OB-Wahl: Grün und Rot brauchen einander, zögern aber noch
Die wichtigste Erkenntnis steht auf Seite 21 am Ende eines langen Satzes. Das Amt für Statistik und Wahlen hat 2020 die Düsseldorfer Oberbürgermeister-Wahl analysiert und sich mit den Unterschieden zwischen der ersten und der zweiten Runde beschäftigt. Mit Blick auf den vormaligen Amtsinhaber heißt es dann: „Rund zwei Drittel der Wählerinnen und Wähler des Grünen-Kandidaten Stefan Engstfeld gaben bei der Stichwahl ihre Stimme für Thomas Geisel ab, 30 Prozent nahmen an der Stichwahl nicht mehr teil.“ Die ganze Analyse finden Sie hier.
Wenn man das umrechnet, bedeutet es Folgendes: Von den rund 42.000 Menschen, die im ersten Wahlgang für Stefan Engstfeld stimmten, gingen 14.000 nicht zur Stichwahl. Das war für Grüne an sich schon erstaunlich, vor allem für Thomas Geisel bitter. In der Stichwahl fehlten ihm zu Stephan Keller rund 25.000 Stimmen.
Dieser Blick in die Vergangenheit zeigt, dass es für die Grünen und die SPD bei der OB-Wahl 2025 auf mehr ankommt als darauf, Bürgerinnen und Bürger für sich zu begeistern. Es wird für die Person, die es in die Stichwahl schafft, auch entscheidend sein, aus der politischen Nachbarschaft Unterstützer:innen zu gewinnen.
Dabei hat sich die Ausgangsposition verändert. Bis 2020 hatten nur die CDU und die SPD ernsthafte Chancen, ihre Kandidat:innen in die Stichwahl zu bringen. Im nächsten Jahr wird es voraussichtlich erstmals einen echten Dreikampf um das höchste Amt der Stadt geben (mehr dazu steht in dieser Geschichte). Die Grünen lagen seit 2019 mit einer Ausnahme bei allen Wahlen vor der SPD. Dass Thomas Geisel noch vor Stefan Engstfeld landete, war seinem Bekanntheitsgrad und einem Amtsbonus geschuldet.
Folglich gehen die Kandidat:innen von Grün und Rot, Clara Gerlach und Fabian Zachel, mit den gleichen Voraussetzungen ins Rennen. Sie fordern den Amtsinhaber Stephan Keller heraus und müssen sich in den kommenden zehn Monaten vor allem darum kümmern, so bekannt wie möglich zu werden. Die Person, die dabei erfolgreicher ist, erreicht die Stichwahl – es sei denn, der jetzige Oberbürgermeister holt schon im ersten Wahlgang eine absolute Mehrheit.
In der Stichwahl kommt es dann wie beschrieben auch auf die Wählerinnen und Wähler an, die in Runde eins für jemand anderen stimmten. Mit der eigenen Klientel allein werden es Clara Gerlach und Fabian Zachel nicht schaffen, Stephan Keller zu schlagen. Grün braucht Rot und Rot braucht Grün. Der logische nächste Schritt erfordert keine Meisterschaft in Verhandlungskunst, sondern lediglich die simple Zusage, dass man für den jeweils anderen eine Wahlempfehlung ausspricht, wenn man es selbst nicht in die Stichwahl schafft.
Auch wenn sie für dieses Bekenntnis noch ein wenig Zeit haben, erscheinen mir die Betroffenen erstaunlich zögerlich. Das hat die folgenden Ursachen:
Keiner will den ersten Schritt machen
Die Wahrnehmung von Stärke spielt in der Politik eine große Rolle. Wenn man an die Spitze des Rathauses will, muss man Führungsqualitäten zeigen und darf sich möglichst wenig Schwächen erlauben. Wenn man erklärt, dass man im Falle des dritten Platzes im ersten Wahlgang jemand anderen unterstützt, könnte das als Zeichen verstanden werden, dass man nicht an eigenen Erfolg glaubt.
