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Ein Missverständnis? Teile der SPD stimmen wieder mit den Grünen

Es knistert mächtig in Düsseldorfs SPD. Die Gründe dafür sind das Bündnis mit der Splitterpartei Volt, eine kuriose Abstimmung zum Flughafen und ein Antrag zum Impfschutz für Prostituierte.
Veröffentlicht am 15. Juli 2021
Briefkasten SPD Ratsfraktion
Die Briefkästen der Fraktionen am Rathaus sind sichtlich in die Jahre gekommen. Bei der SPD steht oben rechts die Bitte, keine Reklame einzuwerfen, die FDP firmiert noch mit den drei Punkten aus vergangenen Zeiten. Sollte die SPD die Absicht gehabt haben, ihr Namensschild um den Namen des Partners Volt zu ergänzen, kann sie sich das sparen. Diese Ehe dürfte eine kurze sein - nach den Ferien ist Schluss. Foto: Andreas Endermann

Für die Spitze der Düsseldorfer SPD kommt die jetzt begonnene Sommerpause gelegen. Keine Sitzungen, weder im Rathaus noch in Parteigremien, also auch keine Bühne, auf denen wieder jemand querschießen oder die Partei blamieren kann. Zeit zum Verschnaufen, zum Nachdenken, zum Diskutieren – und zum Klären offener Fragen.

Was hier so theoretisch klingt, hat sehr konkrete Hintergründe. Denn nach wie vor ist von einem echten Neuanfang bei den Genossen keine Rede, im Gegenteil, man streitet offen oder versteckt, und man irritiert mit Anträgen weit von der Lebenswelt ehemaliger oder potenzieller Wähler. Weil es verschiedene Themen sind, zähle ich sie hier auf – und setze damit meine bisher dreiteilige Serie zur Düsseldorfer SPD fort. 

Kapazitätserweiterung Flughafen
In der letzten Ratssitzung vor der Sommerpause kam es zum Eklat, den dank Corona-Abschottung aber draußen kaum einer wahrnahm: Die seit langem avisierte Kapazitätserweiterung des Flughafens stand zur Abstimmung, das Ergebnis schien klar. CDU und FDP würden, wie immer, dafür stimmen, auch die SPD war sich einig ja zu sagen, getreu ihrer über Jahre realisierten Flughafenpolitik.

Aber in der Abstimmung besannen sich einige Genossen anders. Auslöser dafür: Die Linke legte einen Antrag vor, das gesamte Thema für mindestens fünf Jahre auf Eis zu legen. Ein so genanntes Moratorium. Das jedoch mochten die Grünen so nicht hinnehmen, weil sie ihre noch radikalere Position betonen wollten und schlugen vor, die Kapazitätserweiterung komplett abzulehnen. Norbert Czerwinski, Fraktionschef der Grünen, hatte allerdings nach eigenen Angaben nicht damit gerechnet, dafür Zustimmung zu bekommen, weil er ja die mehrheitlich andere Position der anderen zu kennen glaubte. Aber er wollte auch nicht der Linken dieses Thema überlassen, also legte er noch einen drauf. „Ich habe die links überholt,“ wird er später sagen.

Aber dann passierte das Unvorhergesehene: Mehr als die Hälfte der SPD stimmt dem Vorschlag der Grünen zu, obwohl es vorher andere Absprachen gegeben haben soll. Selbst die Spitze war nach Aussage von Sitzungsteilnehmern gespalten: Fraktionschef Markus Raub blieb bei der alten Linie, seine Kollegin aus der Doppelspitze, Marina Spillner, stimmte mit den Grünen. Raub erklärt das Ganze so: Es sei eine chaotische Abstimmung, er zu dieser Zeit nicht im Saal gewesen, offenbar hätten neue SPD-Ratsmitglieder in „ihrer Unerfahrenheit“ nicht mehr durchgeblickt, und so sei es „zu diesem Missverständnis gekommen“. Dem langjährigen Fraktionschef ist es wichtig zu betonen, wie eindeutig seine Partei hinter dem Flughafen steht, das habe man stets erklärt und bleibe dabei. Dennoch: Acht Ratsleute der SPD folgten den Grünen, SPD-Bürgermeisterin Klaudia Zepuntke enthielt sich.

