Oberbürgermeister ohne Mission

Im inoffiziellen Rennen um den skurrilsten Medientermin des Jahres gibt es 2023 schon früh einen Favoriten. Die Einladung für den 18. Januar lautet: „Oberbürgermeister Dr. Stephan Keller und Willi Verhuven, Inhaber und Vorsitzender der Geschäftsführung von alltours, pflanzen nahe der Tonhalle einen Tulpenbaum und gießen ihn gemeinsam an. (…) Hierzu ist Ihre Redaktion herzlich eingeladen.“
Die anderen Termine des Oberbürgermeisters aus den vergangenen Monaten klingen im Übrigen nicht, als stammten auch sie aus einem Loriot-Sketch. Viele von ihnen haben aber dennoch etwas mit dem Tulpenbaum-Tag gemeinsam: Sie sind vor allem repräsentativer Natur. Stephan Keller empfängt neue Generalkonsul:innen, verleiht Auszeichnungen an verdiente Ehrenamtler:innen, eröffnet den Weihnachtsmarkt, ehrt die Gewinner des Umweltpreises, begrüßt Sternsinger, das Prinzenpaar und den Nikolaus im Rathaus.
Dagegen lässt sich schwer etwas sagen, denn laut Gemeindeordnung haben Oberbürgermeister:innen zwei wesentliche Aufgaben:
1. Sie/Er leitet die Verwaltung, ist also zuständig für alles, was im Rathaus getan wird. Das umfasst die Vorbereitung der Beschlüsse des Stadtrats, seiner Ausschüsse und der Bezirksvertretungen.
2. Sie/Er vertritt die Gemeinde. Das ist gleichermaßen juristisch wie repräsentativ gemeint.
Die letztgenannte Aufgabe erfüllt Stephan Keller wie beschrieben, auch an einer sachgemäßen Leitung der Verwaltung besteht kein Zweifel. In der Praxis einer Kommune kommt allerdings noch eine dritte Aufgabe hinzu, die zwar nicht in der Gemeindeordnung steht, deren Erfüllung aber erwartet wird:
3. Oberbürgermeister:innen setzen die wichtigen politischen Impulse, sie prägen die großen Entwicklungslinien der Stadt.
Zu diesem dritten Punkt ist in Stephan Kellers drittem Amtsjahr wenig wahrzunehmen. Die Frage, was seine Mission ist, was man später mal mit ihm verbinden wird, ist schwer zu sagen. Zwei Reden aus den vergangenen Monaten hätten eine Antwort liefern können: die Vorstellung des städtischen Haushalts und die nicht von ausgeprägtem Hang zur Selbstkritik gezeichnete Zwei-Jahres-Bilanz in eigener Sache (diesen Termin hat mein Kollege Hans Onkelbach hier beschrieben). In beiden Fällen präsentierte der Oberbürgermeister lediglich eine Liste von Maßnahmen und Vorhaben. Düsseldorf investiert in Schulen, Kitas, Infrastruktur, Klimaschutz, Ordnung, Sicherheit und Stadtsauberkeit. In der zweiten Rede kamen noch die Themen Strahlkraft durch internationale Sport- und Musikereignisse, Mobilität, Digitalisierung, neue Oper und Wohnungsbau hinzu.
Es passiert viel, es ist viel geplant. Ein erkennbarer Impuls Stephan Kellers ist vor allem bei einem grundlegenden Lösungsansatz zu erkennen. Der lautet frei übersetzt: Viel Personal hilft viel. Neue Kräfte beim Ordnungs- und Servicedienst der Stadt sollen für mehr Sicherheit sorgen, neue Mitarbeitende in der Bauaufsicht für zügigere Abläufe.
