Lehren aus dem Stimmen-Zuwachs der AfD

Die Neurowissenschaftlerin und Bestseller-Autorin Maren Urner hat in ihrem neuen Buch („Radikal emotional“) einen wunderbaren Gedanken formuliert: „Der vielleicht größte Fehler, den Menschen, die andere Menschen von etwas überzeugen wollen, machen können (…), ist anzunehmen, dass wir eine Art „objektive:r Informationsverarbeiter:innen“ sind. Frei nach der falschen, aber nicht wenig populären Vorstellung: Wenn wir einen Menschen mit genügend Informationen versorgen, wird er schon irgendwann verstehen und auf eine bestimmte Art und Weise reagieren.“
Das Ergebnis der Europawahl hat diesen Satz aus meiner Sicht bestätigt – auch in Düsseldorf. Die Parteien haben gesendet, gesendet, gesendet, mal in Schlagworten, mal ausführlich. Jetzt müssen sie feststellen, dass ihre Botschaften nicht angekommen sind. Die AfD hat hingegen relativ wenige Plakate aufgehängt (und die auch sehr hoch), und trotzdem in der Landeshauptstadt im Vergleich zur vorherigen Europawahl eineinhalb Prozentpunkte zugelegt und 8,4 Prozent erzielt (mehr dazu hier).
Im Vergleich mit weiten Teilen Ostdeutschlands oder mancher Ruhrgebietsstadt ist das noch wenig. Aber in einer wohlhabenden Stadt, die mindestens finanziell keine Schwierigkeiten hat, die Probleme ihrer Bürgerinnen und Bürger anzugehen, muss es ebenso diskutiert werden wie bundesweit. Aus meiner Sicht spielen dabei drei Ebenen eine Rolle:
Die Stadtteile
Die vier Stadtteile, in denen die AfD ihre höchsten Stimmanteile holte, waren Garath, Hassels, Lichtenbroich und Reisholz. Ich habe mir angesehen, wer diese Stadtteile im Stadtrat vertritt, also dort bei der Kommunalwahl 2020 das Direktmandat geholt hat. Sie alle sind in den hinteren Reihen ihrer Fraktion zu finden. Sie haben in den meisten Fällen in dieser Legislaturperiode so gut wie keine Reden gehalten und wenn, dann nicht über Garath, Lichtenbroich oder Hassels gesprochen.
Es geht mir nicht darum, diese Ratsmitglieder für Wahlerfolge der AfD verantwortlich zu machen. Ich möchte damit etwas anderes zeigen: Die Stadtteile haben auf der gesamtstädtischen Bühne keine Lobby. Die Menschen dort fühlen sich nicht gehört. Auch ich kann als Berichterstatter nicht sagen, was die Menschen in den genannten Vierteln bewegt. Sie haben aber ein klares Signal gesendet. Sie wollen gehört werden.
Das ist eine der Lehren dieses Wahlabends. Es geht nicht darum, in die Stadtteile zu senden, senden und senden, was in der Stadtmitte alles beschlossen wird, von dem sie angeblich oder tatsächlich auch profitieren. Es geht darum, ihnen zuzuhören und aus dem Gehörten Politik zu machen.
Der Stadtrat
Die AfD ist mit drei Politiker:innen im höchsten kommunalen Gremium vertreten: Uta Opelt, Wolf-Rüdiger Jörres und Andrea Kraljic. Alle drei sind fleißige Redner:innen, alle drei werden von weiten Teilen des übrigen Rates ignoriert. Nur wenn die Anträge allzu sehr den demokratischen Grundprinzipien oder dem Zusammenleben in einer offenen Stadtgesellschaft widersprechen, hält ein Mitglied einer anderen Fraktion eine Gegenrede. Das Argument: Man möchte der AfD möglichst keine Plattform für ihren Populismus geben.
