Als Madonna mal im Malkasten feierte

Kürzlich habe ich eine Kolumne über den von Rainer Wengenroth (72) ins Leben gerufenen Party-Wanderzirkus „Macht der Nacht“ geschrieben, der ab 1986 durch Deutschland tourte und nach der Station im Düsseldorfer Hafen 1991 in Paris endete (hier nachlesen). Im Interview gewährt der „Zeremonienmeister der Düsseldorfer Partyszene“ (Rheinische Post) einen Blick hinter die Kulissen – von seinen Ausgehanfängen als Teenager über das Nachtleben der Neunziger bis hin zum Boom des Medienhafens um die Jahrtausendwende.
Als Solinger hätten Sie ausgehmäßig auch in Köln landen können. Wie kam es, dass Sie sich Richtung Düsseldorf orientierten?
Wengenroth: Eigentlich war das eher Zufall. Solingen liegt ja mehr oder weniger in der Mitte. Mein Jugendzimmer in der elterlichen Wohnung war in einem höheren Stockwerk, und da konnte ich bei gutem Wetter sowohl die Düsseldorfer als auch die Kölner Skyline aus dem Fenster sehen. Als meine Freunde und ich Mitte der Sechziger begannen, die umliegenden Großstädte zu entdecken, haben wir am Solinger Bahnhof den Zug nach Düsseldorf genommen – und nicht den nach Köln. Und da sind wir dann dabei geblieben …
Wie waren die ersten Ausgeh-Erfahrungen?
Wengenroth: Als ich 18 war und den Führerschein hatte, sind wir zwei bis drei Mal die Woche nach Düsseldorf gefahren. Das war um 1969 rum. Meistens starteten wir im „Domino“, das war eine kleine Altstadt-Kneipe, die von zwei jungen Gastronominnen mit starker Affinität zur Kunst geführt wurde: Carmen Knoebel, die Mitte der Siebziger den „Ratinger Hof“ übernahm. Außerdem Katharina Sieverding, die ja auch im „Creamcheese“ hinter der Bar gearbeitet hat. Das „Creamcheese“ an der Neubrückstraße war dann meist die nächste Station unserer Tour. Oft feierten wir auch im „Mora´s Lost Angels Club“ an der Schneider-Wibbel-Gasse. Und zum Schluss landeten wir morgens um vier gerne im „Schwarzen Peter“ – das war ein Café in der ersten Etage, an der Ecke Bolkerstraße/Mertensgasse, das bis früh morgens aufhatte. Da gab es dann Kirschkuchen vor der Fahrt zurück nach Hause.
Inwiefern hat diese Zeit Sie als Gastronom geprägt?
Wengenroth: Diese spezielle Verbindung von Kunst und Nachtleben und die Rolle der Kunstakademie – das haben wir als junge Solinger damals noch nicht so wahrgenommen. Dennoch war ich bereits als 18-jähriger vom „Creamcheese“ extrem beeindruckt. Und diese Erfahrung hat mich auch später bei meinen gastronomischen Projekten beeinflusst. Das „Creamcheese“ war wegweisend. Die hatten schon Ende der Sechziger all das, was in den Discotheken weit später zum Standard wurde: Stroboskope, Projektionen, Videoinstallationen. Später kulminierte das ja in der House- und Techno-Kultur.
Als junger Mann hatten Sie mit der Gastronomie aber nichts am Hut?
Wengenroth: Ich komme aus einer Gastronomenfamilie, und schon meine Großeltern hatten ein Restaurant in Solingen. Insofern habe ich quasi die Brause und das Bier und den Wein im Blut. Ich wollte aber zunächst andere, eigene Wege gehen. Also habe ich an der Fachhochschule in Düsseldorf Sozialarbeit studiert. Wir erlebten damals, nach 1968, eine sehr politische Zeit. Einerseits waren wir musikalisch und modisch durch Flower Power und die Hippiebewegung geprägt – Ton Steine Scherben, King Crimson, Soft Maschine, mit den Beatles, den Stones, Pink Floyd und Frank Zappa als Basis. Andererseits gab es in Deutschland eine radikale antikapitalistische Strömung. Ich war Teil davon, sympathisierte Mitte der Siebziger mit der maoistischen KPD/AO, deren Bezirksbüros an der Hüttenstraße und später an der Erkrather Straße waren. Deren Angliederung war wiederum die „Liga gegen den Imperialismus“, mit mir als Bezirksvorsitzenden. Da traf man auch viele aus der Kunstszene, etwa Erinna König. Auch Jörg Immendorff kannte ich aus diesem Umfeld. Der war damals unser Promi- und Vorzeigekünstler. Seine Malerei war ja zu der Zeit auch Agit-Prop.
