Wie sich rechte Burschenschaftler in Düsseldorf vernetzen

Von außen fällt das Gebäude kaum auf. Ein schlichter, weißer Stuckbau, in einer halb von den Ausläufern der Rheinkniebrücke verdeckten Nebenstraße. Lediglich die Flagge am Haus, eine kleine Steintafel und drei Flyer im Fenster deuten auf die Bewohner hin. Ein älterer Mann, der gerade mit einer Frau in die Straße einbiegt, fasst das seiner Begleiterin so zusammen: „Jetzt kommen wir gleich an den Nazis vorbei, pass mal auf.“
In Düsseldorf gibt es insgesamt sechs Studentenverbindungen – fünf für männliche, eine für weibliche Studierende. Es sind alles recht kleine, mitunter skurril wirkende Gruppierungen, die unterschiedlichen Verbänden angehören. Eine von ihnen setzt sich für die Jagdtradition ein, zwei weitere für den katholischen Glauben. Andere verstehen sich als explizit politisch, mindestens eine ist dabei offen rechts. Es ist die Burschenschaft Rhenania-Salingia, die mit dem Stuckbau.
Zwei Tage nach meinem Besuch haben sich dort „Düsseldorf stellt sich quer“ und „Offenes Antifaschistisches Treffen“ für eine Protestaktion angekündigt. Auslöser ist ein Vortrag des Düsseldorfer Anwalts Björn Clemens in den Räumen der Rhenania-Salingia über ein mögliches AfD-Verbot. Clemens ist als Strafverteidiger und Aktivist der rechten Szene bekannt und war einst stellvertretender Bundesvorsitzender der Republikaner. Im Demoaufruf nennen ihn die Veranstalter einen „Nazi-Anwalt“, dessen Vortrag nicht ungestört bleiben dürfe. Clemens ist selbst „Alter Herr“ der Rhenania-Salingia. Ex-Studierende bleiben ihren Burschenschaften so auf Lebenszeit verbunden.
Die Tradition der Burschenschaften geht auf den Beginn des 19. Jahrhunderts zurück. Im Zuge des deutschen Einheitsstrebens sollten die studentischen Zusammenschlüsse der jeweiligen Kleinstaaten zu einem Gesamtkonstrukt zusammengeführt werden. 1815 gründete sich daraufhin in Jena eine Ur-Burschenschaft mit den Grundsätzen „Ehre, Freiheit, Vaterland“. Heute sind die Burschenschaften in Deutschland wieder zersplittert. In den vergangenen Jahrzehnten gab es eine Austrittswelle aus der sich immer stärker offen rechts positionierenden Deutschen Burschenschaft (DB). Noch gibt es offiziell 66 Mitgliedsbünde aus Deutschland und Österreich. Die Rhenania-Salingia ist eine davon.
Die DB veröffentlicht viermal jährlich ihre sogenannten Burschenschaftlichen Blätter. Die aktuelle Ausgabe lässt sich im Internet kostenlos einsehen und gibt einen Einblick in die Gedankenwelt der dort organisierten Gruppen. In der einführenden „Mitteilung der Schriftleitung“ beklagen die Herausgeber „großangelegte Repressionsmaßnahmen gegen das patriotische Spektrum insgesamt“. Im Text „Kampf gegen Burschenschaften“ ist von einer „Einheitsfront“ die Rede, der sich auch die „scheinoppositionelle CDU“ angeschlossen habe. Eine Doppelseite wirbt für Spenden an den vom Verfassungsschutz als rechtsextrem eingestuften Verein „ein Prozent“. Es geht um das Gedenken an die Bombenangriffe auf Dresden im Zweiten Weltkrieg, hier „alliierter Bombenterror“ genannt.
Elisabeth Finke kennt solche Formulierungen zur Genüge. Die in der antifaschistischen Bildungsarbeit tätige Finke ist Expertin zum Thema Studentenverbindungen. Anfang Juni hat sie zuletzt in Düsseldorf zu dem Thema referiert. Sie hat vor allem das lokale DB-Mitglied Rhenania-Salingia genau im Blick. „Die Burschenschaft lässt sich als extrem rechts und völkisch einordnen“, sagt Finke. Die Düsseldorfer Vereinigung ist zwar klein, Finke schätzt sechs aktive Mitglieder und vielleicht 100 Alte Herren, doch sie ist im rechten Spektrum bestens vernetzt. Finke nennt sie eine „Kaderschmiede für die AfD“. Das beste Beispiel dafür findet sich nur einen Kilometer vom Sitz der Rhenania-Salingia entfernt: im NRW-Landtag.
