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Hendrik Wüst und Mona Neubaur – Er muss, sie will

Die Düsseldorferin ist seit dem Sommer NRW-Wirtschaftsministerin und stellvertretende Regierungschefin. Im Vergleich mit dem Ministerpräsidenten macht sie seitdem den besseren Eindruck.
Veröffentlicht am 10. Oktober 2022
Hendrik Wüst Mona Neubaur
Hendrik Wüst und Mona Neubaur bei der Präsentation des schwarzen-grünen Koalitionsvertrags für NRW am 23. Juni. Foto: Alexander Franz

Am 23. Juni präsentieren Hendrik Wüst und Mona Neubaur den Koalitionsvertrag von CDU und Grünen im Malkastenpark in Düsseldorf. Er spricht knapp acht, sie mehr als neun Minuten. Er guckt wesentliche Teile seiner Redezeit auf die Blätter vor sich, sie blickt so gut wie durchgehend nach vorne. Er setzt oft vor dem letzten Wort eines Satzes eine Pause, was Zuhörende nicht neugierig, sondern ungeduldig macht. Sie baut lange Sätze, in denen sie stets weiß, wo sie sich befindet.

Rund 100 Tage sind seitdem vergangen. Das Bild, das die beiden bei der Vorstellung des Koalitionsvertrags abgaben, hat sich seitdem auf verschiedene Weise bestätigt. Der Eindruck: Er muss, sie will.

Die Ausgangsposition
Die beiden sind aus unterschiedlichen Richtungen ans Rednerpult im Malkastenpark gekommen: Hendrik Wüst ist seit 2005 durchgehend direkt und mit Ergebnissen zwischen 45,8 und 60,7 Prozent in den Landtag gewählt worden. Seit 2017 ist er Mitglied der Regierung, seit Oktober 2021 deren Chef.

Mona Neubaur hatte bis Mai dieses Jahres noch nie einem Parlament angehört, sondern ihre bisherige Laufbahn in der eigenen Partei bestritten. Sie war zunächst Vorsitzende der Grünen in Düsseldorf, ab 2014 auf Landesebene.

Der Ministerpräsident besitzt demnach viel mehr Erfahrung auf den nun für beide entscheidenden Ebenen – aber nur einen vermeintlichen Vorteil. In den genannten Jahren warfen ihn zwei Krisen (zu viel erhaltene Zuschüsse zur privaten Krankenversicherung und die „Rent-a-Rüttgers-Affäre“) zurück. Auf die Aufgabe als Ministerpräsident konnte er sich kaum vorbereiten. Der Weg in dieses Amt war eher mittelfristig geplant, die Ereignisse rund um die unglückliche Kanzlerkandidatur seines Vorgängers Armin Laschet haben diesen Karriereschritt unerwartet beschleunigt.

Die letzten Meter waren dabei von partei-interner Konkurrenz um das Amt geprägt. Hendrik Wüst weiß spätestens seit dieser Zeit, dass er in den eigenen Reihen nicht unumstritten ist. Er muss damit rechnen, dass diejenigen, die sich damals für die bessere Ministerpräsidentin oder den besseren Ministerpräsidenten hielten, diese Ansicht noch nicht aufgegeben haben.

Mona Neubaur ist frei von solchen Lasten. Als Parteivorsitzende erschien sie unumstritten, sogar nach der heftigen Wahlniederlage der Grünen bei der Landtagswahl 2017. Ein Grund: Sie hat vermieden, sich auf Landesebene ein Düsseldorfer Umfeld zu schaffen. Gerade weil um sie herum keine Landeshauptstädter zu finden sind, kann sie auf große Loyalität in Partei, Fraktion und dem grünen Teil des Kabinetts setzen. In den Jahren als Vorsitzende war sie fleißig in NRW unterwegs, hat viel über alle Ecken und Enden des Landes gelernt und zahlreiche wichtige Akteur:innen getroffen. Dabei ist in Ruhe reichlich Substanz entstanden, die sie jetzt nutzen kann.

Die Praxis

Im Alltag erscheint Hendrik Wüst als Präsident und Mona Neubaur als Ministerin. Er empfängt internationale Gäste, gedenkt bedeutender Verstorbener und repräsentierte bis Ende September die Position der Bundesländer als Vorsitzender der Ministerpräsidentenkonferenz. Sie ist weiter viel im Land unterwegs, besucht Unternehmen, spricht bei großen Veranstaltungen und verkündet Programme für die kommunale Energiewende, Cyber-Sicherheit, Gründer:innen-Förderung und eine Einigung zum Kohleausstieg 2030 – acht Jahre früher als ursprünglich vorgesehen. Letzteres gilt als erster echter Erfolg der noch neuen Wirtschaftsministerin.

Ich habe Mona Neubaur in den vergangenen Monaten bei verschiedenen dieser Termine erlebt. Meine Wahrnehmung: Sie hat sich ihre bisherigen Stärken bewahrt und ist mit dem neuen Amt schon ein Stück gewachsen. In Gesprächsrunden erscheint sie neugierig, nimmt sich Zeit fürs Zuhören und kann ihren Gegenübern das Gefühl geben, sie ernst zu nehmen. Dabei gönnt sie sich die „Schwäche“, zuzugeben, Dinge nicht zu wissen und von anderen lernen zu wollen. Hendrik Wüst wirkt dagegen stets, als müsse er schon den Verdacht von Schwächen unbedingt vermeiden.

Als langjährige Anhängerin und Dauerkarten-Inhaberin von Fortuna Düsseldorf kann Mona Neubaur zudem das Eisbrecher-Thema Nummer eins, Fußball, für sich nutzen. Sie diskutiert – je nach Lieblingsverein der anderen Anwesenden – fachkundig oder leidenschaftlich. Den Ministerpräsidenten wiederum kann man sich im Fußballstadion nur auf Sitzplätzen und ohne Zwischenstopp am Fortuna-Büdchen vorstellen.