Die Frage nach der Mission aber blieb nach den beiden Reden offen. Die Leidenschaft des Rathauschefs scheint eher der Länge der Listen zu gelten als einem der darauf genannten Ziele. Ich habe deshalb die großen Themen noch einmal im Detail analysiert. Welches eignet sich, auch in einigen Jahren noch mit dem heutigen Oberbürgermeister verbunden zu werden? Die folgenden kommen in Betracht:
Sicherheit: Als früherer Ordnungsdezernent hat sich Stephan Keller im Wahlkampf und früh in seiner Amtszeit profiliert. Land und Stadt haben eine Reihe von Maßnahmen beschlossen, um in der Alt- und Innenstadt für mehr Sicherheit zu sorgen. Es sind ein Dutzend Bausteine, die in Kombination Messerstechereien, Überfälle und Wildpinkeln verhindern sollen. Einer dieser Bausteine wurde zum Beispiel gerade auf den Weg gebracht: mehr Beleuchtung an 15 markanten Punkten in der Altstadt.
Dass das Thema Stephan Keller wichtig ist, steht außer Frage. Aber, seit die Liste der Maßnahmen steht, geht es vor allem darum, sie abzuarbeiten. Starke neue Impulse oder ein leidenschaftliches Plädoyer, um die Dynamik aufrechtzuerhalten, sind nicht zu vernehmen.
Klimaschutz und Verkehrswende: Die Kooperation von CDU und Grünen hat dies naheliegenderweise zu einem ihrer zentralen Themen gemacht. 60 Millionen Euro werden pro Jahr für den Klimaschutz investiert. Mit diesen Fragen beschäftigen sich daher inzwischen sogar der Sport- und der Kulturausschuss.
Stephan Keller hat dies zu Beginn der Amtszeit mit dem Satz flankiert, Düsseldorf solle Klima-Hauptstadt werden. Zudem hat er beim Radwege-Bau aufs Tempo gedrückt. Inzwischen ist das Thema Alltag im Rathaus. Das veranschaulicht die Liste mit Projekten zum Klima-Etat für das Jahr 2023 – eine Tabelle in kleiner Schrift, die über drei Din-A4-Seiten geht. Es geht um LED-Beleuchtung, Solar-Anlagen, Fernwärme, Elektrofahrzeuge. Alles richtig und wichtig, aber alles eben kleine Schritte.
Der Klimaschutz und das dafür vorhandene Geld würden sich anbieten, auch mit einem großen Vorschlag Fortschritte zu erzielen. Es besteht allerdings die Gefahr, dass von diesen Fortschritten bei der Kommunalwahl 2025 dann vor allem die Grünen profitieren.
Wenn es um die eigenen Wähler:innen geht, vollzieht Stephan Keller bisweilen seine ganz persönliche Verkehrswende: In der Diskussion um die große Radleitroute von Oberkassel bis Gerresheim waren Anwohner:innen zu vernehmen, die um Parkplätze in unmittelbarer Haustür-Nähe fürchten. Denen sprang der Oberbürgermeister mittels Interviews in der „Rheinischen Post“ zur Seite. Und das politische Vorhaben, den knappen Parkraum neu zu bewirtschaften und zum Beispiel Anwohnerparkausweise teurer als rund 30 Euro zu machen, setzte Stephan Keller im Alleingang „bis auf Weiteres“ aus.
Schuldenfreiheit: Corona und die finanziellen Folgen des Ukraine-Kriegs haben in der Stadtkasse deutliche Spuren hinterlassen. Düsseldorf muss wieder Kredite in hohem Maße aufnehmen, das „Sparbuch“ (Ausgleichsrücklage) leert sich. Wenn dies so weiter geht, wird der Etat bald wieder genehmigungspflichtig sein, muss also der Bezirksregierung vorgelegt werden.
Die Schuldenfreiheit war lange Zeit eine der großen Vorzüge Düsseldorfs. Sie wieder mit großer Kraft anzustreben, wäre für einen Oberbürgermeister eine ideale Mission. Für Stephan Keller bisher nicht. Der für 2025 angestrebte strukturelle Haushaltsausgleich müsse nach hinten verschoben werden, sagte er im September. Auf meine Frage, welcher Zeitpunkt damit gemeint sei, antwortete er, er wolle dazu keine Jahreszahl nennen.