Ihr Weg zum Gastronomen führte also über Umwege.
Wengenroth: Letztlich hat der Circus Roncalli mein Leben verändert. 1981 ließ ich mich überreden, in Köln eine Vorstellung anzuschauen. Nichts in der darstellenden Kunst hatte mich zuvor so fasziniert wie diese Mischung aus Theater, Comedia dell´arte und nostalgischem Zirkus. Zur „Reise zum Regenbogen“ pilgerten Anfang der Achtziger Kunstschaffende aus aller Welt, um die fundamentalen Änderungen von Stil und Inszenierung später aufzugreifen oder zu kopieren. 1983, als ich in München lebte, sprang ich kurzfristig ein und übernahm Roncallis „Café des Artistes“ als Pächter – bis zum Ende der Saison 84. Mit meinen Zirkuskollegen Johannes Schiffke und Willi Wermelt entstand dort die Idee einer Disco im Zirkuszelt: die „Macht der Nacht“.
Mit dem Konzept machten Sie ab 1986 zunächst in Köln, dann in Berlin, München, Hamburg und 1990 auch in Düsseldorf Station. Presse und Partyszene waren begeistert. Der Musikexpress ließ sich in einem Artikel über den von Ihnen mit angestoßenen Trend der Zelt-Discos gar zum Wortspiel „Wengenroth macht Wangen rot“ verleiten. Was war aus Ihrer Sicht das Besondere an der „Macht der Nacht“?
Wengenroth: Wir waren die einzigen, die wie ein Zirkus von Stadt zu Stadt reisten. Und auch durch die Auftritte von Artisten im laufenden Club-Betrieb hatten wir ein Alleinstellungsmerkmal. Eine Art Multi-Media-Roadshow. Mit WestBam hatten wir einen DJ, der als erster durchgehend House spielte und in Insider-Magazinen wie Frontpage bereits seine Visionen von elektronischer Musik als Massenbewegung ausbreitete. Wir hatten die Kunst- und die Gay-Szene mit im Boot und sprachen gleichzeitig ein breites Publikum an. Und wir wollten’s krachen lassen: Oft genug haben wir fast das komplette Eintrittsgeld eines Abends – fünf Mark in Berlin, zehn im Rest der Republik – in die Shows gesteckt. Hinzu kam: In der zweiten Hälfte der Achtziger Jahre schienen die ärgsten Schrecken von Aids überwunden. Eigentlich haben wir bei der „Macht der Nacht“ immer diesen „G-Punkt“ gesucht, wo das ganze Zelt in aprubtiver Begeisterung versinkt. Und um noch mal auf den ironischen Slogan im Musikexpress zu kommen: Dabei wurden dann eben auch die Wangen rot …
Sie erwähnten die Videoinstallationen des „Creamcheese“ als Inspirationsquelle. Wie zeigte sich das bei der „Macht der Nacht“?
