Alleingängerzone: Der OB und die Schadowstraße

Der Oberbürgermeister hat seine Position zur Schadowstraße mit überhöhter Geschwindigkeit in die Welt gebracht: Tage, bevor die Betroffenen als erste davon erfahren sollten, und Wochen, bevor die politischen Gremien beraten und abstimmen. Stephan Keller möchte keinen Radverkehr mehr auf dieser Achse in der Innenstadt haben. Das hat er in einer Pressemitteilung der Stadt verkündet (hier zu finden) und mit einem Internet-Video unterstrichen, das er vor Ort gedreht hat (hier zu sehen). Spätestens letzteres zeigt, dass es sich nicht um eine spontane Meinungsäußerung handelt.
Die Schadowstraße ist nach ihrem Umbau ein Dauerthema in der Verkehrspolitik. In der Mitte der Zone zwischen Berliner Allee und Wehrhahn liegt ein Radweg. Der ist kaum zu erkennen, deshalb kreuzen Fußgänger:innen ihn oft unbemerkt. Das macht es für die Radfahrenden schwierig, dort durchzukommen, und erhöht das Risiko von Zusammenstößen.
Deshalb hat die Stadt ein Gutachten in Auftrag gegeben, wie man die Situation entschärfen kann. Das Ergebnis des Instituts für innovative Städte ist ein auffällig gehütetes Geheimnis im Rathaus. Ursprünglich vorgesehen war, dass zunächst den Interessenvertreter:innen (unter anderem Anwohner, Allgemeinen Deutschen Fahrrad-Clubs (ADFC), Fuss e.V.) präsentiert wird und diese sich dazu äußern. Anschließend sollten die zuständige Bezirksvertretung 1 und der Verkehrsausschuss des Stadtrats folgen. Details zur bisherigen Debatte habe ich in der Geschichte „Schadowstraße: Wie man Rad- und Fußverkehr trennen sollte“ dargestellt.
Mit seinem Vorstoß hat der Oberbürgermeister das vereinbarte Vorgehen verändert. Das erscheint aus mehreren Gründen irritierend.
- Keine Entscheidungskompetenz Die Verwaltungsspitze, also Stephan Keller und Verkehrsdezernent Jochen Kral, können die Frage nicht entscheiden. Der Auftrag lautete, ein Gutachten erstellen zu lassen und die Ergebnisse in den Gremien vorzustellen. Die Bezirksvertretung 1 gibt aufgrund ihrer räumlichen Nähe eine Einschätzung ab. Der Verkehrsausschuss berücksichtigt diese und die Stellungnahmen der Interessensvertreter:innen, erörtert die Meinungen der Fraktionen und stimmt dann ab. Anschließend erhält die Verwaltung den Auftrag, diesen Beschluss umzusetzen.
- Keine Grundlage Das Gutachten des Instituts für innovative Städte spricht keine klare Empfehlung aus. Vielmehr sind darin drei Lösung enthalten: ein klar definierter Radweg, eine so genannte Begegnungszone für Fuß- und Radverkehr und eine reine Fußgängerzone.
Abschließend werden im Gutachten kurz die Vorzüge der drei Varianten beschrieben. Dort heißt es unter anderem „Die Variante 3 [reine Fußgängerzone] ist aus Sicht des Fußverkehrs sicherlich wünschenswert, für den Radverkehr aber sicherlich keine zufriedenstellende Lösung. Daher sollte abgewogen werden, welche Varianten näher betrachtet und untersucht werden sollen. Prinzipiell bietet es sich an, insbesondere bei Variante 2 [Begegnungszone], temporäre Maßnahmen auszuprobieren und diese zu evaluieren.“
Für seine Position findet der Oberbürgermeister also nur mit viel Mühe eine Begründung im Gutachten. - Ärger mit den Radfahrenden Stephan Keller hat sich in seiner Laufbahn regelmäßig als Freund des Zweirads präsentiert. Als Verkehrsdezernent (2011 bis 2016) fuhr er nach eigenen Angaben gerne mit dem Rad zum Rathaus. Zu Beginn seiner jetzigen Amtszeit erklärte er, er wolle Düsseldorf zu einer fahrradfreundlichen Stadt entwickeln. Dies war in der Praxis bisher kaum geschehen, nun gab es das Plädoyer gegen den Radweg auf der Schadowstraße. Die Vorsitzende des ADFC, Lerke Tyra, reagierte darauf so: „Ein sehr schlechtes Signal für alle Menschen, die per Rad die Innenstadt erreichen oder dort Einkäufe erledigen möchten.“
- Drohende politische Niederlage Der Verkehrsausschuss hat im vergangenen Jahr entschieden, den Corneliusplatz und damit ein Stück Königsallee weitgehend autofrei zu machen (hier nachzulesen). Dieser Beschluss kam mit einer ungewöhnlichen Mehrheit zustande. Grüne, SPD, Linke und die Fraktion Die Partie/Klima setzten sich mit ihren Stimmen gegen CDU und FDP durch. Diese „Corneliusplatz-Mehrheit“ hat anschließend gut zusammengehalten und könnte nun aus dem Vorschlag des Oberbürgermeisters eine Niederlage des Oberbürgermeisters machen.
