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Die bisherige Chefin der Polizei Gelsenkirchen präsentiert sich auch optisch sehr offensiv und kündigt an, frischen Wind ins Rathaus bringen zu wollen. Am 1. August tritt sie ihre Stelle als Beigeordnete an.
Veröffentlicht am 27. Juni 2022
Ernennung Britta Zur
Die neue Dezernentin Britta Zur mit Ernennungsurkunde und ihrem neuen Chef, Oberbürgermeister Stephan Keller. Foto: David Young / Landeshauptstadt Düsseldorf

Eins muss man dieser Frau lassen – Britta Zur weiß, wie man sich in Szene setzt und Botschaften aussendet, auch nonverbale. Wie auf diesem Foto, das die künftige Dezernentin für Sport und Bürgerservice bei Facebook präsentierte, nachdem sie vom Rathaus-Chef ihre Ernennungsurkunde überreicht bekommt hatte: Sie legte das förmlich aussehende Dokument draußen aufs Kopfsteinpflaster, zog ihre hellbraunen High Heels aus, stellte die beiden Schuhe auf das Papier, fotografierte dieses Stillleben und postete das Bild neben ein paar anderen aus der Zeremonie. Klare Botschaft: These shoes are made for meine eigene Gangart, ich pfeife auf Konventionen.

So etwas teilt sie gern und reichlich mit. Einiges davon muss man nicht unbedingt wissen, aber sie kommuniziert es dennoch, sucht und findet die visuelle Präsenz. Offenbar im Bewusstsein, wie wichtig der erste, nämlich der optische Eindruck ist, und dass jeder Mensch von anderen anfangs ausschließlich mit dem Auge wahrgenommen wird. Also sorgt sie dafür, dass es was zu sehen gibt. Möglichst nachhaltig. Was ihr meist gelingt.

So oder so wird sie ein paar Einmaligkeiten mitbringen, man könnte auch sagen: Premieren. 

Eine führende Beamtin mit zehn sichtbaren Tattoos (auf den Armen) und einem unsichtbaren (Platzierung geheim) hat es jedenfalls bis dato nicht geben. Das zu erwähnen, mag nun wieder eine Menge Ärger einbringen bei allen, für die das normal ist oder es zumindest dafür halten – aber das ist es, jenseits jeder Spießigkeit, in diesem Umfeld auf keinen Fall. Egal, ob man das gut findet oder nicht. Bestenfalls ist es erfreulich, weil es womöglich ein Beweis dafür ist, wie sich auch eine eher steife Behörde öffnet. Oder öffnen muss. 

Wobei: Die Behörde wurde natürlich überhaupt nicht gefragt. Die Entscheidung, Britta Zur ein Dezernentenamt anzubieten, ging von der FDP aus. Nach der Kommunalwahl 2020 hatten die Gewinner, CDU und Grüne, der Partei das Vorschlagsrecht für einen Dezernentenposten angeboten. Vor einigen Wochen verkündeten die Liberalen dann, ihre Wahl sei auf die – parteilose – Frau gefallen, die erst knapp drei Jahre zuvor Polizeipräsidentin in Gelsenkirchen geworden war. Der Stadtrat wählte sie dann mit großer Mehrheit. Womit wir bei der nächsten Premiere wären: Dass die Nummer eins einer Polizeibehörde in der Karriere Richtung Rathaus abbiegt, ist mehr als ungewöhnlich. Obwohl sie dort deutlich mehr verdient. 

Das hat einige Spekulationen über diskrete Absprachen und besondere Beziehungen dieser Frau gefördert: Womöglich werde sie demnächst bei einem Neuzuschnitt der Ressorts mehr Zuständigkeiten und vor allem das Ordnungsdezernat in ihre Verantwortung bekommen, wird gemunkelt. Das würde zu der Juristin passen, die Jahre bei der Staatsanwaltschaft Düsseldorf und anschließend eben Chefin im Präsidium Gelsenkirchen war. Oberbürgermeister Stephan Keller wäre es daher auch am liebsten gewesen, Zur würde den glücklosen Düsseldorfer Polizeipräsidenten Norbert Wesseler ablösen. Da dies aber zumindest zeitnah nicht möglich sein wird, der OB Britta Zur aber unbedingt nach Düsseldorfer holen wollte, entschied man sich offenbar für diese Variante. Immerhin bietet das die Chance, Zur demnächst mit dem Thema Ordnung und damit dem nach wie vor ungelösten Problem „Sicherheit in der Altstadt“ zu betrauen.

Kann alles sein, ihrem Ehrgeiz entspräche es, ihrem Selbstbewusstsein und dem Gespür fürs persönliche Marketing sowieso. Jedenfalls ist sie schon heute medial so unübersehbar wie sonst keiner aus der Führungsriege unter Stephan Keller. Facebook, Instagram, Print – Britta Zur flutet alle Kanäle mit Fotos und Statements. Vor allem die sorgsam inszenierte Optik ist ihr wichtig, bis in kleinste Detail. Riesige Kreolen, grellroter Lippenstift, mehr oder weniger dezentes Make-up, kurze Kleider, lange Kleider – ihr Kleiderschrank scheint gut bestückt. Und sie setzt ein, was sie zur Verfügung hat. Dass das planlos geschieht, darf man getrost ausschließen. Zumal sie offen kommuniziert, sich bewusst so zu stylen, wie sie es für gut, angemessen und zielführend befindet. Was auch immer sie damit erreichen will, eins hat sie schon: Aufmerksamkeit. Ihren Ex-Chef, Innenminister Herbert Reul (CDU), hat das nicht gestört, und ihr neuer Boss im Rathaus sieht in ihrer Gegenwart ebenfalls stets so aus, als ob ihm sehr gefiele, wer bald mit ihm arbeitet.

Wie auch immer: Falls der Oberbürgermeister, als überkorrekter Jurist sonst eher ein Fan von Grau in allen Schattierungen, also ein bisschen Farbe um sich haben wollte, ist ihm das gelungen. Im eigentlichen und im übertragenen Sinne. Britta Zur hat passend dazu angekündigt, das Rathaus könne frischen Wind brauchen. Vermutlich meint sie es auch bezogen auf Führungsstil und nicht nur Außenauftritt. Wie solche flotten Sprüche in den Ämtern ankommen, sollte sie sich nach Jahren in der Justiz und bei der Polizei vorstellen können.

Wahrscheinlich jedoch ist ihr das – noch – gleichgültig. Dass sie kurz vor ihrem Amtsantritt am 1. August ein erstes Interview dem, sagen wir: aufmerksamkeitsmäßig sehr exklusiven Düsseldorfer Lifestyle-Blatt „Top-Magazin“ (gehört zur Rheinische Post Mediengruppe) gab, zeugt entweder von völliger Unbekümmertheit oder ist, siehe oben, Teil dessen, was sie kommunizieren möchte. In diesem Fall: Ich spreche, mit wem ich will, und irgendwelche Abwägungen politischer Art sind mir egal. 

Das macht neugierig. Vor allem darauf, ob sie mit ihrem eigenen Anspruch Schritt halten kann. Denn es dauert in diesem Umfeld nicht lange, bis das Aussehen keine Rolle mehr spielt. 

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