Wengenroth: Wir haben im Zelt mit Peter Rubin gearbeitet – ein in den Niederlanden residierender Amerikaner. Damals war er noch nicht so bekannt, heute gilt er in der Videokunst als Pionier. Vor ein paar Jahren ist er verstorben, und seinen Nachlass verwaltet ein Museum in Amsterdam. Rubin projizierte mit riesigen Pani-Dia-Projektoren alles Mögliche an die 2000 Quadratmeter große Decke, er nutzte aber auch kleine Leinwände und Kabinen. Das waren eigene Computer-Animationen von ihm, zum Beispiel pulsierende Grafiken, außerdem zerkratzte Schmalfilme und 16mm-Material mit den erforderlichen Projektoren. Er verwendete aber auch ausgesuchte Videos anderer Künstler wie dem Duo Fischli/Weiss, die heute in Museen zu sehen sind. Peter Rubin war danach lange Jahre fester Bestandteil der Projektionsshows bei der „Mayday“ und anderen großen Raves. Er schuf jede Nacht eine hochsensible Mischung aus psychedelischen Animationen, Absurditäten und Banalitäten – all das mit feinem Gespür für die Stimmung im Publikum und in Korrespondenz zur Musik von WestBams Label Low Spirit.
„Die Macht der Nacht“ als Türöffner für die in den 1990ern boomende Techno-Szene?
Wengenroth: Wir haben das alles natürlich nicht erfunden, aber wir haben es wiederentdeckt. Das Stroboskop mussten wir anfangs sehr reduziert einsetzen, weil immer wieder Leute mit epileptischen Attacken kollabierten. Das hat sich später gelegt, weil eine Gewöhnung einsetzte. Zu Beginn der Neunziger war das Stroboskop dann „der“ Lichteffekt in Techno-Clubs wie dem „Tresor“ und wurde stilbildend für die folgenden Jahre. Die Inspirationen waren aber nicht nur technisch: Für das Happening rund um den Dancefloor haben wir uns zum Beispiel an der Open-Air-Disco „Ku“ auf Ibiza orientiert. Die hatten Gogo-Tänzerinnen- und Tänzer, und das war in Deutschland, als wir starteten eigentlich schon wieder out, nachdem Gogo-Girls in den Siebzigern und frühen Achtzigern auch in Mainstream-TV-Sendungen wie „Beat-Club“ und „Musikladen“ zu sehen gewesen waren. Und auch die Clowns auf Stelzen, die durch den Club spazieren, waren durch Ibiza inspiriert, wo die PR-Crews der Clubs abends wild und sexy kostümiert durch die Gassen zogen, um auf ihre Partys aufmerksam zu machen. Bei uns waren die Stelzenleute dann eben direkt ein Teil der Party im Club. Wir konnten sie ja schlecht auf Tour durch die Fußgängerzone schicken …
WestBam schreibt in seiner Autobiographie „Die Macht der Nacht“ über Sie: „Er schien sich was zu trauen.“
Wengenroth: Einige meiner Projekte waren hochriskant. In diesem Fall hatte es noch nie zuvor eine reisende Zirkusdisco gegeben. Entsprechend schwierig war die Genehmigungslage in den verschiedenen Städten. Überall gab es mindestens einen Nachbarn, der uns mit Lärmbeschwerden quälte. In Berlin mussten die Besitzer der Kudamm-Discos ruhiggestellt werden, weil ihre Läden leergefegt waren, in Paris gerieten wir zwischen die Fronten einer sozialistischen Präfektur und des gaullistischen Arrondissement-Bürgermeisters. Tokyo, wo wir nach Paris eine weitere „Macht der Nacht“-Saison dranhängen wollten, wurde gecancelt, weil man auf dem angemieteten Gelände bei Kabelarbeiten Siedlungsreste fand und das Areal zum archäologischen Sperrgebiet erklärt wurde. Die erheblichen Vorinvestitionen waren verloren, die vereinbarte Konventionalstrafe wurde von den japanischen Partnern nie gezahlt. Ich habe Jahre gebraucht, um mich von dem Rückschlag zu erholen. Ich glaube, meine Risikobereitschaft hing weniger von den Zeiten als von meinem Alter ab. Zwischen 30 und 50 „traut man sich was“, Kraft und Zuversicht sind in dieser Lebensspanne am größten.
Für das Düsseldorf-Gastspiel der „Macht der Nacht“ arbeiteten Sie mit Jochen Hülder, dem Manager der Toten Hosen, zusammen. Daraus ergab sich dann später eine Art gastronomisches „Erbe“ des Projekts.