Czerwinski bekam auch noch die Zustimmung der Linken, aber der Antrag wurde mit Mehrheit von CDU, FDP, AfD und eben Teilen der SPD abgelehnt. Die Stimmung bei den Sozialdemokraten angespannt, was Parteichef Oliver Schreiber höflich umschreibt und daher mit Blick auf das so nicht erwartete Abstimmungsverhalten zur Kapazitätserweiterung des Flughafens von „situativer Dynamik“ spricht.

Konkrete Folgen der Debatte: Keine.

Folgen für die SPD: Verheerend fürs Image und blamabel, zudem ein weiteres Zeichen für das nach wie vor noch nicht verlässliche Agieren der Sozialdemokraten. Denkbar ist auch die Spekulation, es habe sich um eine Inszenierung gehandelt, um Offenheit in die eine (CDU) wie die andere Richtung (Grüne) zu signalisieren. Eine solche aufwändige Choreografie würde allerdings einen Abstimmungsaufwand voraussetzen, der als eher unwahrscheinlich einzuschätzen ist.

Impfhilfe für Prostituierte
In derselben Sitzung kam von SPD-Seite ein Antrag, ein eigenes Impfangebot für Prostituierte zu schaffen. Das hätte so wohl keine Mehrheit gefunden, aber die Grünen-Fraktionssprecherin Angela Hebeler baute eine Brücke: Man möge stattdessen die Verwaltung beauftragen, Prostituierte über die verschiedenen Kontaktgruppen zu informieren, wo sie sich in Düsseldorf impfen lassen können. Biete man dieser Gruppe einen eigenen Impftermin an, werde der vermutlich wegen der stigmatisierenden Wirkung nicht angenommen. Für die CDU signalisierte Andreas-Paul Stieber Zustimmung, für die FDP erklärte Christine Rachner, ein eigener Impftermin sei angesichts der aufgehobenen Priorisierung ohnehin überflüssig. Dem Vorschlag der Grünen, sowohl weibliche wie männliche Prostituierte über Optionen zu informieren, stimmten am Ende alle Fraktionen zu.

In der Partei-Führung stieß der Vorstoß der eigenen Fraktion dennoch auf Unverständnis. Dort es hieß es, natürlich sei keiner dagegen, Frauen in diesem Gewerbe zu helfen. Aber bei der schrumpfenden Stammwählerschaft der Sozialdemokraten werde ein solcher Antrag einmal mehr als Beweis dafür gesehen, dass sich ihre Partei bevorzugt um Minderheiten kümmere und ihre eigentliche Klientel aus dem Blick verliere.

Konkrete Folgen: keine

Folgen für die SPD: Anträge dieser Art werden von altgedienten Genossen skeptisch gesehen, weil sie ahnen, wie schwer derartige Aktionen bei den Wählern als sinnvoll zu vermitteln sind.

Fraktionsgemeinschaft mit Volt
Darüber hinaus scheint es noch eine Kluft zu geben zwischen den Vertretern der Partei im Rat und dem Partei-Vorstand. Schon vor einiger Zeit signalisierte man den Fraktionsmitgliedern, deren Entschluss, mit der Splitterpartei Volt (ursprünglich mit zwei Sitzen im Rat) eine Fraktionsgemeinschaft einzugehen, stoße beim Rest der SPD auf wenig Verständnis. Die Fraktion durch dieses Manöver um zwei Stimmen zu verstärken stehe in keinem Verhältnis zum Bild nach außen, das eine einstige große Volkspartei zeige, die sich nun mit einer Splittergruppe zusammenschließe. Jetzt ist einer der beiden Volt-Vertreter, Mark Schenk, zur SPD gewechselt, demnach steht nur noch einer, nämlich Gottfried Panhaus, für diese andere Partei. Ob es dann noch gerechtfertigt sei, so zu tun, als habe man eine Partnerschaft auf Augenhöhe, sei zweifelhaft, meint Schreiber. Befremdlich findet er auch, dass bei den Fraktionssitzungen, an denen er als Partei-Chef qua Amtes teilnimmt, auch immer die Vorsitzende von Volt dabei ist – und das bei lediglich einem Mandat und einem Wahlergebnis im sehr niedrigen einstelligen Bereich.