Die größte Schwäche der Düsseldorferin ist es bisher, manchmal zu viel zu wollen. Dann betont sie einige Male zu oft für eine einzelne Rede, dass etwas der Wirtschaft in Nordrhein-Westfalen nutzt. Oder sie möchte gegen alle verbalen Widerstände der Moderierenden unbedingt alle ihre Punkte loswerden.

Mit Stärken und Schwächen bestätigt Mona Neubaur den Eindruck, dass sie sich in der neuen Rolle treu bleiben kann. Die Veränderungen finden in Nuancen statt und sind auf nachvollziehbare Weise dem Amt geschuldet. Das an der Kleidung festzumachen, mag eine oberflächliche Betrachtung sein, sie funktioniert aber auch im übertragenen Sinne. Mona Neubaur trägt immer noch Schwarz, aber statt Jeans und Lederjacke mehr Hosenanzüge und Kleider. Die Farbe bleibt Rock’n’Roll, der Stil ist jetzt Business.

Ein solches Wachsen am Amt ist bei Hendrik Wüst nicht zu beobachten. Er scheint von dessen Last vielmehr be- und gedrückt zu sein. Als Verkehrsminister erlebte man ihn noch deutlich lockerer, das bescherte ihm hohe Sympathiewerte. Statt sich darauf zu verlassen, scheint er inzwischen von Menschen umgeben, die ihm zum staatsmännischen Auftritt raten. Der liegt nicht in seiner Natur und wirkt oft entsprechend gekrampft.

Die unterschiedlichen Auftritte der beiden spiegeln sich in den Umfrageergebnissen seit der Landtagswahl wider. Hendrik Wüst und die CDU verteidigen ihr Ergebnis von 36 Prozent, Mona Neubaur und die Grünen haben sich von 18 auf 21 Prozent vorgearbeitet.

Die Zukunft
Es ist leicht, als Bildungsminister:in oder Innenminister:in auf Landesebene schlecht abzuschneiden. Es ist dagegen schwierig, ein schlechte Wirtschaftsministerin zu sein. Die wesentlichen Entscheidungen in diesem Ressort werden in Berlin und Brüssel getroffen, für NRW bleibt oft kaum mehr als Symbolpolitik und das Verteilen von Fördergeld. Dieser Vorzug macht das Amt aber schwierig für jemanden, der noch mehr werden möchte.

Genau darin liegt die Herausforderung für Mona Neubaur. Warme Worte bei der Eröffnung von Startup-Veranstaltungen und Digitalisierungs-Konferenzen helfen am Ende wenig. Es braucht greifbare Erfolge wie jetzt beim Kohleausstieg, also Zahlen, die zum Beispiel belegen, wie das Land beim Ausbau der Erneuerbaren Energie und bei der Beschleunigung von Planungs- und Genehmigungsverfahren vorangekommen ist.

Hendrik Wüst hat am 30. September turnusgemäß den Vorsitz der Ministerpräsidentenkonferenz weitergegeben. Damit fehlt ihm nun eine feste Bühne in Berlin. Wenn er dort in den nächsten Jahren punkten möchte, müsste er über kurz oder lang eine Machtprobe in der Partei wagen. Nur wenn er sich in der Union profiliert, gewinnt er bundesweite Aufmerksamkeit, nur dann wird aus den Gedankenspielen um einen Unions-Kanzlerkandidaten Hendrik Wüst mehr als Theorie. Aktuell hat Partei- und Fraktionschef Friedrich Merz den natürlichen ersten Zugriff, Platz zwei der Kandidaten-Rangliste von CDU und CSU belegt Bayerns Ministerpräsident Markus Söder – wenn er die nächste Landtagswahl politisch überlebt.

Für den vorsichtigen Hendrik Wüst ist das ein extra-schwieriges Umfeld, um ins Risiko zu gehen. Sein bisheriges politische Leben hat ihn gelehrt, auf Gelegenheiten zu warten. Die zeichnen sich aktuell eher nach als vor der Bundestagswahl 2025 ab. Dabei kommt Hendrik Wüst sein Alter entgegen. Er ist heute 47, bei der übernächsten Bundestagswahl wäre er Mitte Fünfzig.

Für die kommenden Jahre und die beiden Spitzen der NRW-Landesregierung bedeutet das: Der Ministerpräsident kann vorerst kaum etwas gewinnen, seine Stellvertreterin kaum etwas verlieren. Gelingt es Mona Neubaur, sich auf die beschriebene Weise als Wirtschaftsministerin auszuzeichnen, kann 2025 ein spannendes Jahr werden. Ein nicht völlig abwegiges Szenario: Robert Habeck wird nach der Bundestagswahl Kanzler und braucht dann in seinem Kabinett jemanden, der seine Nachfolge als Wirtschaftsminister antritt. Dafür käme zum Beispiel eine in diesem Ressort erfolgreiche Landesministerin in Frage.

Wenn die Grünen bei der Bundestagswahl nicht so stark werden und ein Wechsel nach Berlin nicht zustande kommt, schadet das Mona Neubaur immer noch nicht. Dann könnte sie bei der Landtagswahl 2026 noch einmal als Spitzenkandidatin antreten – und hätte Chancen, bei der nächsten Präsentation eines Koalitionsvertrags als erste zu sprechen.

Weiterführende Links

Meine Analyse der schwarz-grünen Koalition aus Landesebene

Die Vorstellung des Koalitionsvertrags in einem Video des WDR


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