Wengenroth: 1993 rief mich Jochen Hülder in München an. Er erzählte, dass er vom damaligen Künstlervereinsvorsitzenden Klaus Rinke die Gastronomie des „Malkasten“ angeboten bekommen habe und fragte, ob ich mitmachen wollte. Damals gab es in dem Gebäude noch keinen Club. Ich habe quasi am nächsten Tag die Projekte in München abgegeben. Wir haben zwei Jahre lang renoviert, und am 13. August 1995 war die Eröffnung. Zunächst gab es nur Bar und Restaurant, im Sommer 1997 kam der „Club 1848“ im Keller-Gewölbe hinzu.


…, der nach dem Malkasten-Gründungsjahr benannt war und schnell zum Hotspot des Düsseldorfer Nachtlebens avancierte.
Wengenroth: Da kam einiges zusammen, was einfach passte. Mit entscheidend waren natürlich auch historische Bedeutung und Eleganz des Malkasten-Gebäudes. Diese Aura war perfekt für einen Szene-Laden. Außerdem hatten wir stadtbekanntes Personal im Service – zum Beispiel die Bar-Frauen Julia Renzel und Uta Wallstab sowie Sefa Uzman, der heute das „Canoo“ am Rheinpark betreibt, und Robert Potthoff, heute Chef der „Bar Ellington“. Und auch die lokale Presse berichtete. Unter den Gästen waren viele Akademiker, viele Leute aus der Kunst- und Werbeszene. Also im Prinzip die bourgeoise Bohème – unprätentiöser als zum Beispiel das Stammpublikum im „Ars Vivendi“, aber eben doch stylish. Dazu kam auch jüngeres Publikum aus der Party-Szene, aber keine Teenager und keine Raver. Durch die Türpolitik haben wir den Hype dann noch ein wenig angeheizt. Zum Beispiel, indem wir auch mal eine Gruppe von vier gestylten Blondinen, die dachten, sie könnten bei uns problemlos reinmarschieren, aufgehalten haben. Die haben dann an sich runter geschaut und gedacht: Wie kann das sein? So was sprach sich rum, und das machte es natürlich umso interessanter. Wobei letztlich reinkam, wer sympathisch und/oder außergewöhnlich war. „Dicke Hose“ war nicht angesagt.
Welche Rolle spielte die Musik in diesem Konzept?
Wengenroth: Unser Resident Stefan Bock spielte einen Sound, der perfekt auf das Publikum zugeschnitten war und wesentlich zum Erfolg beigetragen hat. Elektronisch, aber nicht zu sehr. Populär, aber nie plump-kommerziell. Viel Vocal-House und zwischendurch auch mal ein Klassiker, etwa Jamiroquai. Unter der Woche haben wir für Special-Events manchmal auch bekannte Namen wie DJ Hell oder WestBam gebucht. Und wenn es passte, haben wir Veranstaltungen nach oben, in den Theatersaal verlegt – etwa bei einem legendären Gig des österreichischen Duos Kruder & Dorfmeister, die in der zweiten Hälfte der Neunziger im Zuge der Chillout-Welle berühmt wurden. Diese Bookings waren das Steckenpferd meines Partners Jochen Hülder, der versuchte, aufstrebende Acts in den Malkasten zu bringen.

Es gibt so einige in Düsseldorf, die sich an einen Abend erinnern, an dem Madonna samt Entourage als Gast im Malkasten auftauchte.
Wengenroth: Das war 1998. Madonna wollte mit der Crew ihrer Plattenfirma die Verleihung einer goldenen Schallplatte feiern. Und dann kam das Management auf uns zu. Es gab vorab ein Problem, das wir lösen mussten. Das Restaurant hat ja zwei Ebenen – eine in der Parterre, eine in der Empore. Und dann hieß es: Wir wollen für 30 bis 40 Leute den Bereich auf der Empore reservieren, aber der muss abgeschottet sein, denn Madonna will das Geschehen im Lokal zwar sehen können, aber selbst nicht gesehen werden. Wir mussten also auf der ganzen Breite des Restaurants einen Einwegspiegel aufbauen. Und es durfte vorab auf gar keinen Fall durchsickern, dass sie kommt. Auch Fotos waren nicht erwünscht.
