Die Lakritz-Boutique

Wer den Laden an der Dorotheenstraße 14 betritt, bleibt länger. Sie oder er nimmt sich ein Papiertütchen und schleicht an dem Regal mit den vielen Gläsern entlang. Wählt eine Zange, schraubt einen Deckel ab, greift ein paar Süßigkeiten und hebt sie ins Tütchen. Der Deckel kommt wieder drauf, der Kopf bewegt sich ein wenig in jede Richtung, dann hat sie oder er das nächste Glas gefunden.
Es ist ein ganz normaler Mittwochnachmittag, an dem ich die Kund:innen in der Lakritz-Boutique beobachte. Sie haben eine Gemütsruhe, die nicht aus dieser Zeit zu stammen scheint. Die Szenen ähneln dem Besuch eines Büdchens vor einigen Jahrzehnten, als man sich sehr langsam für die Zutaten der gemischten Tüte entschied und die Nerven des Mannes mit der Zange reichlich dehnte. „… und dann noch für 20 Pfennig …. von den … Salinos.“
In Flingern gibt es auch Männer, die helfen, in aller Regel aber mündlich. Die neuen Besucher:innen möchten wissen, wie etwas schmeckt und bekommen Anhaltspunkte. Stammkund:innen fragen, ob sie eine Süßigkeit schon mal hatten. Wobei sowohl Ja als auch Nein ein Argument dafür ist, etwas in die Tüte zu packen.
Die Lakritz-Boutique ist der Ort, an dem Düsseldorfer:innen einen Geschmack wieder entdecken, den viele lange vergessen hatten. In ihrer Kindheit aßen sie Schnecken oder Salinos, führten dann aber ein lakritz-freies Leben. Dass man es überhaupt vermisst hat und wie sehr man es mag, merkt man erst, wenn man am Regal das Probieren beginnt.
Bei Inhaber Sebastian Marczinzik war das anders. Er hat sich früh an Scharfes gewöhnt. Wenn er als Kind erkältet war, lutschte er Salmiakpastillen und alles war wieder frei. Heute verkauft der Mann Dinge, die einem die Schleimhäute einmal nach außen zu biegen scheinen – unabhängig davon, ob man krank ist oder nicht. Freundlicherweise sind die Salz-Schocker als Totenköpfe geformt und lassen einen zumindest ahnen, was gleich passiert.

Neben den Extremfällen gibt es Lakritz in Flingern aber auch süß, sauer, hart, weich, schokoladig, würzig, flüssig. Rund 500 verschiedene Darreichungsformen von Süßholzwurzel findet man an der Dorotheenstraße inzwischen – mit drei Schwerpunkten:
- Kugeln mit Schokoladenhülle: Das klingt für eine Lakritz-Boutique zunächst irritierend. Der Stoff, aus dem die Kindheitserinnerungen sind, steckt im Kern der Kugeln, die etwa so groß wie eine Marzipankartoffel sind. Zwischen Schokolade außen und Lakritze innen packen die Hersteller alle erdenklichen Geschmacksrichtungen: Salz und Karamell, Himbeere oder Maracuja, Rosmarin, Chili und Algen. Während man bei Wein und Whiskey als Laie die Geschmacksnoten nur ahnen kann oder so tut, als ob, sind sie hier gut zu erkennen – und trotzdem neu und spannend.
Schokoladenkugeln mit Lakritzkern klingt nach einer Nische. Tatsächlich aber kommen sie von zahlreichen Herstellern und keiner von ihnen findet beim Kreieren eine Bremse. Preislich bewegt sich das Ganze in der Pralinen-Liga, ab zehn, zwölf Euro aufwärts, und schnell rauf bis zu 25. - Lakritz mit Büdchen-Erinnerungsfaktor: Das ist der Teil mit dem Regal voller Gläser und den nicht lange leeren Tütchen.
- Lakritz zum Trinken: Liköre mit Süßholzgeschmack haben in Düsseldorf eine wichtige Wurzel. Die Kreuzherrenecke in der Altstadt etwa ist berühmt für ihren Salmiakki, den Sebastian Marczinzik sehr schätzt und lobt. Die heimische Spezialität hat im Geschäft einige Mitbewerber aus Europa und aus der Nachbarschaft. Im Ruhrgebiet werden Lakritzliköre offensichtlich gern genommen. Vielleicht liegt es an der Farbe.
Neben alledem stehen auf den Tischen und Regalbrettern noch jede Menge Produkte, die ihre eigene Kategorie bilden, von der Lakritz-Zahnpasta bis zum Eis. Von Läden mit einem solchen Sortiment gibt es in Deutschland ein knappes Dutzend, in Düsseldorf ist die Boutique der erste Fachhandel seiner Art. Echte Fans fuhren bisher mindestens in die Niederlande oder importierten gleich aus Skandinavien. Dort gibt es quasi an jedem Rastplatz eine Süßholz-Station, an der man sich für die Weiterfahrt eindecken kann.
Und genau solch ein Angebot wollte Sebastian Marczinzik hier schaffen. Er hat lange als Vertriebler gearbeitet, vermutlich erfolgreich, denn er wirkt wie ein Typ, der auch Klimaklebern einen SUV verkaufen könnte. Bevor er sein eigenes Unternehmen startete, hat er in Ruhe Produkte studiert, kennt und nennt jede Zutat und Geschmacksrichtung, ist weiter neugierig auf Erfindungen und muss nur manchmal aufpassen, dass seine Wünsche und seine Lagermöglichkeiten noch zusammenpassen. Palette und Persönlichkeit haben eine bemerkenswerte Nebenwirkung: Trotz einer Online-Boutique verkauft Sebastian Marczinzik mehr Lakritz im Geschäft als im Internet.
Dass reichlich Menschen entdecken, was ihnen fehlte, ohne dass sie es wussten, zeigen auch die Tasting-Termine, die regelmäßig an der Dorotheenstraße stattfinden. Der Boutique-Betreiber wollte eigentlich nur mal ausprobieren, wie es ist, wenn die Kund:innen gemütlich sitzen und er für sie durch den Laden geht und Dinge zum Probieren aussucht. Die Nachfrage war aber riesig und ist seitdem nochmal gewachsen, so dass er heute schon ankündigen muss, wann er neue Termine ankündigen wird. Das wird übrigens im Oktober sein – für die Daten ab Mai 2024.
Adresse und Öffnungszeiten
Lakritz-Boutique, Dorotheenstraße 14, Telefon 0211 50947833, geöffnet: Montag bis Freitag 11 bis 19, Samstag 11 bis 16 Uhr; Internetseite: www.lakritz-boutique.de
Weitere Eindrücke aus der Lakritz-Boutique von Andreas Endermann