Zacharias Schalley engagiert sich seit acht Jahren in der AfD, bei der Landtagswahl 2022 kandidierte er als Direktkandidat im Rhein-Kreis Neuss und zog über die Landesliste ins Parlament ein. Während seines Studiums der Geschichts- und Politikwissenschaft an der Heinrich-Heine-Universität war Schalley parallel zu seiner Parteikarriere auch in der Burschenschaft Rhenania-Salingia aktiv. Im vergangenen Jahr unterlag er in einem Rechtsstreit um den Entzug seiner Waffenbesitzkarte. Laut dpa ging es dabei wohl auch um seine Rolle bei zwei vom Verfassungsschutz als rechtsextrem eingeordneten Vereinen.
Für Finke ist Schalley das beste Beispiel einer sich abzeichnenden AfD-Linie bei der Rhenania-Salingia. Schalley verfüge über Verbindungen zur Identitären Bewegung. Einer Gruppierung der Neuen Rechten, die zuletzt vor allem durch die „Remigrations“-Pläne ihres langjährigen österreichischen Vorsitzenden Martin Sellner auffiel. Jonas Schick, ein Aktivist der Szene und Herausgeber eines rechten Öko-Magazins soll zudem zeitweise für ihn im Landtag gearbeitet haben. Ich habe Schalley mehrere Fragen zu seiner politischen Einstellung und den Verbindungen zwischen AfD und Burschenschaft geschickt. Die Anfrage blieb unbeantwortet.
Schalley ist nicht der einzige Burschenschaftler im nordrhein-westfälischen Landtag. Nach der Wahl 2022 gratulierte die DB auch den „Verbandsbrüdern“ Hartmut Beucker und Klaus Esser zum Einzug. Der NRW-Landesvorsitzende der „Jungen Alternative“ Felix Cassel ist zudem Mitglied der rechten Bonner Burschenschaft „der Raczeks“. 2019 soll er bewusst mit dem Auto auf Gegendemonstranten zugefahren sein und wurde dafür später zu einer Bewährungsstrafe verurteilt. So berichtete es zuletzt das Recherchenetzwerk Correctiv.
Neben Schalley engagiert sich auch mindestens ein aktueller Aktiver der Rhenania-Salingia innerhalb der AfD. Maximilian Schmitz, laut Impressum verantwortlich für den Internetauftritt der Burschenschaft, wollte 2022 ebenfalls in den Landtag einziehen. Er kandidierte als AfD-Direktkandidat im Wahlkreis Düsseldorf II. Damals distanzierte er sich auf Anfrage der „Rheinischen Post“ offiziell von der Identitären Bewegung, zu der ihm ebenfalls Kontakte nachgesagt werden. Finke schätzt Schmitz ebenso wie Schalley als einen „Wegbereiter“ für die Einbindung ihrer Burschenschaft in die Strukturen der AfD. Auch von der Rhenania-Salingia wollte ich wissen, wie sich die Burschenschaft politisch einordnet und ihr Verhältnis zur AfD beschreibt. Die Anfrage blieb ebenfalls unbeantwortet.
Bei der Einordnung hilft stattdessen ein Blick auf die Rednerliste der Rhenania-Salingia. Dort haben sich in der Vergangenheit neben dem zuletzt vortragenden Clemens noch viele weitere politisch fragwürdige Personen eingetragen. Im Januar war erst der Publizist Benedikt Kaiser zu Gast, dem die „Zeit“ zuletzt ein größeres Porträt widmete. Darin wird beschrieben, wie sich Kaiser vom Neonazi zum Vordenker der Neuen Rechten entwickelte und heute versucht, die AfD weiter zu radikalisieren. Noch einschlägiger wird es beim Blick in die fernere Vergangenheit. 1999 redete der notorische Holocaust-Leugner Horst Mahler in Düsseldorf, 2001 der Wehrmacht-Jagdflieger Hans-Joachim Herrmann, der sich zeitlebens nicht klar vom Nationalsozialismus distanzierte.
