Der Bundestag soll schrumpfen – ein gutes Vorbild für den Stadtrat

Im Düsseldorfer Stadtrat sitzen 90 Politiker:innen. Ein guter Teil hat dort noch nie etwas gesagt. Ein sicheres Zeichen, dass das Gremium kleiner werden sollte, meine ich.
Veröffentlicht am 13. Februar 2023
Stadtrat Düsseldorf
Der Düsseldorfer Stadtrat hat aktuell 90 Mitglieder. Foto: Andreas Endermann

Meine These: Wenn ein netter älterer Herr in einem ordentlichen, unauffälligen Anzug in den Stadtrat ginge und sich in eine der hinteren Reihe setzte, würde es mehrere Stunden dauern, bis er auffällt, weil die übrigen Mitglieder nicht ganz sicher sind, ob er nicht doch dazugehört. Dieser Eindruck ist bei mir entstanden, als ich zuletzt für eine Reportage („Ein Tag im Stadtrat – von Hirschhornknöpfen und Gummiwürmern“) das Gremium beobachtet habe. In den hinteren Reihen sitzen eine Menge nette unauffällige Menschen, die man noch nie richtig wahrgenommen hat. Ich habe mir deshalb die Liste aller Mitglieder angeschaut und durchgezählt, wer in den mehr als zwei Jahren dieser Legislaturperiode noch nie etwas im Rat gesagt hat. Das Ergebnis: ein Fünftel der 90 Mitglieder.

Daraus kann man ohne jeden Populismus etwas ableiten: Wenn man das Gremium deutlich verkleinerte, würde man keinen Unterschied merken. Der Düsseldorfer Stadtrat ist offensichtlich zu groß. Das bestätigt ein Blick auf andere Kommunen. Köln hat mit 90 Ratsleuten genauso viele Mitglieder wie Düsseldorf, hat aber immerhin auch fast doppelt so viele Einwohner:innen zu repräsentieren. Die noch größere Großstadt München hat sogar nur 80 Ratsmitglieder. In Stuttgart und Hannover, beide ebenfalls Landeshauptstädte und ähnlich groß wie Düsseldorf, sind es 60 beziehungsweise 64.

Warum ist die Größe ein Problem?

Für die Arbeit des Stadtrats ist es zunächst keins. Da das erwähnte Fünftel nichts sagt, werden die Sitzungen auch nicht unnötig in die Länge gezogen oder Diskussionen verwässert. Es ist aber eine finanzielle Frage. Und auch hier argumentiere ich ohne jeden Populismus. Ich habe hohen Respekt vor denjenigen, die sich in der Kommunalpolitik engagieren, vor jeder Gremiumssitzung bis zu vier Vorbesprechungen durchstehen und in den meist stundenlangen Sitzungen diskutieren und wichtige Entscheidungen treffen.

Jetzt kommt das Aber: Im Durchschnitt erhält ein Ratsmitglied pro Jahr Aufwandsentschädigungen in Höhe von rund 12.000 Euro (Wert für 2021). Würde man den Rat nun zum Beispiel nur um ein Fünftel reduzieren, würde in einer Legislaturperiode gut eine Million Euro weniger ausgezahlt.

Wo liegen die Ursachen für den zu großen Rat?

  1. In der Mindestgröße: Das Kommunalwahlgesetz des Landes NRW schreibt Mindestgrößen der Räte entsprechend der Einwohnerzahlen vor. Bei mehr als 500.000 Einwohnern sind es 82. Bei mehr als 700.000 dann 90 – das erklärt die Größe des Kölner Stadtrats. In anderen Bundesländern liegen diese Zahlen niedriger. In Stuttgart sind es eben die erwähnten 60 und in München 80.
  2. Bei den Ausgleichsmandaten: In Düsseldorf ist die Mindestzahl noch um weitere acht Ratsleute gewachsen. Die CDU hat bei der Kommunalwahl 30 Direktmandate geholt. Nach ihrem Zweitstimmen-Ergebnis hätten ihr aber nur 27 zugestanden. Sie hat also drei Sitze mehr bekommen. Und damit die Relation gleichbleibt, wurde auch bei den anderen größeren Fraktionen aufgestockt.

Wie könnte man das Problem beheben?

In Berlin wird gerade darüber diskutiert, wie der Bundestag schrumpfen kann, weil er mit 736 Mitgliedern auch zu groß ist. Eine solche Diskussion sollte es mit Blick auf die Stadträte in NRW ebenfalls geben. Die Kommunen selbst können wenig tun, die entscheidenden Punkte müsste das Land verändern.

  1. Weniger Mindestsitze: Die Länder Baden-Württemberg und Bayern gehen davon aus, dass ihre größten Stadt- und Gemeinderäte auch mit 60 beziehungsweise 80 Mitgliedern gut besetzt und die Bürger:innen angemessen repräsentiert sind. Die Entwicklung von Stuttgart und München liefert wenig Gegenargumente.
    In NRW ist das Problem nicht auf Düsseldorf begrenzt. Andere Städte würden von einer Verkleinerung noch mehr profitieren. Kommunen, die wegen der aktuellen Krisen und des Strukturwandels deutlich mehr Sorgen wegen ihres Etats haben, erführen eine spürbare Erleichterung, wenn sie weniger Aufwandsentschädigungen zahlen müssten.
  2. Reines Verhältniswahlrecht: In diesem Punkt hilft noch einmal das Beispiel Stuttgart. Dort kann die Mindestzahl von 60 Mitgliedern nicht steigen, weil die Kommunalwahl eine reine Verhältniswahl ist. Die Bürger:innen stimmen über Listen ab und entsprechend dem Ergebnis werden die 60 Sitze verteilt. Überhang- und Ausgleichsmandate sind nicht möglich.

Jetzt kann man natürlich argumentieren, dass die Direktwahlkreise dafür sorgen, dass alle Düsseldorfer Stadtteile repräsentiert werden. Das stimmt leider nur in der Theorie. Ein Dutzend der Ratsleute, die noch nie etwas gesagt haben, haben ein Direktmandat.

Würde es auch helfen, wenn für den Stadtrat eine Fünf-Prozent-Hürde eingeführt würde?

Nein. Dem Düsseldorfer Stadtrat gehören einige kleine Fraktionen und Gruppen an, die bei der Kommunalwahl 2020 weniger als fünf Prozent der Stimmen geholt haben. Ihre Mitglieder treten aber alle regelmäßig in Erscheinung. Man könnte inhaltlich einiges an den kleinen Fraktionen und Gruppen bemängeln – aber der nette ältere Herr würde bei ihnen sofort auffallen.


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