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Frau Geisel will Oberbürgermeisterin werden

Die Schwester des früheren Düsseldorfer Rathauschefs, Sofie Geisel, tritt in Tübingen gegen den bundesweit bekannten Boris Palmer an. Unterstützt wird sie von der SPD, der FDP und einer freien Liste.
Veröffentlicht am 20. Oktober 2022
Sofie Geisel
Sofie Geisel (50), die Schwester des früheren Düsseldorfer Rathaus-Chefs Thomas Geisel, tritt kommenden Sonntag zur Wahl an. Sie will Oberbürgermeisterin in Tübingen werden. Foto: www.sofiegeisel.de

Sofie Geisel sitzt, unüberhörbar, nicht in ihrem Büro an der Markgasse in Tübingen. Im Hintergrund hört man lachende und redende Menschen, Straßengeräusche, ein Akkordeon spielt und sie geht ein Stück zur Seite, um ungestört sprechen zu können. Wahlkampf-Endspurt an einem Info-Stand der Kandidatin, am Sonntag wird gewählt.

Sofie Geisel will in Tübingen Oberbürgermeisterin werden. Dafür müsste sie den bundesweit bekannten Boris Palmer schlagen. Der ist seit nunmehr 16 Jahren im Amt, und würde gerne noch eine weitere Runde im Amt dranhängen, also weitere acht Jahre. Dass ihm das gelingt, ist durchaus wahrscheinlich, wie auch Geisel einräumt. Aber keineswegs sicher. Er ist schlagbar, meint sie – denn er hat es sich mit seinen höchst umstrittenen Aussagen unter anderem zur Integrations- und Ausländerpolitik nicht nur bundesweit, sondern auch in seiner Heimatstadt mit vielen seiner bisherigen Wählern, vor allem unter den Grünen, gründlich verscherzt.

Ihn rauszuwerfen ging nicht, aber seine Mitgliedschaft ruht bis 2023. Außerdem, ein einmaliger Vorgang, hat die Partei, die mal seine war, eine eigene Kandidatin gegen ihn aufgestellt: Ulrike Baumgärtner, frühere Mitarbeiterin Palmers. Die nennt den sehr präsenten „Parteifreund“ öffentlich „Sonnenkönig“ und würde ihn gern entthronen. Zwei Frauen also, die gegen den von einigen als arrogant und selbstherrlich beschriebenen Palmer antreten.

Eine davon ist eben Sofie Geisel. Mit ihrem Bruder – dem sie sehr ähnlich sieht – verbindet sie jenseits der Familie einiges. Ihr Dialekt ist zwar weniger ausgeprägt, aber der politische Background ist derselbe. „Wir waren immer eine politische Familie“, sagt sie. Schon der Vater war in der SPD sehr aktiv, unter anderem als Vize-Präsident des Landtags in Stuttgart.  

Anders als der an den Rhein abgewanderte Thomas Geisel hat Sofie Geisel zu den Genossen ihrer Umgebung eine gute Beziehung. Sie weiß, wie es um das Verhältnis des Bruders zur Düsseldorfer SPD bestellt war und immer noch ist. Da war am Ende wenig Gemeinsames, dafür viel Groll auf beiden Seiten. Daher ist ihr wichtig zu betonen, man werde von ihr kein schlechtes Wort über die Sozialdemokraten der Heimat hören. Dazu gibt es wohl auch keinen Anlass. Sie verdanke der SPD viel, sagt Geisel. Und sie werde nach Kräften von der Partei unterstützt.

Dennoch taucht das Logo der Partei kaum auf. Das jedoch sei einem anderen Wahlmodus im Ländle geschuldet. Kommunalwahlen und die für die Rathauschefs finden immer getrennt statt. „Die Oberbürgermeisterwahlen sind bei uns immer Persönlichkeitswahlen, es geht weniger um die Partei“ – so beschreibt die 50-Jährige die Lage. Sie hat außerdem den Rückhalt der FDP und der „Tübinger Liste“, einer freien Wählergemeinschaft.

Mit ihrem Bruder habe sie sich schon immer ausgetauscht, und tue das auch weiterhin. Das bestätigt Thomas Geisel: „Sie wäre eine gute Oberbürgermeisterin.“ Da die Geschwister sich hörbar gut verstehen, ist dieses Urteil nicht ganz unvoreingenommen …

Sofie Geisel, die Politologie und Geographie studiert hat, arbeitet derzeit noch für den Deutschen Industrie- und Handelstag in Berlin, möchte aber nach den dort gemachten Erfahrungen nun zurück in ihre Heimatregion und Politik konkret umsetzen. Das ist in der boomenden Stadt Tübingen ähnlich herausfordernd wie in Düsseldorf, die Sorgen sind – zumindest in Teilen – vergleichbar: Tausende neue Jobs sind in den letzten zehn Jahren entstanden, und es mangelt an Wohnraum. Ganz oben in ihrem Wahlprogramm steht daher der Punkt „bezahlbare Wohnungen“. Etliche tausend braucht der Ort dringend, und sie will das umsetzen.

Immerhin ist die Gemeinde wohlhabend, Wirtschaft und Wissenschaft haben sich in Kooperation segensreich ausgewirkt. Allerdings auch mit den – wie in Düsseldorf – negativen Folgen, wie zum Beispiel einer problematischen Verkehrssituation. Viele Pendler kommen in die Stadt, eine Regionalbahn hilft dabei. Deren Ausbau bis in die Stadt versuchte Amtsinhaber Palmer voriges Jahr zu verhindern, konnte sich aber gegen die Bürger, die das anders wollten, nicht durchsetzen. Ein Vorfall, aus dem Sofie Geisel für sich die Schlussfolgerung zieht, dass Boris Palmers Rückhalt bei den Wählern bröckelt.

Ihr persönliches Verhältnis beschreibt sie übrigens als entspannt. Man kennt sich seit langem, traf sich oft im privaten Rahmen, hat dort aber kaum über Politik gesprochen. Dass sie von diesem Mann eine an sich gute Meinung hat, klingt deutlich durch. Was sie aber nicht daran hindert, ihm unbedingt seinen Job wegnehmen zu wollen.  

Weiterführender Link
Zur aktuellen Lage in Tübingen ein Bericht im Südkurier.


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