Und im Restaurant hat keiner gemerkt, wer da hinter der Spiegelwand dinierte?
Wengenroth: Das war wirklich eine abgefahrene Atmosphäre, denn das Restaurant war ja gut gefüllt, und durch die Abtrennung ahnten die Leute, dass dahinter gerade etwas Besonderes passierte. Später wollte Madonna mit ihrer Crew auch noch in den Club, und dann kam ihre Security vorher auf mich zu, denn ich stand ja meistens mit an der Treppe zum Gewölbe. Wir haben dann eine der seitlichen Kavernen für sie reserviert. Da hat sie mit ihren Leuten gefeiert, abseits vom Geschehen. Schließlich hat sie es sich aber nicht nehmen lassen, sich mitten unter die Leute zu mischen. Die wiederum haben sich ganz abgeklärt gegeben und so getan, als sei es das normalste der Welt, dass Madonna neben ihnen tanzt. Am nächsten Tag ging dauernd das Telefon, und es meldeten sich diverse Medien. Radio Hamburg wollte zum Beispiel wissen, was Madonna gegessen hatte und ob sie Trinkgeld gegeben hätte. Solche Sachen.
Madonnas Plattenfirma residierte damals in Köln. Warum kam sie überhaupt nach Düsseldorf?
Wengenroth: Sie hatte wohl gehört, das Restaurant im Malkasten sei ein cooler Ort. Und das lag sicher daran, dass der Malkasten von 1997 bis 1999 durchaus auch eine europäische Sensation war. Es gab nur wenige Läden in Deutschland, die da mithalten konnten – und vielleicht auch nur wenige in London oder Paris. Wenn man sich anschaut, wie hier Kunst, Kultur und Historie mit Gastronomie und Nachtleben verschmolzen, dann war das etwas Besonders. Wir hatten beispielsweise eine Aktion, dass jemand für drei oder vier Monate im Restaurant seine Werke präsentierte, und parallel konnten die Gäste das jeweilige Lieblingsgericht der Künstlerin oder des Künstlers bestellen. Da waren dann so renommierte Leute wie Andreas Gursky, Cindy Sherman, Markus Lüpertz oder Günther Uecker dabei.
In der Malkasten-Zeit traf ich auch Jörg Immendorff wieder, der Stammgast im Restaurant und im Club war. Wir saßen oft an der Bar und haben uns gewundert, wie wir zwanzig Jahre zuvor einer totalitären Ideologie wie dem Maoismus aufsitzen konnten und wie viele Protagonisten der maostischen K-Gruppen inzwischen den Marsch durch die Institutionen gemacht hatten
1999 war es dann leider vorbei mit den Club-Nächten im Malkasten.
Wengenroth: Es gab von Anfang an Beschwerden wegen angeblicher Lärmbelästigung. Und dann hat einer der unmittelbaren Nachbarn nicht uns, sondern die Stadt verklagt, weil die seiner Meinung nach unzulässigerweise eine Nachtkonzession vergeben hatte. Damit hat er vor dem Oberverwaltungsgericht in Münster leider Recht bekommen. Nach anderthalb Jahren Club-Betrieb mussten wir daher Ende 1998 umstellen. Laut Ordnungsamt durften wir nur noch Partys ohne Gewinnerzielungsabsicht machen. Also haben wir einfach gesagt: Ab sofort ist der Eintritt frei, und alle Drinks sind umsonst. Auf dieser Basis haben wir noch drei letzte Partys gemacht. Am Ausgang stand eine Vase, und da konnte dann jeder etwas reinschmeißen. Das hat so gut funktioniert, dass wir damit zumindest die Waren und das Personal bezahlen konnten. Zwischenzeitlich hatte allerdings das Oberverwaltungsgericht angedroht, Amtshilfe beim Regierungspräsidenten einzuholen und mit Kölner Polizei den Laden zu schließen, wenn die Düsseldorfer Verwaltung das Urteil nicht vollzieht und hat gedroht, ein Bußgeld in Höhe 100.000 D-Mark gegen die Stadt zu verhängen. Daraufhin kam wiederum der zuständige Rechtsdezernent aus Düsseldorf auf uns zu und sagte: Ich möchte nicht der erste sein, der Kölner Polizisten auf Düsseldorfer Boden dabei unterstützen muss, einen Laden zu schließen. Und damit war die Geschichte des Clubs dann endgültig vorbei. Der Pachtvertrag für Bar und Gastronomie lief aber noch rund zehn Jahre weiter.
