Aus dem Nichts zum Landeschef – wie Jan Ristau zum BSW-Vorsitzenden in NRW wurde
Wer wissen will, warum Jan Ristau mit 47 Jahren erstmals in die aktive Politik wechselt, der sollte sich mit ihm über Meinungsfreiheit unterhalten. Bei diesem Thema wird der Steuerrechtsanwalt und neugewählte Co-Landeschef des Bündnis Sahra Wagenknecht (BSW) emotional. Er redet schneller, seine Stimme klingt aufgeregter. Es geht um die Bundesregierung, die andere Meinungen bewusst einschränke, und um die Grünen, die er für die intoleranteste Partei von allen hält. „Die Bereitschaft, die Meinungen anderer Leute auszuhalten, nimmt in Deutschland immer mehr ab“, sagt er dann.
Ristau, Brille, lockiges Haar, kurz-getrimmter Bart, ist eigentlich ein freundlich und bedacht redender Mensch. Sein Name war selbst landespolitisch Interessierten in Nordrhein-Westfalen bis Anfang September völlig unbekannt. Dann gründete der Düsseldorfer als eines von 84 Mitgliedern in Bochum den NRW-Landesverband des BSW und wurde gleich gemeinsam mit dem Ex-Linken-Politiker Amid Rabieh zum Vorsitzendem gewählt. Auch in einer ersten Recherche fand ich keine Hinweise, dass sich Ristau bereits irgendwo zuvor politisch engagiert hätte. Also fragte ich ihn über die Kanzlei an, die er gemeinsam mit seiner Frau in Oberkassel betreibt. Ich wollte wissen: Was bringt jemanden wie ihn plötzlich an die Landesspitze des BSW?
Der Anwalt kommt im Anzug zum Gespräch in die VierNull-Redaktion. Wir sprechen über Musik und Schach. Er spielte in einer Progressive-Metal-Band, deren größter Erfolg „ein Fach im Saturn Düsseldorf“ war, wie er lachend hinzufügt. Und er war in seiner Jugend ein richtig guter Schachspieler, trainierte einst sogar Wadim Rosenstein, der heute als Sponsor dem Düsseldorfer SK zur Deutschen Meisterschaft verhelfen möchte. Die Politik hingegen stand bei ihm lange nicht so im Vordergrund. „Das politische Geschehen habe ich schon immer verfolgt.“ Er habe sich aber nie aktiv in Gesprächskreise oder Parteien eingeklinkt. Dass sich das nun ändert, hat wohl viel mit der Pandemie zu tun.
Die Fehler und Versäumnisse der Corona-Politik aufzuarbeiten, ist eines der Kernthemen des BSW. In Sachsen ist das gerade ein Knackpunkt der Sondierungsgespräche zwischen CDU, BSW und SPD. Die Fundamentalkritik an der Pandemie-Bewältigung und den Waffenlieferungen in die Ukraine unterscheiden die Partei von allen politischen Konkurrenten außer der AfD. Und sie spielen für Ristau eine entscheidende Rolle. Er kritisiert beides scharf. Über die Corona-Maßnahmen sagt er: „Die Politik hat nicht verstanden, dass die Leute, die sich da ungerecht behandelt gefühlt haben, auf unbestimmte Zeit die etablierten Parteien nicht mehr wählen werden.“
Das ist jetzt eine gemeine Stelle, den Text auszublenden, das wissen wir.
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