Eine solche Sorge kann zur Schockstarre werden. Beide warten darauf, dass der andere den ersten Vorstoß macht. Beide sind nur zu Zusagen bereit, wenn der andere das auch ist. Am Ende bleibt die Frage „Wer zuckt zuerst?“
Angespanntes Verhältnis
Die Beziehung zwischen Grünen und SPD war in der aktuellen Legislaturperiode mindestens kompliziert. Man kam aus einer gemeinsamen Koalition, in der man gut zusammengearbeitet hatte, musste dann aber mit einer neuen Rollenverteilung klarkommen. Die Grünen waren nun die größere Fraktion. Die ausgiebig ausgelebte Freude ihrer Repräsentant:innen an Führungsaufgaben empfanden die Sozialdemokrat:innen als Machtgebaren. Das wiederum verschärfte den Blick für unterschiedliche Vorlieben und Schwerpunkte.
Der Tiefpunkt in dieser Beziehung ist im Stadtrat mittlerweile überwunden. Zwischen den neuen Spitzen der beiden Fraktionen gibt es mehr gemeinsame Ansichten und persönliche Sympathie. Die SPD hat zudem durch ihre Erfolge in der Wohnungspolitik das Minderwertigkeitsgefühl ihrer Niederlage von 2020 überwunden.
Die beiden OB-Kandidat:innen passen zu dieser Entwicklung. Der sozialdemokratische Bewerber Fabian Zachel hat verschiedentlich signalisiert, dass ihm althergebrachtes Freund-Feind-Denken nicht zusagt. Er möchte offen mit allen demokratischen Farben umgehen. Clara Gerlach wiederum hat in ihrer Bewerbungsrede beim Grünen-Partietag überraschend viele soziale Themen genannt, die für die SPD sehr leicht anschlussfähig sind.
Dennoch sind politische Narben und eine Rest-Skepsis geblieben, die eine Annäherung im OB-Wahlkampf erschweren. Und noch einmal verkompliziert wird das Ganze dadurch, dass beide auf ihre Bündnis-Optionen im nächsten Stadtrat schielen.
Der bange Blick auf Oberbürgermeister und CDU
Nach jetzigem Stand werden die Christdemokrat:innen im Düsseldorfer Rat 2025 erneut die größte Fraktion stellen. Eine Koalition oder Kooperation ohne Schwarz erscheint nur rechnerisch möglich. Gemessen an den Ergebnissen der jüngeren Vergangenheit sind aus meiner Sicht zwei Konstellationen denkbar: ein Bündnis aus CDU, SPD und FDP oder die Wiederauflage von Schwarz-Grün.
Entscheidend ist dann die Gemütslage der Christdemokrat:innen. Haben sie die Kooperation mit den Grünen in der jetzigen Legislatur als so stressig empfunden, dass sie sich lieber der Herausforderung eines Dreierbündnisses stellen? Oder ist ein Koalitionspartner im Zweifel immer besser als zwei?
Da Grüne und SPD beide lieber mitregieren, als Teil der Opposition zu sein, ist ihnen diese Lage sehr wohl bewusst – einschließlich der komfortablen Situation der CDU. Beiden merkt man an, dass sie es sich nicht allzu sehr mit den Christdemokrat:innen verderben möchten. Das gilt auch für deren Oberbürgermeister. Bekennt man sich allzu sehr zum Ziel, Stephan Keller ablösen zu wollen, könnte er es einem nachtragen, wenn er wieder gewinnt.
Fazit
Ich habe in diesem Text eine Reihe von Gründen genannt, warum Grün und Rot noch kein Bekenntnis zum OB-Kandidaten der jeweils anderen Partei abgegeben haben. Dennoch wäre dieser Schritt nur logisch. Bewerberin und Bewerber haben ein klares Ziel: Sie wollen Stephan Keller als Rathauschef beerben. Dieses Ziel verfolgt man aber nur konsequent, wenn man damit leben kann, dass man es im Zweifel nicht selbst ist, der ihn ablöst. Das ist dann zugleich ein wirkliches Zeichen von Stärke.
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