Sie haben dann im Medienhafen neu angefangen und dabei 1999 auch mit Jörg Immendorff zusammengearbeitet. Wie kam es dazu?
Wengenroth: Eines Abends kam Immendorff im Malkasten mit der Idee auf mich zu. Sein spektakuläres doppelstöckiges Atelier mit riesiger Glasfront im Chipperfield-Bau an der Kaistraße war gerade ungenutzt, und er wollte dort Partys veranstalten. Das Gebäude gehörte gemeinschaftlich Helge Achenbach, Jürgen Overdieck und Felix Ganteführer, die trotz der unvermeidlichen Abnutzung der Räume nichts dagegen hatten. Auch der Hafen-Koordinator Alfred Dahlmann, verantwortlich für die gesamte Planung des Quartiers, war uns wohl gesonnen. Er hatte eine Mischung aus Medienwirtschaft, Künstler-Ateliers und Gastronomie im Sinn. Dies hat er durch Baulasten beim Verkauf von Grundstücken und Objekten gesteuert. So musste beispielsweise der Bauträger des Wolkenbügels Franziusstraße als Auflage die Integration einer Disco erfüllen. So entstand später das „3001“. Dank Dahlmanns guten Beziehungen zur Verwaltung konnten wir mehr als zwei Jahre in Immendorffs Atelier feiern. Es gab keine Nutzungsänderung und nur eine Toilette. Manchmal kamen am Samstag 600 Gäste. Zur Premiere hat Jörg Immendorff Deko-Elemente und eine Video-Projektion aus seiner Ausstattung der Strawinsky-Oper „The Rake’s Progress“ beigesteuert und war auch selbst dabei. Die Partys waren der Hammer. Die Bohème Bourgeoise der Stadt feierte sich zu den Sounds von Stefan Bock und Chrissi D. Man kam nur mit Einladung oder über die Gästeliste rein. Auch Promis wie Anton Corbijn oder Herbert Grönemeyer schauten vorbei.
Mit Jochen Hülder waren sie dann nach der Jahrtausendwende gleich an mehreren Läden im Hafen beteiligt.
Wengenroth: Als Kompensation dafür, dass der „Club 1848“ zumachen musste, hat uns die Stadt Locations im Medienhafen vermittelt. Das „3001“ habe ich ja schon erwähnt, das war aber noch im Bau. Als 2000 an der Kaistraße das traditionelle Fisch Maaßen an der Kaistraße aufgegeben hat, haben wir die Räumlichkeiten kurzfristig übernommen und den Laden mk-2 genannt – das war ein Wortspiel. Zum einen stand es für „Malkasten 2“, zum anderen war es aber auch eine Hommage an den gleichnamigen Plattenspieler von Technics, der unter DJs als Klassiker gilt. Eigentlich waren die frisch renovierten Räumlichkeiten als eine Art Fischküche-Brauhaus vorgesehen, aber wir haben dann trotzdem einen Club draus gemacht. Die Zwischennutzung war nur für ein paar Monate vorgesehen, lief dann aber letztlich bis 2008.
Die meisten denken, wenn sie heute „mk-2“ hören, an die legendären Partys am Dienstag.
Wengenroth: Wir haben im „mk-2“ mit dem nach den Öffnungszeiten benannten „5nach6-Club“, der später entsprechend in „10nach8-Club“ umgetauft wurde, eine der ersten After-Work-Partys in Deutschland ausgerichtet. Das lief einige Jahre ausgezeichnet. Auch hier legten Stefan Bock und Chrissi D. auf, und manchmal standen die Leute um den Block rum Schlange, um reinzukommen.