Dieses Ungleichgewicht, es wird Folgen haben – nach der Sommerpause, so die Erwartungen von Beobachtern, ist es vorbei mit der Fraktionsgemeinschaft SPD/Volt. Jedenfalls nach außen: Die SPD wird wieder für sich stehen. Dass man mit Volt weiter kooperiert gilt als wahrscheinlich, und im Grunde hofft man, den verbliebenen Volt-Ratsherren noch zu einem Übertritt bewegen zu können. Auch Fraktions-Chef Markus Raub kündigte an, nach den Ferien werde es „eine Änderung geben“.

Konkrete Folgen: keine, wenn sich der Ex-Volt-Vertreter und der andere Ratsherr nicht anders besinnen.

Folgen für die SPD: ein weiterer Imageschaden, da man binnen weniger Monate eine Gemeinschaft eingeht, sie dann aber rückgängig macht. Die Glaubwürdigkeit leidet.

Fazit

  • Die SPD hat ein inneres Problem zwischen Pragmatikern und Vertretern einer linkstheoretischen Linie. Die Lösung ist schwierig, weil pragmatisch orientierte Entschlüsse nach städtischen Interessen gemeinsam mit Schwarz-Grün eigenes Profil verwässern und wohl von möglichen wie potenziellen Wählern nicht goutiert werden.
  • Schon auf höheren Ebenen der Politik haben SPD-Leute erkannt, dass eine Trennung zwischen Partei- und Regierungsamt nicht von Vorteil ist. Für Düsseldorf heißt es: Von den beiden Parteichefs Annika Maus und Oliver Schreiber muss mindestens einer in den Rat, sozusagen als Schnittstelle zwischen Partei und Ratsfraktion und auf jeden Fall in eine leitende Position. Um Vergleiche auf höchster Ebene zu bemühen: Helmut Schmidt hat nach seiner Amtszeit erklärt, auf den SPD-Vorsitz zu verzichten, sei ein Fehler gewesen. Vergleichbar war die Lage bei Gerhard Schröder. Die am längsten regierenden Kanzler – Helmut Kohl und Angela Merkel – waren jeweils lange CDU-Vorsitzende.
  • Die Kommunikation nach außen ist auch nach der Abwahl des damaligen Oberbürgermeisters Thomas Geisel (SPD) schlecht. Während seiner Amtszeit ist es nicht gelungen, erfolgreiche Politik als SPD-geprägt zu verkaufen – wie beim Wohnungsbau und der Schulsanierung. Nun machen die Genossen Schlagzeilen durch Opposition mit dem Wattebausch, Verzwergung durch Partnerschaft mit einer Splitterpartei, weltfremde Anträge und Anfängerfehler bei Abstimmungen.
  • Auch im konkreten Fall scheint keiner bei der SPD auf die Idee zu kommen, die Sollbruchstelle der Grüko – Flughafenpolitik – zu benennen und daraus politisches Kapital zu schlagen. Stattdessen betont man, den Flughafen schon immer unterstützt zu haben. Das kann und sollte man tun, aber könnte dennoch Salz in die Wunden des politischen Gegners streuen – denn CDU und Grüne sind beim Thema Flughafen weit auseinander. Was Czerwinskis Antrag im Rat mehr als deutlich klar machte. Den Auftritt der Linken-Ratsfrau Anja Vorspel, die das Moratorium (mindestens fünf Jahre Pause bei den Kapazitätserweiterungen) mit veränderten Anforderungen an den Flughafen durch Corona sachlich-nachvollziehbar begründete, hätte einem SPD-Ratsmitglied gut angestanden. Um zu zeigen, wie man sich Gedanken macht, nach vorne schaut und nicht um jeden Preis auf festgefahrenen Gleisen unterwegs sein will.

Quellen dieses Artikels

Interviews mit Oliver Schreiber, Markus Raub und Norbert Czerwinski.

Aufzeichnung der Stadtratssitzung vom 1. Juli, hier zu finden (die beiden im Artikel erwähnten Tagesordnungspunkte beginnen bei 2:57:16 Stunden beziehungsweise 4:05:56 Stunden)


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