Nach dem Ergebnis vom Sonntag diskutieren die Fraktionen im Stadtrat nun, ob sie an dieser Haltung etwas ändern und die AfD häufiger argumentativ widerlegen sollen. Die Befürchtung bleibt zugleich, dass man damit wieder eine Plattform schafft.
Meine Einschätzung: Ohne die Bedeutung der Debatten im Stadtrat herabsetzen zu wollen – ihr Einfluss auf Wahlentscheidungen der Düsseldorfer:innen ist überschaubar. In dieser argumentativen Tiefe verfolgen nur politisch sehr interessierte Menschen die Sitzungen und die benötigen dann keine zusätzlichen Argumente. Das heißt: Eine intensivere Beschäftigung mit den Anträgen der AfD ist insofern sinnfrei, als diese nur in einer Blase stattfände.
Wichtig ist aber, dass dort, wo die AfD Grenzen überschreitet, dies deutlich ausgesprochen und klar gemacht wird, dass die Mehrheit des Rates diese Überschreitung nicht akzeptiert. Täte sie das nicht, würde diese Tatsache auch jenseits der Blase Aufmerksamkeit bekommen und im Zweifel den Eindruck vermitteln, eine extreme AfD-Position sei hinnehmbar.
Zugleich hilft auch im Stadtrat mehr Zuhören. Der überwiegende Teil der AfD-Anfragen und -Anträge sind Populismus oder Einzelinteressen der drei Ratsleute. Gelegentlich spiegelt ein AfD-Tagesordnungspunkt aber eine Stimmung in der Stadt wider. Diese dann trotz des Absenders nicht zu ignorieren, sondern die Stimmung früher zu erkennen und in den Austausch mit den Betroffenen zu gehen, kann helfen.
Die Parteien selbst
Dass einige Teile der Stadt keine Lobby haben, ist nicht nur ein räumliches Problem, sondern auch ein soziales. Bestimmte gesellschaftliche Gruppen sind in den Parteien kaum repräsentiert, und es besteht kaum Kontakt zu ihnen. Ich habe in einem Artikel über die Spitzen der hiesigen Parteien schon einmal geschrieben, dass sie zu weit weg vom echten Leben sind. Zu viele von ihnen sind Akademiker, die heute in einem Parlament sitzen oder für den Bund oder das Land arbeiten.
Das schrieb ich nicht, weil ich etwas gegen Akademiker oder Menschen habe, die in staatlichen Institutionen arbeiten. Sondern weil die Mischung nicht stimmt und weil es zu wenig Wege gibt, auf denen Input aus anderen Gruppen dort ankommen.
Da sich das nicht von allein ändert und die Menschen nicht von sich aus kommen werden, müssen die Parteien neue Wege suchen, um sie zu finden. Das Schöne ist: Die nächsten Wahlkämpfe stehen erst ab Spätsommer 2025 an. Es ist jetzt also ein Jahr Zeit, andere Formate auszuprobieren. Also zum Beispiel wie in Wahlkampfzeiten regelmäßig Stände/Kontaktmöglichkeiten in der Stadt aufzubauen – nur ohne Flyer und Programme mitzunehmen. Zwei Ohren reichen.
Fazit
Wenn man das Zitat von Maren Urner nochmal liest und den Gedanken teilt, dann sind die Lehren aus dem Wahlabend meiner Meinung nach die Folgenden. Die Parteien und Fraktionen müssen jetzt nicht näher an AfD-Positionen heranrücken. Sie müssen sich vielmehr öffnen und zuhören – und das an für viele neuen Orten. Anschließend müssen sie gute Politik im Sinne des Gehörten machen. Die gesteigerte Form dieser neuen Beziehung wären stärkere Formen der Beteiligung: Bürgerräte und Bürgerentscheide.
Der Wahlabend mag einen an mehr Mitbürgerinnen und Mitbürgern zweifeln lassen als zuvor. Die Antwort darauf sollte paradoxerweise mehr Vertrauen sein, nicht weniger.
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