Parallel dazu haben Sie ab 2002 die „Harpune“ und das „3001“ mit ins Leben gerufen.
Das „3001“ am Kopf des Hafenbeckens war ein sehr großer Laden, den habe ich mit Jochen Hülder und Berni Lewkowicz betrieben, und im Vergleich zur „Harpune“ an der Speditionsstraße, war er etwas mainstreamiger. Da haben wir zum Beispiel auch Leute wie Howard Donald von Take That als DJ gebucht. Die „Harpune“ mit Kay Schlossmacher als Betriebsleiter war als eher undergroundiger Techno- und Electro-Club konzipiert. Da spielten öfter die DJs von Sven Väths Label „Cocoon“.
Sie stiegen dann bei „mk-2“, „Harpune“ und „3001“ aus und waren einer der Betreiber von „Monkey´s Island“. Der Stadtstrand galt als der erste urbane Beachclub in Deutschland.
Wengenroth: Ich habe innerhalb der Stadt den „Verein“ gewechselt, quasi von „Atlético“ zu „Real“, und fortan mit Helge Achenbach zusammengearbeitet. Im Winter 2001 hatte er die Idee, auf der Spitze der Brache Speditionsstraße Sand aufzuschütten, Schirmchen aufzustellen und Bier zu verkaufen. Als wir im Malkasten darüber sprachen, war ich zuerst nicht begeistert, weil Außengastronomie in den Jahrzehnten davor wegen der unsicheren Wetterverhältnisse anstrengend und risikoreich gewesen war. Ich war in den Achtzigern oft in Goa und auf Ibiza und Formentera, und während meiner Jahre in München liebte ich die bayrischen Biergärten. Schließlich reifte dann die Idee der Kombination dieser Lieblingsorte. Dass wir nach der Eröffnung 2003 einen Jahrtausendsommer mit über hundert Tagen ununterbrochenem Sonnenschein hatten, war ein Glücksfall.
Auch hier war Jörg Immendorff mit von der Partie, steuerte die Affenskulpturen bei.
Wengenroth: Achenbach wusste, dass Immendorff, der ja auch bei uns im Malkasten geheiratet hatte, an einer Serie von Bronzestatuen seines Alter Egos, des Affen, in verschiedenen Größen arbeitete. Es entstand die Idee eines Portals aus turnenden Affen. Die fünf Meter hohe Skulptur schaffte es nicht mehr auf die Insel, ein Exemplar steht heute meines Wissens in Bremen. Immendorff überließ uns das Signe, den trinkenden Affen, gegen eine Beteiligung am Merchandise-Verkauf. Damit war auch der Name „Monkey’s Island“ geboren. Ich atmete auf. Es gab nämlich auch Namensvorschläge wie „Op d’r Spitz“. Nicht auszudenken, wenn sich dort rheinische Brauhauskultur breit gemacht hätte, dann hätte sich das in eine ganz andere Richtung entwickelt. Immendorff, damals bereits schwer erkrankt, beaufsichtigte selbst im Rollstuhl noch die Aufstellung des „Affen mit Malerbaum“, der 2,20 Meter hoch war. Es war sein letzter Besuch auf der Insel.
Heute steht an der Hafenspitze das Hyatt-Hotel. Mitte 2020 war ein „Monkey’s Island II“ im Gespräch: Sie wollten die Mole an der Kesselstraße von der Stadt zwischenmieten, direkt gegenüber dem alten Standort.
Wengenroth: Das ist am passiven Widerstand gescheitert, vor allem von Seiten des Baudezernats unter der Führung von Cornelia Zuschke. Es wurden alle möglichen Barrieren aufgebaut und Gründe angeführt, warum eine Zwischennutzung als Stadtstrand dort nicht möglich sei. Das ist nun auch schon wieder zwei bis drei Jahre her, und bis heute ist vor Ort nichts passiert. Man hätte das Gelände also wunderbar nutzen können, aber es ist offensichtlich nicht gewollt gewesen, obwohl ich in der Sache auch politische Unterstützung hatte. Das hätte ein Aushängeschild für den Hafen werden können. Ich hätte für das Projekt erneut mit Tita Giese zusammengearbeitet, der Pflanzenkünstlerin, und auch mit anderen renommierten Leuten wie zum Beispiel dem gebürtigen Düsseldorfer Maler Christoph Steinmeyer, der jetzt in Berlin und auf Mallorca lebt. Das Ganze hätte also eine künstlerische und eine Düsseldorfer Dimension gehabt. Unser Plan war, dort sogar eine Art Düne aufzuschütten.