Auf Ihrer Internetseite gibt sich die Rhenania-Salingia ein wenig zukunftsgewandter. Dort findet sich ein Vorstellungsvideo mit dem Titel „Nein ihr könnt uns nicht begreifen – der studentische Sonderweg“ und kurzen Einblicken in den Alltag im Burschenschaftshaus. Darin wird die Andersartigkeit der eigenen Idole und Kultur betont, es geht ums Fechten und ums Saufen. Auch das „Frat lives Matter“-Plakat („Frat“ steht für Bruderschaft), eine provokative Anlehnung an die „Black Lives Matter“-Bewegung, ist zu sehen. 2020 hatten es die Burschenschaftler vor ihrem Haus an der Reichsstraße präsentiert. Das Video endet mit einer direkten Interessentenansprache. „Wir sind nicht wie die anderen. Wie ist es bei dir? Bist du wie alle anderen?“
Die Rhenania-Salingia ist nicht die einzige Düsseldorfer Studierendenverbindung, bei der Finke rechte Tendenzen beobachtet. Die Mädchenschaft Loreley bezeichnet sich selbst als politisch ungebundene „Studentinnenverbindung mit musischem Prinzip“. Mitglieder der Verbindung sind allerdings bereits in Imagevideos der Rhenania-Salingia aufgetaucht und propagieren in den sozialen Medien ein sehr traditionelles Frauenbild. „Die Loreley steht der Rhenania-Salingia ideologisch zumindest nahe“, sagt Finke. Auch der zweiten Düsseldorfer Burschenschaft Gothia, die sich ebenfalls auf die Grundsätze der Urburschenschaft von 1815 beruft, attestiert sie eine große Nähe zur Rhenania-Salingia.
Ich habe beide Verbindungen dazu angefragt. Während die Loreley meine Fragen unbeantwortet gelassen hat, distanzierte sich die Gothia deutlich von den anderen beiden Verbindungen. „Mit der Burschenschaft Rhenania-Salingia verkehren wir aufgrund ihrer politischen Einstellung nicht. Gleiches gilt für die Mädchenschaft Loreley, da diese nach ihrer Gründung nach unserem Kenntnisstand einen regelmäßigen Kontakt zur B! Rhenania Salingia aufgenommen hat und weiterhin pflegt“, teilt Schriftführer Boris Klug mit. Die Burschenschaft lehne extreme linke und rechte Parteien gleichermaßen ab. „Unsere Bundesbrüder orientieren sich an den bürgerlichen Parteien der eher konservativen Mitte.“ Die Gothia gehört im Gegensatz zur Rhenania-Salingia nicht der DB an.
Während die Gothia nach eigenen Angaben über 33 Mitglieder verfügt, existieren wie für die Rhenania-Salingia auch für die Mädchenschaft Loreley keine offiziellen Angaben zu Aktiven und Alten Herren/Damen. Die Gefahr, die laut Finke von rechten Studierendenverbindungen ausgeht, hänge allerdings auch eher mit ihrer guten Vernetzung zusammen. Es gebe nicht nur zur AfD, sondern auch in konservative Kreise vielfältige Kontakte und sei es nur durch die gemeinsame Begeisterung für Hobbys. Zuletzt war die DB mit einem eigenen Stand auf der Messe „Jagd + Hund“ in Dortmund vertreten, die Anmeldung lief möglicherweise über Düsseldorf. Nebenbei ein Hobby, das den Ausübenden den Zugang zu Waffen ermöglichen kann.
Was also tun, wenn sich vor der eigenen Haustür Burschenschaftler, Identitäre und AfD vernetzen sowie gegenseitig stärken? Außer Protest und Aufklärung sieht Finke wenig Möglichkeiten. „Sie werden diese Leute nicht von ihren Überzeugungen abbringen können. Sie sind radikalisiert.“ Wie das in der Praxis aussieht, musste zuletzt ein Reporterteam der ARD in Bonn erleben. Auch dort trat Björn Clemens vor den rechten Burschenschaftlern der Raczeks auf. Auch dort gab es Gegenprotest. Die Journalisten wurden von zwei mit Totenkopfmasken vermummten Bodyguards des Redners abgefilmt. Auf die Frage eines Kameramanns, ob er nun auch sein Gesicht sehen dürfe, habe einer der Bodyguards nur geantwortet: „Eines Tages sehen Sie das.“
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