auf Reisen. Ebenfalls einer der Gründe, warum sie offenbar gut informiert war über die inneren Abläufe des Klerus samt der Grabenkämpfe. Es war faszinierend zu hören, wenn sie – leider nur manchmal – darüber sprach. Wobei sie die vermutlich spannendsten Dinge nie erzählt hat, wie wir mutmaßten.

Ich mag ihren Humor. Als sie mir einst einen Brief schrieb und darin plastisch beschrieb, wie neben ihr im Schauspielhaus ein alter Mann sanft entschlummerte und mit seinem Schnarchen ihren Genuss des Stücks störte, sah ich diese Szene deutlich vor mir. Bis ins hohe Alter fuhr sie selbst Auto. Der von ihr damals bevorzugte 3er BMW sah harmlos aus, war es aber nicht. Unter der Haube steckte ein wuchtiger Sechszylinder. Irgendwie passend: Mehr Sein als Schein.

Diese Frau, zierlich, hochgebildet, mit leiser Stimme, kann man leicht unterschätzen. Sie war zwar meist freundlich, immer aufmerksam und nahm Anteil am Leben vieler Menschen im Verlag. Aber auf der anderen Seite war sie zweifellos ein Machtmensch und Unternehmerin. Als Vertreterin der Familie Betz war sie lange verantwortlich für deren nicht unerheblichen Anteile an der Mediengruppe. Diese Interessen vertrat sie, unterstützt von Vertrauten, dezent, aber gewiss beinhart.

Auch innerhalb ihrer Verwandtschaft: Als sie vor einigen Jahren meinte, die Zeit sei gekommen, für die Zeit nach ihrem Leben vorzusorgen, ordnete sie – unverheiratet und kinderlos – ihr Erbe komplett neu. Sie adoptierte ihren erwachsenen Neffen Florian, womit dieser im Gegensatz zu seinen Geschwistern einen weitaus größeren Anteil und Einfluss erhielt. Ein Schritt, der bei den anderen Familienmitgliedern mit Sicherheit nicht für Begeisterung gesorgt hat. Aber bis auf ein paar bissige Bemerkungen der Betroffenen drang nichts nach außen. Zur Geschäftsführung der für das Betz-Vermögen zuständigen Befa-Beteiligungs-GmbH machte sie die Frau des Adoptivsohns.

Wirklich ungewöhnlich war dieser Schritt übrigens nicht. Adoptionen von Erwachsenen sind in großen Unternehmerfamilien ein durchaus gängiger Trick, um Erbschaftssteuer zu sparen. „Spiegel online“ beschreibt dies hier.

Als die Rheinische Post 2021 den Bruch mit der Gründerfamilie Arnold vollzog, dürfte das kaum ohne ihr Wissen und ihre Genehmigung erfolgt sein. Kühl trennte man sich zunächst vom Geschäftsführer Karl-Hans Arnold und kaufte der Familie Arnold schließlich alle Anteile ab. Ein Schritt, der in den diskreten, dafür umso mehr einfluss- und kenntnisreichen Teilen der Düsseldorfer Stadtgesellschaft erstaunt und auch mit Missbilligung zur Kenntnis genommen wurde. Die Familie von Karl Arnold (gestorben 1958), seinem Sohn Gottfried (gestorben 2015) und dessen Sohn Karl-Hans genoss und genießt hohes Ansehen. Die wahren Gründe für diese Trennung wurden nie offen kommuniziert.

Düsseldorf verdankt Esther Betz viel, auch über ihren Einfluss auf eines der größten Medienhäuser Deutschlands hinaus: Sie leitete über viele Jahre die Anton-Betz-Stiftung der Rheinischen Post. Deren Ziel ist vor allem die Förderung der Heinrich-Heine-Universität, und so hat die Hochschule enorme Summen bekommen – für viele Bereiche, vor allem aber die Medizin ist damit nach vorne gebracht worden.

Zuletzt zog sie sich mehr und mehr zurück, wurde in der Öffentlichkeit kaum noch gesehen, und auch im Verlag immer seltener: Ein langes Leben, hier würde der Begriff „erfüllt“ passen.

Nun wird sie 100 Jahre alt.


Lust auf weitere Geschichten?