Angesichts dieser vier Punkte haben wir im Team diskutiert, warum Stephan Keller diesen Weg gewählt hat. Die folgenden Gründe kommen dafür in Betracht:
- Nicht wieder überrascht werden Mit der Entscheidung zum Corneliusplatz hatte der Oberbürgermeister nicht gerechnet. Der Antrag kam von kleinen Oppositionsfraktionen, in aller Regel scheitern diese an der schwarz-grünen Mehrheit. Dass es in diesem Fall anders kam, soll Stephan Keller an den Rand einer Halsschlagader-Zerrung gebracht haben. Anschließend setzte die Verwaltung den Beschluss auch nicht um. Nach einem VierNull-Bericht darüber gab es eine zweite Abstimmung, deren Ergebnis in diesem Jahr Wirklichkeit werden sollte/muss.
Einer solchen Überraschung hat der Rathauschef nun mindestens insofern vorgebeugt, als die Öffentlichkeit seine Haltung nun als erste wahrgenommen hat. - Eindruck machen In allen Sitzungen zur Schadowstraße wird nun neben dem Gutachten immer die Meinung des Oberbürgermeisters stehen. Darauf reagiert nicht jede so unbeeindruckt wie die Vorsitzende des ADFC. Manche Beteiligte könnten resignieren und die Befürworter:innen der reinen Fußgängerzone zusätzlich beflügelt in die Debatten gehen.
- Mehr rausholen Die Position von Stephan Keller befindet sich an einem Ende des Spektrums von möglichen Lösungen. Sollte die „Corneliusplatz-Mehrheit“ in Verhandlungen gehen, müsste sie Kompromisse eingehen, also dem Oberbürgermeister zumindest ein Stück entgegenkommen. Dann würde er zwar nicht sein Ziel erreichen, aber mehr als nichts.
- FDP ärgern Die Diskussion findet sieben Monate vor der Kommunalwahl statt. Dabei konkurriert Stephan Kellers CDU mit den Liberalen um die Stimmen aus dem bürgerlichen Lager. Die FDP hat dafür die Zielgruppe Fußgänger:innen für sich entdeckt und wirbt für deren Anliegen. Ein Mitglied der Partei, Ferry Weber, prägt sehr deutlich den Ortsverband von Fuss e.V. Der Vorstoß des Oberbürgermeisters kann also denjenigen gefallen, denen Fragen des Zufußgehens besonders wichtig sind und die sich bisher bei der FDP am besten aufgehoben fühlten.
Fazit
Trotz der möglichen Erklärungen bleibt das Verhalten von Stephan Keller ungewöhnlich. Anders als sein Vorgänger Thomas Geisel (damals SPD, heute BSW) hatte er bisher keine besondere Leidenschaft für Alleingänge erkennen lassen. Vielmehr hatte er sogar gezeigt, dass er erst im Hintergrund Mehrheiten organisiert und dann in die Öffentlichkeit geht. Als die Grünen nicht für die neue Oper stimmen wollten, verhandelte er in Ruhe mit SPD und FDP und sicherte sich so die Zustimmung für das Projekt. Nun hat er zwar eine Überraschung vermieden und eine Verhandlungsposition begründet – aber auch Opposition und „Corneliusplatz-Mehrheit“ zusätzlich motiviert.