Ein „Monkey’s Island II“ ist für Sie inzwischen kein Thema mehr?
Ehrlich gesagt habe ich die Lust verloren, mich in der Hinsicht noch einmal zu engagieren. Ich habe den Eindruck gewonnen, dass in Düsseldorf an den Schaltstellen allzu oft Leute sitzen, die kein Bewusstsein dafür haben, was es der Stadt für einen Gewinn bringt, Orte für die Nahtstellen zwischen Hoch- und Subkultur zu erhalten und zur Verfügung zu stellen. Wobei beim Scheitern der Zwischennutzung der Mole Kesselstraße wohl auch eine Rolle gespielt haben könnte, dass man sich für die Stadtstrand-Container am Rheinufer keine Konkurrenz schaffen wollte.
Düsseldorf ist heute weit entfernt von der Club-Vielfalt zu den besten Zeiten des Medienhafens. Woran liegt das?
Eine bis dahin unvorstellbare Zäsur waren natürlich die Lockdowns ab 2020. Ich habe immer Vollkontakt-Gastronomie gemacht, bei der es weniger ums Essen ging oder um sophisticated Weine – vielmehr darum, Plätze zu schaffen, wo Menschen gemeinsam abfeiern. Und so etwas ist natürlich unterbrochen worden durch die Angst vor Kontakten. Das lagert sich ein in unserem Bewusstsein und hat weiterhin Auswirkungen – ob berechtigt oder nicht. Deswegen glaube ich, dass Großdiskotheken gerade nicht so gefragt sind. Dazu kommt, dass sich die Gesellschaft seit den Nuller Jahren stärker aufgesplittet hat. Ich weiß nicht, ob man hier in Düsseldorf heute noch einen Laden machen könnte, wo 3000 Leute reinpassen, und alle treffen sich zu einem Thema. Klar, es gibt noch einzelne Events oder Party-Reihen, wo so etwas passiert – zum Beispiel „Luft & Liebe“ oder „Strandpiraten“. Aber es passiert eben nicht mehr jedes Wochenende. Was sicher auch eine Rolle spielt: Durch die sozialen Medien und durch Plattformen wie Tinder muss man heutzutage nicht mehr in Clubs gehen, um zu flirten oder einen One-Night-Stand abzugreifen. Die allgemeine gesellschaftliche Entwicklung spiegelt sich also auch beim Ausgehen. Trotzdem glaube ich, dass die Leute prinzipiell weiterhin nach Gemeinschaftserlebnissen streben.
Haben Sie aktuell ein gastronomisches Projekt?
Wengenroth: Ich arbeite jetzt wieder mit Helge Achenbach zusammen. Er wohnt ja am Stadtrand von Kaarst auf einem Bauernhof und hat dort den „Park der Sinne“ angelegt, und ich organisiere die Gastronomie. Dort gibt es einen Biergarten, daneben eine Scheune mit Veranda. Und wir haben für den Sommer diverse Pläne. Unter anderem ein Asado, also ein argentinisches Grillfest, und einen sonntäglichen Kulturbrunch. Dahinter steht der von Helge Achenbach geleitete Verein „Culture Without Borders“. Auf dem Gelände leben geflüchtete Künstler und haben dort ihre Ateliers. Es gibt bereits eine Reihe von Skulpturen auf dem weitläufigen Gelände, eingebettet in große Blumenfelder. Die Samen werden gerade ausgebracht. Um den See in der Nachbarschaft des Hofs entsteht ein fünf Kilometer langer Skulpturenpfad. In zwei bis drei Jahren wird der See den Hof erreichen – und wir haben einen Strand. So schließen sich die Kreise.