Wohnungsbau: Hohe Mieten und Immobilienpreise bleiben trotz der Zinsentwicklungen bestimmend in Düsseldorf. Für bezahlbaren Wohnraum zu sorgen, ist demnach ebenfalls ein Thema in der Größenordnung einer echten OB-Mission. Stephan Keller kümmerte sich wie beschrieben um das Projekt „Stärkung der Bauaufsicht“ und ein Zeichen gegen Immobilien-Spekulationen. Die Stadt setze vermehrt auf verlässliche Unternehmen „wie Genossenschaften, gemeinwohlorientierte Wohnungsunternehmen und etablierte Partner“.
Abermals Schritte, an deren Richtigkeit niemand zweifelt. Stephan Keller kündigt dennoch kein großes Ziel an – zum Beispiel eine bestimmte Zahl Wohnungen pro Jahr zu bauen, um den Preisdruck zu senken – und er ließ auch hier nicht erkennen, dass dies sein Thema Nummer eins ist.
Oper: Zu Beginn der Legislaturperiode engagierte sich der Oberbürgermeister deutlich für ein neues Düsseldorfer Opernhaus. Alternativen kamen für ihn ausdrücklich nicht in Betracht, zügig sollten ein Ort und ein Entwurf ausgewählt werden. Mittlerweile schleppt sich das Projekt mehr dahin, als voranzukommen. Die Bürger:innen werden zum zweiten Mal befragt, für die möglichen Standorte läuft ein städtebaulicher Wettbewerb.
Ich habe Stephan Keller bei der Vorstellung des städtischen Haushalts gefragt, wie die schlechte Kassenlage die Opernpläne beeinflusst. Gar nicht, sagte er, die Oper tauche ja auch in der mittelfristigen Finanzplanung noch nicht auf. Sie wird also frühestens in der zweiten Amtszeit wieder ein Kandidat für eine Mission.
Fazit
Stadtverwaltung funktioniert nach einem einfachen Prinzip. Im Stadtrat und den weiteren politischen Gremien werden Beschlüsse gefasst, mit deren Umsetzung dann die Verwaltung beauftragt wird. Ähnliche Pflichten für die Dezernate und Ämter ergeben sich aus Entscheidungen des Bundes- und des Landtags. Danach wird das Ganze abgearbeitet, bis ein oder auch kein Ergebnis vorliegt.
Dieses Prinzip hat das Berufsleben von Stephan Keller bis zu seiner Wahl zum Oberbürgermeister geprägt: Er war beim Städtetag, beim Städte- und Gemeindebund, Verkehrs- und Ordnungsdezernent in Düsseldorf sowie Stadtdirektor in Köln.
Das merkt man zum Beispiel besonders deutlich, wenn er die Ratssitzungen leitet. Mit beeindruckendem Tempo und stets fehlerfrei ruft er Tagesordnungspunkte, deren Vorlagennummer und den Titel auf. Im so genannten Schnelldurchlauf fragt er, ob ein Mitglied des Stadtrats über diesen Punkt diskutieren möchte. Ist dies nicht der Fall, lässt er direkt abstimmen und kommt zur nächsten Nummer. Gelingt dieser zügige Fortgang in der Tagesordnung mehrfach hintereinander, ist eine gewisse Zufriedenheit des Sitzungsleiters nicht zu verkennen.
So wie die Ratssitzungen wirkt die Amtszeit. Es gibt eine Menge Tagesordnungspunkte und ein intensives Bestreben, sie mit Häkchen zu versehen. Politik als To-do-Liste.
Stephan Keller kann Verwaltung in allen Spielarten. Aber selbst politische Impulse zu setzen, ist erst seit 2020 Teil seiner Jobbeschreibung. Deshalb verstärkt sich in der Mitte der Legislaturperiode der Eindruck, der amtierende Oberbürgermeister habe vor allem eine Mission: keine Fehler zu machen. Die unterlaufen einem im näheren Umkreis von Tulpenbäumen tatsächlich selten.