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Der vergessene Anschlag

Das Sprengstoff-Attentat am Wehrhahn zählt zu den schwersten Verbrechen der Düsseldorfer Geschichte, hat in der Erinnerung der Stadt aber nicht diese Bedeutung. Die Journalistin Stefani Geilhausen kämpft für einen anderen Umgang und hat jetzt einen großen Text dazu veröffentlicht.

Veröffentlicht am 26. Oktober 2022
Gedenktafel Am Wehrhahn
Diese Gedenktafel wurde zum 20. Jahrestag des Wehrhahn-Anschlags am S-Bahnhof angebracht. Foto: Andreas Endermann

Seit etwa 15.20 Uhr am 27. Juli lässt die Geschichte Stefani Geilhausen nicht mehr los. Am 27. Juli im Jahr 2000. 17 Minuten vorher war am S-Bahnhof am Wehrhahn eine Tüte mit Sprengstoff explodiert, hatte zehn Menschen zum Teil lebensgefährlich verletzt und das Baby im Körper eines dieser Opfer getötet. Gegen 15.20 Uhr erfährt die Polizeireporterin der „Rheinischen Post“ von dem Anschlag.

Stefani Geilhausen ist eine besondere Journalistin. Sie sammelt und speichert Wissen und Details zu ihren Geschichten wie kaum jemand, den ich in unserem Beruf kenne. Zugleich lässt sie Ereignisse näher an sich heran als viele Journalist:innen und hält aus, was damit unweigerlich verbunden ist. Deshalb haben ihre Texte viel Tiefgang und berühren die Lesenden anders als die meisten Stücke, die man in Tageszeitungen und deren Online-Auftritten findet – auch weil Stefani eine herausragende Schreiberin ist, die 2004 mit dem Theodor-Wolff-Preis ausgezeichnet wurde.

Ich habe rund zehn Jahre mit ihr in der Düsseldorfer Lokalredaktion der „Rheinischen Post“ zusammengearbeitet. In den ersten Jahren Schreibtisch an Schreibtisch, später, als ich mitverantwortlich für die Produktion der Ausgabe war, im täglichen Austausch über ihre Themen. In jedem Sommer spielte sich dabei dieselbe Szene ab. Stefani kam an den Newsdesk und bat um einen Platz in der Ausgabe, weil sie einen Artikel zum Jahrestag des Wehrhahn-Anschlags schreiben wollte. „Ist es schon wieder soweit?“, war meist meine Reaktion, die einerseits ironisch gemeint war, aber auch zeigte, dass ich den Tag bei weitem nicht so ernst nahm wie meine Kollegin.

An diesen Jahrestagen dokumentierte Stefani, was sich in den Ermittlungen getan hat. Das war in den meisten Jahren nicht viel. Zu Beginn arbeiteten noch mehr als 80 Ermittler:innen an dem Fall, sie gingen über 300 Spuren nach, vernahmen rund 1400 Zeug:innen und neun kurzzeitig Verdächtige. Große Erfolge blieben aus, nach etwas mehr als einem Jahr überlagerten der 11. September 2001 und Fragen rund um den islamischen Terror alle anderen Themen.

2009 stellte die Polizei ihre Ermittlungen schließlich ein. Die Akte (die in Wahrheit rund 50 Umzugskisten voll Material war) wurde an die Staatsanwaltschaft übergeben. Der dort zuständige Jurist erklärte 2010, dass ein politisches Motiv des Anschlags nicht wahrscheinlich sei, weil sich nie eine politische Gruppierung dazu bekannt habe.

Das ist jetzt eine gemeine Stelle, den Text auszublenden, das wissen wir.

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